Dienstag, 1. Februar 2011

Was macht eigentlich Dr. Dirk Neumann vom Tierpark Kalletal?

Cornelia Kurth

Sein Leben lang hatte er mit Wölfen zu tun, Dr. Dirk Neumann (61), der ehemalige Leiter des Tierparks Kalletal. Seine europaweit einzigartige Wolfsschule war in ganz Deutschland berühmt und viele Besucher aus dem Schaumburger und dem Lipper Land erlebten hautnah mit, wie er im Jahr 1995 eine Gruppe kanadischer Wolfsbabys mit der Flasche aufzog, wie sie ihre ersten Gehversuche vor seinem Büro im Kalletaler Tierpark machten, dann in einem großen Wildgehege herumtollten und schließlich zur "Schule" gingen, quirlige Kerle, die lernten, wie man zur Freude des Publikums Kunststücke vorführt, und die dabei langsam erwachsen wurden.

Inzwischen existiert der kleine Tierpark nicht mehr. Dort, wo neben den Wölfen auch Tiger, Bären, die lustige Truppe der Paviane, australische Dingos und die beiden Schimpansen Fritz und Friederike lebten, erstreckt sich nun eine Ruinenlandschaft aus verlassen Käfigen und verwildertem Gelände. Es war ein echtes Drama, das Ende des Tierparks, der im Sommer 2009 verkauft worden war an einen Besitzer, dem dann aber die Erlaubnis zur Haltung von Wildtieren abgesprochen wurde.
Dirk Neumann war schon nicht mehr persönlich dabei, als seine ehemaligen Schützlinge in unterschiedliche Auffangstationen vermittelt wurden, nachdem zuvor die Gefahr bestanden hatte, dass sie alle eingeschläfert werden müssten. Kein Zoo interessiert sich ja für alte Tiere, die keinen Zuchtstammbaum aufzuweisen haben. Nur durch den Einsatz verschiedener Tierschutzorganisatoren und vor allem des Veterinäramtes gelang es dann doch, allen Bewohnern des Tierparks ein neues Zuhause zu verschaffen.
Ob noch einer der Wölfe aus seiner Wolfsschule lebt, der Tierarzt weiß es nicht. Die Wolfsgeschwister waren ja mit ihrem Alter von inzwischen 14 Jahren bereits richtige "Opas", als er sie am Nikolaustag 2008 zum allerletzten Mal in die "Schule" rief, dem umzäunten Gehege inmitten ihres riesigen Auslaufs. Noch einmal sprang Blacky, der Leitwolf, auf Neumanns Schultern, balancierte Wum über einen Holzbalken, gab Mammut, der "Küsschenwolf", ihm einen Kuss auf den Mund. Dann wurde die Wolfsschule geschlossen.

Nur noch drei der gelehrigen Tiere lebten, als die Geschäfte des Tierparks im Frühjahr 2010 abgewickelt wurden. Mit viel Glück gelang es, sie in eine walisische Auffangstation zu verbringen, wo sie nun ihr Gnadenbrot erhalten. Auch ihre ehemaligen Mitbewohner aus dem Kalletaler Tierpark leben nur noch zum Teil in Deutschland, die Dingos zum Beispiel in Sachsenhagen, die Bären Ida und Katja im Bärenwald Müritz.
Die Tiger kamen in eine niederländische Auffangstation, ebenso wie die alten Schimpansen Fritz und Friederike. Diese beiden Menschenaffen, starke Persönlichkeiten, die in den letzten Jahren eine enge Bindung zu ihrem ehrenamtlichen Tierpfleger Jan Hoberg aufgebaut hatten, sie litten sehr unter dem Stress des Umzuges aus der vertrauten Umgebung. Ein Dokumentarfilm von spiegel.tv zeigt eindrucksvoll, wie genau sie wahrnahmen, dass sich alles um sie herum verändert. Fritz und Friederike waren die letzten Tiere, die den Tierpark Kalletal verließen.

Und der Wolfslehrer, wie geht es ihm? "O - ich genieße meinen Ruhestand durchaus", meint er. "Es war schon so lange abzusehen, dass die Besitzer des Tierparks ihn nicht mehr halten konnten und mir die Pacht kündigen würden. Ich bin froh, dass es nun ein Ende gefunden hat."
Er wandere oft stundenlang mit seinem Hund durch die Natur, besuche ab und zu die Zoos in der Umgebung und vor allem arbeite er an seinen Vorträgen über Wölfe und die Wolfsschule. Auf der Internetseite "www.wolfsschule.de" kann man solche Vorträge buchen. Und dabei springen sogar Wölfe herum, Blacky, Wum, Shy, Mammut und die anderen. Glücklicherweise gibt es einen Film, der ihr Wolfsschulleben dokumentiert. Ganz und gar zu Ende ist es mit der Wolfsschule also nicht.

Sportstammtisch Rinteln - die wirklich "Alten Herren"

Sportstammtisch Rinteln - die wirklich "Alten Herren"

Von Cornelia Kurth

Was für eine vergnügte Runde alter Herren, die sich da im "Stadt Kassel" versammelt. Zwölf Männer um die 75, einige sogar weit über 80 Jahre alt, die so vertraut miteinander scherzen, als seien sie Brüder aus einer Großfamilie. Und sind sie es nicht auch? Fußballbrüder - ja! Jeder von ihnen ist engverbunden mit dem SC Rinteln, die meisten seit ihrer frühen Jugend, kurz nach Kriegsende: Spieler, Schiedsrichter und natürlich Gerd Witte, einstiger Wirt des "Goldenen Sterns", der langjährigen Vereinskneipe des SC. Seit 25 Jahren treffen sie sich zum Seniorenstammtisch, heute ist es das 300. Mal. Und natürlich haben sie allerlei zu erzählen vom Fußball in Rinteln, wie er sich nach dem Stillstand im Krieg und nach den Hochwassern, die den Platz am Steinanger verwüstet hatten, wieder zu einem Spiel entwickelte, das die Jungs der Stadt in seinen Bann zog.

Dabei war das Fußballspiel bei vielen Eltern ganz und gar nicht beliebt. Wie oft gingen die kostbaren Hosen dabei kaputt, und was noch schlimmer war: Die Schuhe! Echte Fußballschuhe hatte sowieso fast niemand. Woher auch sollte man sie bekommen in der Nachkriegszeit. Es konnte sich ja schon glücklich schätzen, wer überhaupt ein paar solide Schuhe besaß. "Ich hatte eines, ein einziges Paar", erzählt Rolf Wedemeyer (75). "Und weil das so wertvoll war, durfte ich nicht mitspielen. Meine Mutter kontrollierte genau, ob sich irgendein Fußballabdruck darauf finden ließ. Wenn ja, bekam ich richtig Ärger!"

Herbert Eckel, genannt "der Schöne", um ihn von seinem Bruder Günter zu unterscheiden, der "Eckel der Jüngere" hieß, er ließ sich die beim Fußball ramponierten Schuhe heimlich von seinem Onkel reparieren. Der schlug kleine Holzpflöcke ein, wenn sich die Sohle mal wieder gelöst hatte. "Aber irgendwann sagte er: 'Neffe - es passt kein neues Loch mehr rein!", so Herbert Eckel. "Tja, da gab es dann eine Zwangspause." Rolf Wedemeyer stand überhaupt nur am Spielfeldrand und sah sehnsüchtig zu. "Lern lieber Klavier!", meinte seine Mutter. "Da hast du später was davon!" Das hatte er auch. Neben der Arbeit in seinem Getränkelager spielte er jahrzehntelang auf den Festen in der Umgebung als Musiker auf.

Für Heinz Hesse, damals Schiedsrichter, danach 17 Jahre lang Obmann im Spielausschuss und dann tätig im Obersten Verbandssportgericht, war die Sache mit den Schuhen nicht so das Problem. Er musste die Autorität aufbringen, die jungen, übermütigen Spieler zur Raison zu rufen. "Wieso denn, was ist denn?" heißt es lachend in der Stammtisch-Runde. "Kein Einziger von uns hat je eine Rote Karte bekommen! Und auch keine Gelbe!" Na ja - wie hätte das auch sein sollen?

Niemand, der vor 1970 Fußball spielte, fing sich jemals eine Rote oder Gelbe Karte ein. Diese praktische und unmissverständliche Art der Verwarnung gibt es erst, seit bei der WM 1966 das größte Chaos entstand, weil ein Spieler so tat, als habe er den Platzverweis des Schiedsrichters nicht gehört und einfach auf dem Spielfeld blieb. Vor der anschließenden Neuregelung sprachen die Schiedsrichter ihre Verwarnungen immer nur mündlich aus. "Im schlimmsten Fall schrie das halbe Publikum: "Ab nach Hause!'", sagt Heinz Hesse.

Wurde ein Spieler so verletzt, dass er nicht mehr mitspielen konnte, war das ein doppeltes Ärgernis für die Mannschaft, denn es durfte kein Ersatz eingewechselt werden. "Wir waren manchmal nur noch neun Spieler auf dem Platz", erzählt Herbert Eckel. "Wenn eine Seite nur noch sieben Spieler hatte, wurde das Spiel abgebrochen." An so eine Situation kann sich aber keiner erinnern. "Wir haben alles in allem fair gespielt", betonen sie. "Schließlich sahen wir alle uns ja ständig wieder!"

Nach jedem Spiel auf dem Platz am Steinanger liefen sie in ihren verschwitzten Trikots und mit dem wertvollen Fußball unterm Arm durch den Blumenwall zurück in die Stadt, zum Marktplatz, in den "Goldenen Stern" (jetzt die "Marktwirtschaft"), wo Vereinswirt Gert Witte die Rintelner und die Gegnermannschaft empfing. Während sie sich im Saal umziehen und vor den dort aufgestellten Waschschüsseln waschen konnten, tischte der Wirt die leckeren Mettbrötchen aus der Schlachterei Lehmeier auf. Die hatte Karl-Heinz Lehmeier, der bis zu seinem Tod ebenfalls zum Stammtisch gehörte, immer großzügig gespendet, mit einer der vielen Gründe, warum er später zum Ehrenvorsitzenden ernannt und der "Karl-Heinz Lehmeier"-Preis gestiftet wurde.

Die Vereinskneipe war lange gleichzeitig auch das Vereinsbüro, mit dem Wirt als Organisator, immer die Zigarette in der einen, den Telefonhörer in der anderen Hand. Er ist rund zehn Jahre älter als die anderen Stammtischler, kam erst 1948 Jahre aus der englischen Kriegsgefangenschaft zurück und trat dann gleich in die 1. Herrenmannschaft ein. "Na - Fußball haben wir da auch gespielt, und wie! Und wahrscheinlichen mit einem besseren Ball als Leute hier, von den Engländern gestiftet, immerhin." Klar ist, dass die ersten Nachkriegsfußbälle nichts anderes als aus Stofffetzen zusammengebastelte Filzkugeln waren.

Die Geschichten schwirren herum im "Stadt Kassel" - und je mehr Bier und Schnaps das Geburtstagskind Albert Wippermann (78) ausgibt, desto mehr necken sich die Stammtischbrüder. "So machen wir es immer", sagt Albert Wippermann, der fast drei Jahrzehnte als Kreiskassierer und als Kassenwart für den SC Rinteln agierte, nachdem er zuvor als gefährlicher Gegenspieler dem TuS Engern angehört hatte (die besseren Mettbrötchen in Rinteln hätten es ihm damals angetan, witzeln die anderen, deshalb der Vereins-Wechsel). "Wer Geburtstag hat, gibt ein Essen aus und Getränke so lange, bis er dem Wirt das Zeichen 'Daumen runter' gibt. Von da an zahlt jeder für sich selbst." Noch lächelt er vergnügt zu Ernst Brand herüber, dem "Stadt Kassel"-Wirt. Der sitzt auch mit am Stammtisch, aus Solidarität, denn im Rintelner Verein hat er nie mitgespielt (aber in Grupenhagen). "Wäre auch gar nicht gegangen - so große Fußballschuhe für seine Größe 48 hätten wir nicht auftreiben können", sagt Horst Ladage neben ihm.

Horst Ladage (74) - "ein guter Mann, ein überragender Mann", wie Rolf Wedemeyer unter Zustimmung aller betont - er spielte bereits mit 17 Jahren in Rintelns erster Herrenmannschaft, schoss zahllose Tore und ließ sich in seiner 20jährigen aktiven Zeit treu niemals von anderen Vereinen abwerben. "Nun ja - damals war es noch eine Ehre, für Rot-Weiß zu spielen", meint er grinsend. "Heutzutage allerdings...". Ja - über den aktuellen Zustand des SCR machen sich alle gerne lustig. "Oder sagen wir so", ruft Rolf Wedemeyer dazwischen: "Früher haben wir uns immer über die Spiele des SC unterhalten - jetzt reden wir nur noch allgemein über die Bundesliga..."

Im Übrigens ist gar nicht immer nur Fußball das Thema in der Stammtischrunde. Seit 1992 gibt es eine eigene Radfahrertruppe, die sich einmal im Jahr aufs Rad schwingt und lange Touren durch Deutschland macht, am liebsten entlang der Flüsse. Klaus Ide, der Jüngste am Stammtisch, tüftelt diese Radtouren aus und ist liebenswürdigerweise darauf bedacht, sie nicht allzu hoch in die Berge zu führen. In diesem Jahr, wenn der SCR seinen 100. Geburtstag feiert, machen sich die Radfahrer zum 20. Mal auf die Reise.

Fußball spielen sie alle ja schon lange nicht mehr. Herbert Eckel hörte auf, als sein kriegsverletzter Vater ihn darum bat, an den Wochenenden auf seinen Taubenschlag aufzupassen. Der einbeinige Mann schaffte es nicht mehr, die Leiter zum Dach hochzusteigen. "Natürlich habe ich meinem Vater gehorcht, alles andere wäre undenkbar gewesen", meint Eckel. "Aber mit den Vereinsspielen war es dann vorbei." Bei den anderen waren es entweder die Berufsausbildung, die zuviel Energie in Anspruch nahm, oder die Heirat, wie zum Beispiel bei Gert Witte. "Ja, du, Horst, du hast gut reden", ruft er zu Horst Ladage herüber, der so lange als Spieler dabei war. "Du bist ja auch noch Junggeselle!"

Vor 25 Jahren, als sich der Stammtisch anlässlich des 75. Vereinsjubiläums des SC Rinteln zusammenfand, kamen über 30 ehemalige Spieler. "Seitdem ging es nur noch bergab", sagt Rolf Wedemeyer. Obwohl alle zum 300. Stammtisch versammelten mindestens zehn Jahre jünger wirken, als sie es in Wirklichkeit sind, die Zeit schreitet voran. Krankheit, auch Tod dezimierte die brüderliche Runde, Neuzugänge, wie etwa derjenige von Ernst Brand, der eintrat, als sein Lokal zur Stammwirtschaft erwählt wurde, sind sehr selten. "Vielleicht sollten wir nicht mehr so viel trinken, dann werden wir alle hundert Jahre alt", gibt Albert Wippermann zu bedenken, der heute alles ausgibt. Den Daumen runter hält er trotzdem nicht.

Fängt man was? Fängt man nichts?

Im Sommer sieht man sie eigentlich immer irgendwo am Weserufer, die gemütlichen Angler, wie sie sich ein kleines Lager eingerichtet haben und geduldig die Angel ins Wasser halten. Auch an den Kiesseen sind sie für Spaziergänger ein vertrautes Bild. Meistens schleicht man sich an ihnen vorbei, weil man Angler ja nicht ansprechen soll: Zuviel Unruhe am Ufer vertreibt die Fische, heißt es (was so gar nicht stimmt). Was aber machen die Angelfreunde im Winter? Hat man da überhaupt die Chance, einen Fang zu machen?

"Klar, natürlich, durchaus", sagen da alte Anglerhasen wie Karl Tiedermann, der Vorsitzende des Fischereivereins in Rinteln, oder Wilhelm Wehrhahn aus dem Vorstand vom Sportfischerverein Hameln. Aber man hört doch heraus, dass die Sache nicht ganz einfach sein würde. Im eiskalten Weserwasser schwimmen die Fische nur träge umher. Ihr Stoffwechsel ist heruntergeschraubt, ihr Nahrungsbedarf daher gering, und man muss schon viel Glück und Geschick haben, um sie an ihren bevorzugten Stellen - dort, wo das Wasser möglichst ruhig steht - aufzuspüren und mit Made oder Regenwurm heranzulocken.

"Nach dem Krieg, ja, da haben wir selbstverständlich auch im Winter geangelt. Wir brauchten was zu Essen und was zum Tauschen", erzählt Wilhelm Wehrhahn, der damals 12 Jahre alt war und mit der Angelei dazu beitrug, dass es seiner Familie in der schweren Zeit besser ging. "Plötzen, Brassen und die jetzt sehr seltene Zärbe, die konnte man immer fangen, weil sie nicht in Winterruhestellung gehen. Und auf den überschwemmten Wiesen, da, wo unter dem Wasser Grasbewuchs war, da hatten wir fein raus, wie wir die Fische kriegten, die sich aus dem starken Strom zurückzogen."

Wenn das Wasser ansteigt, so hoch, wie es auch jetzt gerade der Fall ist, und der Fluss voller besonders kaltem Schmelzwasser ist, dann allerdings werden die Fische "maulig". Die wechselwarmen Tiere benötigen in solchen Zeiten nur ein Zehntel an Nahrung, sie trudeln in kleinen Rudeln nahe am Boden umher und man sieht sie auch nicht im verschlammten Wasser. Nur echten Könnern gelingt es, sie an stilleren Stellen mit winzigen Maden und etwas Sägemehlstreu neugierig zu machen und an den Haken zu holen.

"Früher habe ich immer auch im Winter geangelt", sagt Karl Tiedermann. "Aber das tue ich mir schon seit 20 Jahren nicht mehr an!" Die Kälte, matschige Ufer, an denen man leicht abrutschen kann und die Aussicht, dass man vielleicht ganz ohne Fang nach Hause kommt, nee, muss nicht sein. "Die Weser führt ja auch viel weniger Fisch als vor Jahrzehnten", meint er. "Dabei ist sie noch ein relativ sauberes Gewässer. Ob Sommer oder Winter, es ist kein Vergleich mehr zu den alten Zeiten."

Trotzdem steht er gerade an der hoch und schnell vorüberschießenden Weser, im stillgelegten Kreishafen, auf der langgestreckten Landspitze, die man über das Grundstück des Fischereivereines erreicht. Tage zuvor hatte er im Verein herumgefragt, wer wohl - Winter hin oder her - eine kleine Angeltour unternehmen und Barsch, Rotauge oder Rotfeder jagen würde. Sämtliche erfahrenen Weserfischer hatten lächelnd abgelehnt. Aber Sascha Kluck und seine Frau Doris sagten zu, ein junges Paar aus Rinteln, das seit drei Jahren mit aller Leidenschaft der Angelei zugetan ist.

Gut gelaunt stapfen die beiden in Gummistiefeln über das nasse Gras bis ans Weserufer heran. Es ist ein unglaublich schöner Samstagvormittag. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, Enten lassen sich den Fluss heruntertreiben, fliegen wieder aufwärts und treiben erneut herab. Wie still es ist hier am alten Hafen, wo zwischen Landzunge und Hafenmauer das Wasser ruhiger steht. "Sieh da, ein Haubentaucher", sagt Doris Kluck. "Und er taucht. Das bedeutet, dass er was zu fressen findet."

Gelassen holen sie ihre Angeln hervor und öffnen eine kleine Schachtel voller Pinkys, den winzigen, weißen Maden, die man nur mit Feingefühl an den Haken anbringen kann. Heute wird mit "Pose" geangelt, mit einer Art bunten Boje, die unter Wasser gezogen wird, sollte ein Fisch anbeißen. Große Fangchancen rechnen sich auch die beiden nicht aus, aber was soll's: "Man geht ja immer so los: Fängt man was? Fängt man nichts?", sagt Doris. "Ich angle auch im Winter gern. Es ist nie verlorene Zeit, es ist immer nur schön, so in der Natur zu stehen, dazu zu gehören, auch am Morgen, wenn der Nebel hochsteigt, oder wenn die Eisvögel sich laut beschweren, dass wir in ihr Revier eindringen."

Auch Sascha Kluck wirkt einfach glücklich, selbst als schon über eine Stunde vergangen ist und höchstens vorbeitreibende Wasserpflanzen die Pose mal zum Zucken brachten. Karl Tiedermann, der auf einen Sprung vorbeikommt, kann es sich ein grinsendes "Na - noch nichts im Eimer?" nicht verkneifen. Da lacht Sascha nur: "Es wäre ja gar nicht gut, wenn wir jeden Tag mit fetter Beute heimkämen. Die Jagd muss doch spannend bleiben!" Er zieht die Schnur raus und guckt nach, ob die Pinkys noch leben. Die Fische werden durch den Geruch des Köders angelockt, und die richtige Duftnote hat der nur, wenn die Pinkys nicht schon tot und kalt herunterhängen.

Seltsam, dass es Spaß macht, die kleine bunte Pose zu beobachten, auch wenn jetzt selbst ein Laie ahnt, dass es wohl nichts werden wird mit Rotauge oder Plötze an der Angel. Leise surrt die Angelschnur, wenn sie eingeholt und wieder ausgeworfen wird. Wohlwollend betrachtet Karl Tiedermann dabei das Hightech-Rüstzeug des Anglerpärchens. "Wenn ich an meine erste Angel denke", sagt er. "Das war ein Haselstock, auf den ich, damit er biegsamer reagiert, eine Speiche vom Regenschirm montiert hatte. Die Schnur? Ein Bindfaden! Und für den Haken nahm ich einfach eine umgebogene Stecknadel."

Da hatte es der Hamelner Wilhelm Wehrhahn damals leichter. Nach dem Krieg gab es in der Stadt zwei Geschäfte für Anglerbedarf, und da er und sein Großvater so gute Kunden waren, bekamen sie dort die raren Haken und Posen. "Eigentlich ist es Wahnsinn, dass man heutzutage viele tausend Euro ausgibt für die Ausrüstung", sagt er. "Aber die Zeiten, dass man an einem Tag auch mit viel einfacherem Rüstzeug 40 oder 50 Pfund Fisch aus der Weser holen konnte, die sind einfach dabei." Und dann kommt er auf sein liebstes Hass-Thema zu sprechen, das auch Karl Tiedermann jederzeit auf der Zunge liegt: den Fischräubervogel Kormoran.

Dieser alte Streit zwischen Naturschutz und Anglerglück. Die Kormorane, fast ausgerottet, bevor sie auf die Rote Liste gesetzt wurden, haben sich in ihren Beständen so gut erholt, dass sie den Fischern immer nur ein Ärgernis sind. Wenn es nach ihnen ginge, dann dürften die Raubvögel wieder abgeschossen werden, so große Konkurrenz sind sie geworden. "An der Aue, der Exter und natürlich an den Fischteichen räubern sie ungehindert", so Tiedermann. "Aber man darf ja nichts sagen...". Wilhelm Wehrhahn sieht das ähnlich: "Wir Angelfischer freuen uns geradezu über das Eis auf den Teichen - dann kommen die Kormorane nicht an die Fische ran!"

Eisfischen - ja, auch das ist im Winter ein Thema. Wehrhahn und Tiedermann haben in ihrem Leben genug Erfahrung damit gesammelt, wie man den Schnee vom Eis entfernt, den Eisbohrer ansetzt, um ein 30 Zentimeter breites Loch zu bohren und dann mit ganz feinem Geschirr darauf hofft, dass sich neugierige Fische von dem unerwarteten Licht und den ins Wasser gestreuten Maden anlocken lassen. Um nicht all zu sehr zu frieren, trug Wehrhahn immer eine Lammfellunterhose und an den Füßen dicke Filzstiefel. Sascha und Doris können da nicht mitreden. Im Rintelner Fischereiverein ist das Eisangeln als zu gefährlich schon lange verboten.

Die beiden sind immer noch wohlgemut. Tatkräftig packen sie ihr Zeug zusammen und stapfen über die matschige Landzunge zurück bis in den Hafen, wo sie es noch einmal direkt an der Kaimauer versuchen wollen, dort, wo sich auch die ganze Zeit der Haubentaucher herumtreibt. "Mich packt jetzt doch der Ehrgeiz!" meint Doris Kluck.

Ihr Mann hat unterwegs einen Regenwurm gefunden, den er in zwei Teile teilt - für jeden eine Hälfte. "Irgendwie hat man beim Angeln immer was zu tun", sagt er. "Als wir damit anfingen, dachten wir, wir würden nun die großen, persönlichen Gespräche führen. Aber nein - es gibt Anglertage, da reden wir keine fünf Sätze miteinander." Wenn die beiden ehrlich sind, dann ist es genau das, was sie am Angeln so lieben: Dieser Abstand vom Alltag, wo Doris bei der Arbeit auf der Intensivstation ist und Sascha im Lärm seiner Tischlerei steht.

Fast drei Stunden sind jetzt vergangen an diesem sonnig-kalten Vormittag. "Man findet ja kein Ende!", sagt Doris. "Das ist immer so!" Läge nicht ein Treffen mit den Vereinskollegen an, die beiden hätten vielleicht bis zum Abend dagestanden, geduldig ihre Köder ausgeworfen, den Vogelschwärmen am hohen Himmel nachgeblickt und sich einfach in der Zeit treiben lassen. Gefangen haben sie nichts an diesem Wintertag. Trotzdem sehen sie rundherum zufrieden aus.