Mittwoch, 13. März 2013

Töten, leiden und sterben im PC-Spiel - Lara Croft

Von Cornelia Kurth


Da ist eine junge Forscherin, fast noch ein Mädchen. Sie begibt sich hoffnungsfroh auf ihre erste große Reise, doch das Schiff geht unter und sie strandet allein auf einer abgelegenen Insel. Was dann beginnt, mag man unbedingt "Abenteuer" nennen, doch zugleich ist es ein so ungeheuer fordernder Kampf ums Überleben, dass man all das, was dem Mädchen geschieht und was es tut, um dem Tod zu entgehen, auch als "Martyrium" bezeichnen mag, der Weg eines "unschuldigen" Mädchens durch Schmerz, Blut, Leiden und Tränen hin zur abgehärteten Kämpferin, die viele als "Lara Croft" kennen.
Die Rede ist vom PC-Spiel Tomb Raider, das gerade herauskam, weltweit hunderttausende Spieler in seinen Bann zieht und das (für etwas sensiblere Gemüter bis fast an die Grenze des Erträglichen) richtiggehend zelebriert, was in den meisten PC-Spielen im Mittelpunkt steht: das Kämpfen auf Leben und Tod, das Töten in unterschiedlichsten Variationen und auch das eigene Sterben, wenn man sich ungeschickt anstellte, eindrucksvoll in Szene gesetzt in umwerfender Grafik. Es ist einerseits so, als sähe man einen Film, andererseits aber steuert man als Spieler und Co-Regisseur des Geschehens die junge Heldin per Tastendruck und ist also unmittelbar dafür verantwortlich, ob sie sich gegen üble Banditen und Ungeheuer durchschlagen kann, oder ob sie in eine Schlucht stürzt, schwer verwundet wird, von Pfeilen durchbohrt, in Schlingen aufgehängt, von Spießen aufgespießt.

Und sie stöhnt und weint mit mädchenhafter Stimme, sie zittert und blutet, sie will erst nicht töten, muss es aber tun. Sie schneidet Kehlen durch und jagt ihre Gegner mit Granaten in die Luft, sie darf kein Mitleid kennen, dem Feind nie vertrauen, sie muss grausige Höhlen durchwandern, um neue Waffen zu finden und niemals gibt es einen Weg zurück, immer nur voran, der Gefahr und Mord und Totschlag entgegen. Einzige Atempause findet sie an ihrem einsamen Lager, am nächtlichen Lagerfeuer, wo sie neue Pläne schmiedet, ihre Waffen und Ausrüstung komplettiert und ihre Verzweiflung durch innere Abhärtung zu besiegen versucht. "Es ist ein ganz großartiges Spiel, das ich wie besessen in einem Stück durchspielte", sagt Maik Leipold, Fachberater auch in Sachen PC- und Konsolenspiele in der Rintelner Filiale des Technikmarktes "Expert". "Selten kann man sich so sehr und so mitgerissen mit einer Spielfigur und ihrer Entwicklung identifizieren."

Doch was passiert denn da? Was passiert überhaupt in solchen Spielen, wo man sich mit dem "Helden" in eine Welt begibt, in der man ständig kämpfen und töten muss, sei es mit Bogen und Schwert, sei es mit modernen Schusswaffen oder indem man gleich ganze Armeen gegeneinander aufhetzt. Menschen, die solche Spiele nicht spielen, sind oft einfach nur abgestoßen oder geschockt, wenn sie von diesen Gewaltorgien hören, nicht zuletzt Eltern, deren Teenagerkinder ihre Zeit mit Kriegsspielen oder Ego-Shootern verbringen und dabei unzählige Gegner auf mehr oder weniger brutale Weise in Jenseits befördern. "Tötet" man in einem auch nur irgendwie realistischem Sinn, wenn man die Feinde im Spiel abmetzelt? Ist die halbe Nation auf eine Weise verroht und abgebrüht, wie Lara Croft es am Ende ihres Weges ist?
Fragt man so was in Spielerkreisen, wird das überwiegend und mit einem nachsichtigen Lachen entschieden verneint. "Wie soll man denn Pixelbilder töten?", heißt es, oder: "Das Ganze ist ein Spiel, nichts als ein Spiel, wie früher 'Cowboy und Indianer'", oder: "Ob man Moorhühner abschießt oder Pacman kleine süße Monster frisst, das ist doch auch nichts anderes".
Jeder, der Erfahrung mit Computerspielen hat und sich mit dem, was er da treibt, auseinandersetzt, wird allerdings wissen, dass es ganz so einfach nicht ist. Natürlich kann man Pixel nicht töten, und wenn man seinen Helden gerade mit einem Zweihänder mitten unter die Banditen schickt, damit er ihnen den Garaus mache, ja selbst, wenn es einem gefiel, die unschuldige Einwohnerschaft eines Dorfes einfach so umzulegen, so hat man in Wirklichkeit nichts Böses getan, genauso wenig, wie ein Kind, das einem anderem zuruft: "Peng, du bist tot!"

Und doch gibt es ganz unterschiedliche Spiele, in denen das ewige Kämpfen und Töten sich emotional gesehen kaum miteinander vergleichen lässt. Ein Spieler, der den Ego-Shooter "Counter-Strike" oder das Kriegspiel "Call of Duty" spielt, er bewegt sich zwar durch (bürger-)kriegsähnliche Szenerien von manchmal überwältigender graphischer Realitäts-Dichte, doch sind beim Erledigen der Gegner, das belegen unzählige Selbstaussagen, kaum mehr Emotionen im Spiel, als würde er tatsächlich nur Moorhühner aus dem Weg räumen. Ein Jugendlicher dagegen, der im Alltagsleben-Simulationsspiel "Die Sims" eines seiner Geschöpfe ins Schwimmbecken schickt und dann die Leiter zum Aussteigen entfernt, er kann mit geradezu sadistischer Freude zusehen, wie etwa die Sims-Mutter schwächer und schwächer wird, bis sie ertrinkend untergeht.
Auch Strategiespiele wie das beliebte "Warcraft", in dem man als Kriegsherr seine Armeen ins Feld führt, um gegnerische Armeen zu vernichten, sie verzeichnen zwar in jeder Runde Hunderte von Toten, doch rührt die Spieler dabei nur, ob sie gewinnen oder verlieren, nicht anders, als wenn ein Schachspieler seine Bauern opfert. In einem mittelalterlichen Rollenspiel wie "The Witcher" aber, wo man vor die Entscheidung gestellt wird, ob ein Gefangener gegen sein Flehen getötet wird, damit man andere retten kann, liegt einem die Last dieses Todes durchaus als Schuld auf der Seele.

"Es ist doch so, dass es kaum noch erfolgreiche Spiele gibt, in denen es nicht ums Töten geht", so Maik Leipold. "Ich denke schon, dass die Spiele dazu dienen, alltägliche Aggressionen abzubauen und sich einfach mal abzureagieren, ohne dabei anderen zu schaden oder Geschirr an die Wand zu werfen." Im klassischen deutschen Rollenspiel "Gothic" sagt der Held dann, wenn er mal wieder eines der Monster aus dem Wald besiegte, triumphierend: "Ein Mistvieh weniger!" und kreierte damit einen in der Szene höchst beliebten Insider-Spruch. "Auch "dir hau ich volles Pfund aufs Maul" ist so ein Spruch geworden, und keiner der Spieler vergisst, wie gut es tat, einem zunächst übermächtigen Pixel-Miesling dann tatsächlich eins aufs Maul zu geben, ohne dass er vorhatte, das demnächst auch im wirklichen Leben so zu handhaben.
Es gibt allerdings auch Computerspiele, in denen das Blutvergießen nicht Mittel zum Zweck ist, wie in den Kriegs-, Strategie- und Rollenspielen, sondern ein Zweck an sich: Nur noch Morden von Figuren, die überhaupt nur dafür existieren, dass sie im wahnsinnigen Blutrausch auf möglichst realistisch-schaurige Weise abgeschlachtet werden. Die meisten davon stehen auf dem Index und dürfen nicht innerhalb des normalen Spiele-Angebots verkauft werden. "Aber auch so fragen viele Kunden nach wirklich harten Spielen", sagt Christian Then, Fachberater für PCs und Konsolen im "Media Markt" Hameln. "Je schlimmer und brutaler, desto besser". Maik Leipold bestätigt diese Tendenz. "Das liegt daran, dass die wenigsten Leute sich wirklich mit einer Geschichte identifizieren. Sie wollen einfach drauflos ballern. Die meisten Spiele werden ja online mit anderen Spielern gespielt, und dann amüsiert man sich, je mehr abgetrennte Glieder durch die Luft fliegen oder Blutfontänen spitzen."
Die Grausamkeiten in "Tomb Raider" haben mit solchem Stumpfsinn allerdings wenig zu tun.

"Lara Croft erlebt eine Geschichte und wir erleben sie mit ihr", erklärt Leipold. "Man versteht nach diesem Spiel, wie sie zu der berühmten Figur werden konnte, die wir aus den Vorgängerspielen kennen. Es gibt nur ganz wenige Spiele, in denen auch die Spielfigur so viel mitmachen muss wie Lara. Das Leiden, die Hilflosigkeit des Mädchens, und wie sie sich daraus erhebt und wie das Töten für sie auf eine irgendwie tragische Weise etwas ganz Normales wird - mich hat das ungeheuer beeindruckt."
Und nicht nur ihn, sondern unzählige Spieler auf der ganzen Welt. Als wenn dabei etwas archaisch Menschliches seinen Ausdruck findet, nämlich der Wunsch, aus anfänglicher und tief empfundener Unterlegenheit zum unbesiegbaren Helden zu werden, dabei gerechtfertigt durch Schweiß, Blut und Tränen. Bücher bestehen aus Buchstaben und Computerspiele aus Pixeln. Ob und wie intensiv man daraus eine Geschichte erwachsen lässt, aus der man seltsam gestärkt hervorgehen kann, liegt am Einzelnen. (Ich selbst übrigens habe mir nur Videos zum Spiel angesehen, mir geht hier die Identifikation mit Martyrium und Berserkertum zu weit, zu nah.)

Feminismus - ein Schimpfwort?

Von Cornelia Kurth


Achter Mai, der internationale Frauentag, er soll ein Anlass sein, herumzufragen, ob es noch Frauen gibt, die sich frei heraus als "Feministin" begreifen. Dabei zeigt sich schnell: Diese Umfrage gestaltet sich schwierig. Die übliche Antwort besteht in einer mal vorsichtigen, mal entschiedenen Distanzierung, meistens mit der Begründung: Na ja, so radikal und männerfeindlich bin ich nun nicht. Schließlich aber sind da doch zwei schon etwas ältere Frauenpersönlichkeiten, die eine aus Rinteln, die andere aus Hameln. "Klar bin ich Feministin, was soll ich denn sonst sein", sagt Theologin Karin Gerhardt (59), und Helga Altkrüger-Roller (67), Soziologin und Buchautorin, meint: "Natürlich, ich bin für die Frauen, also bin ich Feministin. Ich habe kein Problem mit diesem Begriff, auch wenn er von vielen Leuten nicht gerade im schmeichelhaften Sinn gebraucht wird."

Sie sei schon immer und wie von selbst Überzeugungstäterin gewesen, so Helga Altkrüger-Roller. "Das erste, was ich rund um den Feminismus aufnahm, war Simone de Beauvoir und ihr Buch 'Das andere Geschlecht'", sagt sie. "Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, die erschienen mir als Traumpaar, eine gleichberechtigte, offene Beziehung ohne Heirat, frei und voller gegenseitiger Achtung, ohne eine Institution dazwischen zu schalten." Sie selbst habe allerdings schon sehr früh geheiratet, weil nichts anderes übrigblieb, wenn ihr Freund mal bei ihr übernachten wollte. "Aus meiner ersten Studentenbutze musste ich ausziehen, weil der Vermieter das Auto meines Freundes in der Nähe der Wohnung entdeckt hatte - damals gab es ja noch den Kuppelei-Paragraphen. Wir wollten zusammensein, also mussten wir heiraten."
Auch Karin Gerhardt fallen sofort Situationen aus ihrer Zeit als junge Erwachsene ein. "Als ich studieren wollte, hieß es ringsum: 'Mädchen und Abitur? Rausgeschmissenes Geld, die heiratet ja doch'. Und dann die Häme, der Spott, wenn Frauen den Führerschein machten, oder die süffisanten Bemerkungen, wenn ich während des Studiums in der Bücherei las und lernte: 'Dein Mann und deine Kinder kriegen wohl nichts mehr zu essen.' Als Frau bewegte man sich in einem Umfeld, wo es ständig zurückgespiegelt wurde, wenn man ganz harmlos die traditionelle Rolle durchbrach. Und wenn man 'emanzipiert' war, kam die Reaktion: 'Du hast wohl was gegen Männer'."

Helga Altkrüger-Roller studierte während der Zeit der Studentenbewegung in Frankfurt, bei Größen wie Horkheimer, Adorno, Mitscherlich, sie wählte Fächer wie Industriesoziologie, Sozialpsychologie, Politik, und hätte doch zuerst am liebsten Sport studiert, um dann Sportjournalistin zu werden. "Tja, das ging ja nun gar nicht", meint sie. "Die Vorstellung, dass eine Frau über die Bundesliga schreibt oder im Fernsehen kommentiert, die schien so absurd - das konnte ich vergessen." Sie erinnert daran, dass es nicht lange her ist, noch nicht mal 40 Jahre, dass der Ehemann seiner Frau untersagen konnte, erwerbstätig zu sein, weil bis 1977 noch eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe bestand, der Mann als Versorger, die Frau als Hausfrau. "In solchen Zeiten eine Frau ausgerechnet als Sportjournalistin, wo viele schon darum kämpfen mussten, überhaupt einen Job anzunehmen, abwegig."
Karin Gerhardt hatte zuerst vor, Medizin zu studieren, doch wurde ihr schnell klar, dass sich der Arztberuf nicht mit den Aufgaben als Mutter und Ehefrau vereinbaren lassen würde. Als Theologiestudentin dann, die Pastorin werden wollte, war es schon Normalität, gefragt zu werden, ob Frauen sowas überhaupt können. "Wenn man bedenkt, dass es bis zum Jahr 1990 noch keine weiblichen Pastoren in Schaumburg-Lippe gab, dann wird einem auch bei solchen Rückblicken noch mal klar: Die Rechte für Frauen sind nicht vom Himmel gefallen, sie wurden hart erkämpft."

Beide Frauen sind nicht in dem Sinne Feministinnen, dass sie selbst für das Recht auf Abtreibung auf die Straße gegangen wären oder für "Gleichen Lohn für gleiche Arbeit" demonstriert hätten. Es waren eher die allgemein politischen Demonstrationen, an denen sie teilnahmen. Sie sind beide verheiratet, und wenn Helga Altkrüger-Roller keine Kinder hat, so sollte das keine direkte Verweigerung der Mutterrolle sein, es ergab sich so. "Ich weiß noch, wie mein Mann von seinen Kollegen angesprochen wurde, dass es so ungerecht sei: Wir als Doppelverdiener und sie als Familienväter, von deren Gehalt mehrere Menschen leben mussten. Und gerade auch die Mütter, o, viele feindeten Frauen wie mich an, berufstätig und ohne Kinder." Beide Frauen erzählen auch von Männern in ihrer Berufswelt, von denen sie großartig unterstützt und gefördert wurden.
"Und doch war ich eine Ausnahme mit meinem Politikstudium, meinem Beruf als Soziologin", sagt Helga Altkrüger-Roller. Als sie vor Jahren ihr Buch "Abi 1966" schrieb und darin den Biographien ihrer ehemaligen Mitschülerinnen nachspürte, entdeckte sie, dass sie die Einzige war, die sich überhaupt irgendwie politisiert hatte. "Das lag sicher auch an meinem Vater, der mir viel Selbstbewusstsein vermittelte", meint sie. "Eigentlich sollte ich ja ein Junge werden, ein Helmut, aber später sagte mein Vater immer, Frauen seien die besseren Menschen. Das hörte ich schon gerne."

Dass die meisten Frauen, die an die 60 Jahre und älter sind, keinen Vollzeitberuf hatten und sich auch nicht so intensiv in einem politisch-gesellschaftlichen Umfeld bewegten, es lag daran, dass sich beides, Beruf und Karriere, für Frauen fast nie vereinbaren ließ. "Und wenn man dann noch an das damalige Scheidungsrecht denkt, das bis 1977 nach dem Schuldprinzip verlief, und eine Frau, die 'schuldig' geschieden wurde, quasi ohne Versorgung dastehen ließ - es ist eigentlich kaum zu fassen", so Karin Gerhardt. "Hausfrau und Mutter zu werden bedeutete lange Zeit, sich in totale wirtschaftliche Abhängigkeit zum Ehemann zu begeben, ach, und leider bedeutet es heute ja schon fast wieder dasselbe."
Nachdem das Scheidungsrecht erneut reformiert wurde, gibt es keine "Versorger-Ehe" mehr, keine wirkliche Absicherung mehr für den Fall, dass ein Paar sich nach 20 Jahren Ehe mit drei Kindern scheiden lässt. "Bisher ist es ja doch meistens noch die Frau, die beruflich zurücksteckt, sich um Kinder und Haushalt kümmert und dadurch viel weniger verdient als der Mann. Zu meinen, man könne einfach so mit voller Kraft in den Beruf zurückkehren, wenn man einmal draußen war, ist eine Illusion. Die Folge wird sein: Altersarmut für eine ganze Generation von geschiedenen Frauen, die kaum eine Chance haben, sich erträgliche Rentenbeiträge zu erarbeiten. Ich rate allen jungen Frauen: denkt an eure finanzielle Unabhängigkeit!"

Helga Altkrüger-Roller gehörte mit zu den ersten Frauen, die beschlossen, die Pille zu nehmen. "Es war ja so schwer, an Verhütungsmittel ranzukommen, und irgendwie schien es auch kaum Frauenärzte zu geben, ich kannte jedenfalls lange keinen", sagt sie. "O, als meine Mutter dann bei mir die Pillenschachtel fand, gab es einen Riesen-Aufstand. Meine Eltern fanden, man mache es damit den Männern einfach zu leicht. Dabei war die Pille natürlich die eigentliche Revolution im Umgang der Geschlechter. Die Möglichkeit der konsequenten Verhütung ebnete den Weg zur Gleichberechtigung."
Wer mit Bewusstsein all die positiven Veränderungen reflektiere, der könne doch gar nichts anderes als Feministin sein, das sagen beide Frauen. "Viele verbinden den Feminismus mit einer entschiedenen Männerfeindlichkeit", so Helga Altkrüger-Roller. "Dabei geht es doch nur darum, dass die Hälfte des Himmels eben uns gehört." Und Karin Gerhardt: "Ich bin Feministin, weil Frauen in vieler Beziehung immer noch das 'andere Geschlecht' sind und weil wir nicht aus den Augen verlieren sollen, dass Frauen, vor allem weltweit betrachtet, noch so viel zu erkämpfen haben."
Sie sei übrigens voller Dankbarkeit für die früheren "Emanzen", die bereits im vorletzten Jahrhundert für die Rechte der Frauen auf die Barrikaden gingen. Und Helga Altkrüger-Roller ist das sowieso, veröffentliche sie doch im letzten Jahr ein Buch voller Portraits "couragierter" Frauen aus Hameln und Umgebung. Heute, am Internationalen Frauentag, wird um 17 Uhr in den Räumen vom Hamelner "Radio aktiv", Deisterallee 3, aus diesem Buch vorgelesen und dazu eine Fotoausstellung eröffnet, die die zehn eindrucksvollen Frauenpersönlichkeiten präsentiert, deren Lebensgeschichten Helga Altkrüger-Roller nachspürte.

Dienstag, 12. März 2013

Videothekensterben - längst vorbei!

Von Cornelia Kurth


Einst gab es in Hameln an fast jeder Ecke eine Videothek, und auch im kleineren Rinteln waren es immerhin drei Unternehmen, die die Bürger mit auszuleihenden Filmen und Spielen versorgten. Inzwischen hat das große Videothekensterben so gut wie alle dahingerafft. In Hameln überlebte nur "Video-Buster", in Rinteln die "Mediawelt". Dabei ist es gewiss nicht so, dass sich die Menschen keine Filme mehr ansehen. Viele nur holen sie sich anders, übers Internet nämlich und noch dazu sehr häufig auf illegale Weise. "Ja, so ist es", sagt Jürgen Beete, Betriebsleiter bei Video-Buster. "Trotzdem läuft unser Geschäft so gut wie seit 2004 nicht mehr."

Er und der Rintelner Videothekeninhaber Peter Hofmann, sie leiten beide Traditionsvideotheken, die sie seit 30 Jahren durch den launischen Strom der Zeit führen und wo sie heute die Kinder derjenigen bedienen, die sich damals regelmäßig auf den Weg machten, um im Filmeangebot zu stöbern, damit es einen dieser Abende geben sollte, die auf jeden Fall gerettet waren, mit zwei oder gar drei Spielfilmen im Gepäck und dazu reichlich Süßigkeiten und Getränke. "Bei uns sind es oft Eltern und ihr jüngerer Nachwuchs, die Kinderfilme aussuchen oder jedenfalls Filme, die den Großen und den Kleinen, der ganzen Familie eben gefallen", so Peter Hofmann. "Die Jugendlichen, na ja, denen würde ich schon gern mal klarmachen, was sie da eigentlich tun, wenn sie sich ihre Filme einfach kostenlos im Internet ansehen."
Anders nämlich als diejenigen, die sich an kostenlosen Pornos auf den einschlägigen Internetportalen bedienen, bewegen sich Spielfilm-Betrachter in einer rechtlichen Grauzone. Zwar ist es relativ problemlos möglich, selbst neueste Blockbuster auf entsprechenden Plattformen aufzurufen, doch diese Anbieter handeln kriminell. Sie verstoßen eklatant gegen Urheberrechte, und wer ihr Filmangebot nutzt, tut das ebenfalls. "Zwar wird es nicht strafrechtlich verfolgt, sich einen 'Stream' anzusehen, bei dem man den Film nur kurzfristig auf dem PC zwischenspeichert, aber es dürfte ja wohl keine Frage sein, dass man damit schlicht zum Dieb wird", sagt er. "Man wird nur nicht dabei erwischt, doch in meinen Augen handelt man nicht viel anders, als wenn man sich kostenlos in einem Supermarkt die Taschen füllt und dann einfach rausgeht, ohne zu zahlen."

An dieser Abzockmentalität können Videothekare wenig ändern, sie können sich nur darauf einstellen, ebenso, wie sie sich darauf einstellen mussten, dass ihre Erotikabteilungen, die hinter der Tür mit der Aufschrift "nur für Erwachsene" eine riesige Auswahl an Pornos jeden Kalibers bereitstellten, nun nicht mehr ein entscheidendes geschäftliches Standbein darstellen, sondern nur noch so nebenher laufen. Vor wenig mehr als zehn Jahren meinte Peter Hofmann, dass seine "Mediawelt" ohne die Erotikfilme zusammenbrechen würde. Heute ist die Anzahl der Pornos auf etwa ein Drittel zusammengeschrumpft, nicht anders als bei Jürgen Beetes "Video-Buster". Stattdessen setzt man stark auf den Service rund um familiäre "Gemütlichkeit".

Die Angestellten an der Theke können nicht nur wertvolle Beratungstipps geben, sie halten auch Popcorn, Süßes und Getränke bereit. Jürgen Beete punktet mit Verlockungen, die es sonst nirgends gibt, Schoko-Popcorn etwa oder spezielle amerikanische Süßigkeiten. "Wir sind nicht irgendeine anonyme Ausleihstelle, sondern binden unsere Kunden an 'ihre' Videothek", sagt er. Dazu gehört auch ein Internetauftritt, wo Filme vorgestellt, Neuheiten angekündigt, Hintergrundinfos geboten werden. "Natürlich nutzen auch wir die Onlinemöglichkeiten, um uns gut zu präsentieren. Nur so kann man am Markt bestehen."
Dazu kommt die Ausweitung des Handels, wie es ihn vorher so nicht gab. Gebrauchte Filme werden sowohl in Hameln als auch in Rinteln zu günstigen Preisen angeboten, und man kauft auch seinerseits Gebrauchtware: "Viele Leute stellen ihre häusliche Videothek auf Blue-ray-Disks um und verkaufen uns ihre Dvds", so Beete.
Was in den Videotheken auch oft genutzt wird: Die Möglichkeit, beschädigte Datenträger, zum Beispiel eine teure Navi-CD, reparieren zu lassen. "Insgesamt sehen wir unsere Chance darin, einen hervorragenden Service anzubieten", sagt Peter Hofmann. "Da geht es uns nicht anders als vielen anderen Geschäften auch, die mit dem Internet konkurrieren müssen. Service ist alles."

Das gilt ebenso für den Bereich der PC- und Konsolenspiele. Eine Zeitlang sah es dort nicht besser aus als bei den Filmen: Vor allem die jungen Leute raubten sich ihre Objekte des Begehrens aus dem Internet, "wie immer, ohne darüber nachzudenken, wie auf diese Weise eigentlich neue Spiele entstehen sollen, ohne ehrliche Käufer, die dafür bezahlen." Seit Spiele allerdings vermehrt über Online-Portale freigeschaltet oder von vornherein nur online gekauft werden müssen, dergestalt, dass man sich persönlich mit einem Account, einem Benutzerkonto, registrieren muss, seitdem leiht man sich wieder verstärkt Spiele aus, meistens, um sie so günstig antesten zu können und dann erst zu entscheiden, ob man die 40, 50, 60 Euro für den Kauf investieren will. Wer ein zuvor ausgeliehenes Spiel dann wirklich ersteht, dem wird die Miete auf den Preis angerechnet.
Jürgen Beete und "Video-Buster" ziehen gerade aus dem Industriegebiet in die Hamelner Innenstadt um, in die Erichstraße, wo vorher die "Empire Videothek" ihren Sitz hatte. 50.000 Euro werden in Umbau und neue Software investiert. "Wir setzen weiterhin auf ein sehr differenziertes Angebot", so Beete. "Unser Kundenkreis besteht zum großen Teil aus Bildungsbürgern, die sich gerne Filme jenseits vom Mainstream kaufen oder ausleihen, oder auch Klassiker immer wieder ansehen wollen." Der Vorteil, den Videotheken da gegenüber Online-Anbietern haben: Sie können fast jeden Film bereitstellen, weil sie vertraglich nicht an ausgewählte Studios gebunden sind und sie tun das noch dazu oft viel preisgünstiger. "Wir kaufen gerade auch Filme aus dem Independentbereich an", sagt er, "und auch zum Beispiel einen alten Louis-de-Funès-Film findet man bei uns."

Gerade startet er ein Pilotprojekt in Hessisch-Oldendorf, wo es seit 2005 die Speed-Movie-Mediathek gibt, einen Automatenshop, aus dem man per Kartenzahlung Filme entleihen kann. Dieser Automat zieht aus der Langen Straße um in den Rewe-Markt vor Ort, damit noch mal ein anderer Kundenkreis angesprochen wird, Leute, die ihre Einkäufe erledigen und quasi im Vorbeigehen einen Film mitnehmen. "Das ist so ein kleines Gegenmodell zu den Service-Videotheken, doch in einem Ort ganz ohne Videothek besteht da durchaus eine Nachfrage."
Tatsache ist: Die große Marktbereinigung hat denjenigen, die sich durchsetzen konnten, wieder ein breites Feld der Möglichkeiten eröffnet. Wenn es in der Öffentlichkeit so aussähe, als seien die existierenden Videotheken ständig in einen Kampf gegen den Untergang verwickelt, dann läge das in seinen Augen an einer Art Propaganda der Industrie, die nichts dagegen hätte, wenn Filme überhaupt nur noch übers Internet verkauft und verliehen würden, meint Jürgen Beete. "Denen wäre es nur recht, wenn es keine Videotheken mehr gäbe und dadurch ein Zwischenhändler wegfiele."
Daran, dass solche Rechnungen ohne die Wirte gemacht werden, lassen die beiden Videothekare allerdings keinen Zweifel. "Wer jetzt noch eine Videothek führt und den Stammkundenkreis halten konnte, der ist nicht gefährdet, sondern er wächst", sagt Jürgen Beete. Und Peter Hofmann aus Rinteln:: "Existenzsorgen? Nein. Es läuft gut."

Mittwoch, 6. März 2013

Wie man mit dem Rauchen aufhört - E-Zigarette

Cornelia Kurth

Die Erkältung dauerte gar nicht so lange an. Nur der Husten, der mit ihr einherging, er blieb, o, selten habe ich so lange und so viel herumgehustet. Und dabei wagte ich nach eine Weile nicht mehr zu klagen oder irgendwo Mitleid einzuholen, denn: Die ganze Zeit rauchte ich weiter meine Zigaretten. Dass ich süchtig bin nach den "Wohltaten" des Nikotins - ich weiß es ja. Wie weit es damit aber erneut gekommen ist, wurde mir erst jetzt wieder wirklich klar. Nun naht das Jahresende und ich will, ich muss die Gelegenheit nutzen, mit dem Rauchen aufzuhören. Leider fällt mir sofort Mark Twains berühmt-ironischer Statement ein: "Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft."

Auch ich habe es schon mehrmals geschafft. Beim ersten Mal, vor langer, langer Zeit, gelang es durch meinen damaligen Freund, der den Rauchgeruch nicht mochte und drohte, mich nicht mehr zu küssen, wenn ich weiter rauche. Ich liebte ihn, also beugte ich mich dem Druck und entsagte meinen selbstgedrehten Zigaretten, die ich seit dem 16. Lebensjahr in immer weiter sich steigernder Anzahl geraucht hatte. Am ersten Tag litt ich zwar, doch ich tat es für die Liebe, und für das gute Gefühl, nicht mehr als abschreckendes Beispiel dazustehen für den in den 1980er Jahren überall groß auf Plakaten gedruckten Satz: "Wer küsst schon gerne einen Aschenbecher?" Es ist ja wirklich nicht schön, einem anderen Menschen Gerüche zuzumuten, die ihn ernsthaft belästigen.

Am zweiten Tag regte sich ein gewisser Trotz in mir: "Wenn er mich wirklich mag, wird er ja wohl das bisschen Rauchgeruch ertragen können!" Am dritten Tag war ich ernsthaft böse auf ihn und seine Intoleranz. Und als er sich an Tag vier darüber beschwerte, dass ich Knoblauch gegessen hatte, machte ich erstmal einen Spaziergang, besorgte mir was zu Rauchen, genoss, trotz schlechtem Gewissen, das anflutende Wohlgefühl und erkannte für alle Zukunft, dass äußerlicher Druck und Zwang zwar eine Methode sein mag, um mit dem Rauchen aufzuhören, doch keine, um das Wiederbeginnen zu verhindern.
Weitere lange Jahre waren mein Tabak und ich unzertrennlich, bis ich eines Sommers in den Dänemarkferien mal ausnahmsweise ohne mein Rauchzeug eines Meeresspaziergang unternahm und feststellte, dass mir die Zigaretten gar nicht fehlten. Die Sonne, der Wind, die salzige Lust, das wunderbare Feriengefühl, all das machte meinen Suchtstoff Nikotin, diesen Endorphin-Produzenten, überflüssig. Unter dem mitternächtlichen Sternenhimmel versprach ich meiner Mutter, mit der zusammen ich den Vollmond betrachtete, von nun an dem Rauchen abzuschwören.

Tatsächlich hielt ich es noch zwei Ferienwochen durch. Doch auf der Rückfahrt, im Autobahnstau, stieg ein derartig bedrängendes Kribbeln und Flirren in mir hoch, dass ich die nächste Raststätte ansteuerte, um mir Zigaretten zu kaufen. Wieder zuhause, und den Anspannungen des Arbeitsalltages ausgesetzt, war der Mitternachtsschwur dann schnell endgültig gebrochen. Ich schämte mich meiner Schwäche, ja, doch war ich andererseits froh, die Tröstungen des Nikotins wieder entgegenzunehmen. Erkenntnis Nummer Zwei: Mit Rauchen aufzuhören, wenn ringsum die Welt in Ordnung ist, macht den Anfang leicht. Doch ohne wirklich Willenskräfte in sich versammelt zu haben, fordert die Sucht schnell erneut ihr recht.
Mit Ende 30 stellte ich fest, dass ein Päckchen Tabak, aus dem ich an die 50 Zigaretten drehen konnte, keine zwei Tage mehr hielt. Meine Schwester sagte mir, sie habe Angst, ich könne jung an Lungenkrebs sterben, die Schwägerin machte sich über meine gewisse Kurzatmigkeit lustig, mein Bruder hatte es schon ein Jahr geschafft, nicht mehr zu rauchen, und ich stieß im Internet wie zufällig auf einen Artikel über Zigaretten aus einem "Knaster" genannten Tabak, der gar kein Tabak ist, sondern ein Gemisch aus unterschiedlichen Kräutern, die keinerlei Suchtstoffe enthalten und dadurch den Ausstieg aus der Nikotinabhängigkeit erleichtern sollen - man raucht nach der Methode "Trick 17 mit Selbstüberlistung".

Ich war begeistert, ja geradezu euphorisch. So könnte ich es schaffen! Ich würde mich des Nikotins entwöhnen, dabei aber wenigstens das orale Vergnügen des Rauch-Inhalierens beibehalten, und nach und nach dann wie von selbst auch das Kräuterzeugs mehr anrühren. Meine Mitbewohner könnten diese Begeisterung zwar nicht unbedingt teilen, da der "Knaster"-Qualm ungefähr so roch, als habe man einen Haufen feuchter Blätter angezündet, ich aber täuschte mich über das Verlangen nach Nikotin darüber hinweg, dass ich, sehr zum Amüsement der Verkäuferinnen im Teeladen, jede Menge unterschiedlicher Kräutertees einkaufte, um mir daraus Tabake zu mischen, die nicht mehr so nach Waldbrand riechen würden.
Hart war es trotzdem, dieser Selbstüberlistungsentzug. Immer, wenn mich die Sehnsucht nach meiner Droge überkam, zündete ich den Kräuterstängel an, um nach dem zweiten Zug ja festzustellen, dass die erhoffte Wirkung ausblieb. Doch konnte ich mich damit über die Suchtanfälle hinüberretten und wirklich: Nach einigen Wochen gab es immer häufiger Tage, an denen ich gar nicht rauchte und schließlich wurde der Kräutertee wieder getrunken, der "Knaster" aber vertrocknete in der Schublade. Mein ganzer Lebenswandel revolutionierte sich. Ohne Zigaretten bedeutete mir der Wein kaum noch etwas, ohne einen abendlichen Wein, der mich zu schriftstellerischen Taten anregte, ging ich viel früher ins Bett, stand früher auf, sah gesünder aus, nahm etwa sieben Kilo zu und gewann die Erkenntnis, dass das Herausschleichen aus einer Sucht durchaus ein gangbarer Weg ist.

Warum ich dann doch wieder das Rauchen begann, ja es mir, nach fünf Jahren ohne Tabakgenuss, mühsam antrainierte (die ersten Zigaretten schmeckten scheußlich und kratzen fürchterlich im Hals) - ich weiß es nicht! Lag es daran, dass es mir so schien, als seien meine Artikel nicht mehr so inspiriert wie zuvor, oder daran, dass mich häufiger als in meiner Raucherzeit, melancholische Verstimmungen heimsuchten (nicht umsonst wohl neigen manche Menschen eher als andere dazu, sich aufmunternde Substanzen einverleiben zu wollen) - wie aus dem Nichts heraus jedenfalls kaufte ich mir eines Tages eine Schachtel Zigaretten, und kaum war ein Monat vorbei, gehörten die rauchlosen fünf Jahre in eine ferne Vergangenheit.
"Wenn ich im Himmel nicht rauchen darf, gehe ich nicht hin", auch das schrieb Mark Twain. Eine Art Raucherhimmel eröffnete sich mir vor etwa einem Jahr, als ich von der E-Zigarette erfuhr, die eigentlich keine Zigarette ist, sondern eine per Akku betriebene "Dampfe", indem das Gerät mit dem Aussehen einer Zigarettenspitze aromatisierte, nikotinhaltige Flüssigkeiten in einen Dampf verwandelt, den zu inhalieren fast dasselbe Gefühl auslöst wie das Tabakrauchen, nur, dass man dabei auf die etwa 4000 Schadstoffe verzichtet, die bei der Tabakverbrennung entstehen. selbst die größten Kritiker der E-Zigarette mussten zugeben, dass das Dampfen unendlich viel weniger schädlich sei als das Rauchen. Vom ersten Zug an war ich glücklich und zufrieden, und meine Umgebung auch, da der Dampf nur leicht duftet und ganz schnell verfliegt.

Fröhlicher hatte ich noch nie einen Rauchstopp durchgezogen. Es war kein Entzug, es war ein Vergnügen. Kein Leid, keine Melancholie, kein Verzicht, dafür eine körperliche Erholung wie sie auch sonst eintritt, wenn man nicht mehr raucht - was Mark Twain wohl davon gehalten hätte? Und ob er eine Erklärung für mich hätte, warum ich nach fünf Monaten doch wieder eine Selbstgedrehte versuchte, nach noch eine und noch eine, und diese rasante Art, das Nikotin ins Gehirn zu schicken gegenüber dem langsameren Anfluten beim Dampfen so viel überzeugender erschien, dass die "Dampfe" dort landete, wo bereits der Knaster abgelagert wurde?
Seit vielen Monaten rauche ich wieder. Seit zwei Wochen geht dieser Husten einfach nicht weg. In wenigen Tagen beginnt das Neue Jahr, in dem ich keine Zigaretten mehr rauchen will. Ich nehme keinen Tabak mit, wenn ich zu meiner Familie fahre, dafür aber, um es mir leichter zu machen, die E-Zigarette, die schon einmal so hilfreich sein konnte. Mark Twain sagt mir: "Eine Angewohnheit kann man nicht aus dem Fenster werfen. Man muss sie die Treppe hinunterprügeln, Stufe für Stufe." Sie ist schon fast unten angekommen.

Hypnose - wirkt sie wirklich?

Cornelia Kurth

Liest man, was Anbieter von Hypnosetherapien an Dienstleistungen anzubieten haben, dann könnte man meinen, der Stein der Weisen für Medizin und Psychologie sei längst entdeckt: Schmerzen und Allergien verschwinden, Ängste aller Art lösen sich auf, Raucher werfen die Zigarette für immer weg und Menschen mit Übergewicht beginnen eine vernünftige Ernährungsweise. Wer sich so richtig wohl in seiner Haut fühlen will, brauchte sich anscheinend nur in die Hände eines Hypnotiseurs zu begeben und alles wäre gut. "Das ist durchaus was Wahres dran", meint Brigitte Stotzka, die in Hameln als "Hypnose-Coach" arbeitet. "Nur darf man nicht übersehen, dass dabei die eigentlichen Heilkräfte vom Hypnotisierten selbst ausgehen."

Ebenso wie ihre Kollegin Astrid Ladage aus Hessisch-Oldendorf wirbt sie unter anderem damit, dass Raucher, die ihr Laster ablegen wollen, fast immer bereits nach einer einzigen Sitzung von ihrer Sucht befreit seien und auch ein Jahr später nicht wieder zum Glimmstängel gegriffen hätten. "Das ist keine Zauberei", so Brigitte Stotzka. "Vor der eigentlichen Hypnose erfrage ich, vor welchem Hintergrund und in welchen Situationen das Rauchen für den Klienten bedeutsam ist, und ich sprechen mit ihm darüber, warum er aufhören will und was ihn an dieser Vorstellung glücklich macht. In den Suggestionstexten während der hypnotischen Trance knüpfe ich an diese positiven Dinge an. Das reicht in den allermeisten Fällen, um den Schalter umzulegen."

Astrid Ladage, die diesen Vorgang auf ähnliche Weise beschreibt, betont, dass es dabei selbstverständlich auf den festen Willen des Hypnotisanden ankäme. Wünsche jemand eine Hypnose, der sagt, seine Frau habe ihn geschickt, weil sie will, dass er endlich zum Nichtraucher wird, dann beginne sie gar nicht erst mit der Therapie. "Man kann in der Hypnose niemanden gegen seinen Willen beeinflussen und ihm quasi eine Lebensweise aufzwingen, mit der er gar nicht einverstanden ist. Der Wille zur Veränderung muss da sein - und das ist er meistens auch, denn sonst würden die Leute gar nicht erst meine Unterstützung suchen."
Wesentlich aufwändiger zu ereichen sei es zum Beispiel, dass der Wunsch, sein Körpergewicht zu reduzieren, tatsächlich in die Realität umgesetzt werde. Auch in solchen Fällen würden Vorgespräche geführt, in denen sich herauskristallisiere, wofür das leidenschaftliche Essen ein Ersatz sei, etwa für vermisste Liebe oder fehlende Anerkennung, zur Bewältigung von Stresssituationen oder schlichtweg, um der Langeweile zu entgehen. "Es geht darum, herauszufinden, was jemand wirklich will, dann haben wir den positiven Ansatzpunkt für die hypnotische Suggestion", erklärt sie.

Während es allerdings in Bezug auf das Rauchen ausreiche, einen intensiv erlebten Schlusspunkt zu setzen, verlange das Abnehmen eine weitergehende Umstellung im Alltagsleben. "Vom Rauchen kann man sich wirklich verabschieden, vom Essen aber nicht", sagt auch Birgit Stotzka. "Mit dem Essen wird man jeden Tag neu konfrontiert, da muss man dann 'nachlegen' und durch weitere Sitzungen den Willen zur Lebensänderung stärken, wieder, indem man versucht, den unbewussten Gründen für die 'Fresssucht' auf die Spur zu kommen. In der Hypnose ist das kritische Bewusstsein weitgehend ausgeschaltet, man nähert sich dem Unbewussten an und entdeckt dann oft die wahren Ursachen für ein problematisches Verhalten. Erst dann besteht die Chance zur Änderung."

Sie bringt das etwas anders gelagerte Beispiel einer Frau an, die unter einer Obstallergie litt. In der hypnotischen Trance versetzte sich diese Frau zurück in eine verdrängte Vergangenheit, und in einem sorgsam geführten Frage- und Antwortspiel stellte sich heraus, dass die Allergie, trotz aller schweren körperlichen Symptome, eine erfundene war, vor vielen Jahren dafür eingesetzt, um auf diese Weise Aufmerksamkeit und Mitgefühl auf sich zu lenken. "Nur im Zustand der Trance konnte die Frau sich dem damaligen Geschehen ohne Angst und Peinlichkeitsgefühl stellen. Als das geschafft war, gab es keinen Grund mehr, an der Allergie weiterhin festzuhalten."
Überhaupt gehe es bei der Hypnose meistens darum, aus eingefahrenen Mustern auszubrechen und damit das eigene Selbstbild zum Positiven hin zu verändern. Sie arbeite oftmals auch mit Kindern, sagt Astrid Ladage. Fast immer stünden da Schulängste und ein angeknackstes Selbstbewusstsein im Mittelpunkt. Ein kleines Mädchen hatte zwei Fünfen in Mathearbeiten geschrieben und nun schreckliche Angst vor der nächsten Arbeit. "Da half es bereits, während der Hypnose die Einschätzung 'ich kann einfach kein Mathe' durch suggestive Sätze zu verwandeln in ein 'ich kann es eben doch!'."

Nicht viel anders sei es bei einem neunjährigen Jungen unter ihren Klienten gewesen, der in der Schule gemobbt wurde und sich rundherum schwach und ängstlich fühlte. Er wollte, wie sich herausstellte, stark wie ein Tiger sein, und genau das war auch das Thema während der hypnotischen Trance: "Ich bin ein tigerstarkes Kind!", diese Erkenntnis konnte den Jungen erreichen, sobald das selbstkritische Bewusstsein mal eine Weile schweigen musste.
Immer noch ist es für die Wissenschaft ein Rätsel, wie solche Suggestionen gelingen können (dass sie es oftmals tun, daran besteht kein Zweifel). Nur etwa zehn Prozent aller Menschen sind gar nicht oder erst nach vielen Versuchen hypnotisierbar, die allermeisten aber erreichen problemlos eine mittelgradige Hypnosetiefe, darüber besteht ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens. Gerade die mittlere Hypnosetiefe, in der noch ein kleiner Anteil des bewussten Ichs bestehen bleibt, eignet sich besonders gut für solche therapeutische Ansätze, in denen Hypnotiseur und Hypnotisand während der Trance Gespräche führen.
Brigitte Stotzka und Astrid Ladage arbeiten, wie viele andere auch, nach dem Konzept des amerikanischen Psychiaters und Psychotherapeuten Milton Erickson (1901 - 1980), der als Pioneer der modernen Hypnosetherapie gilt. Anders als frühere Hypnotiseure, seien sie nun Ärzte oder "Künstler" gewesen, und anders, als es meistens bei den oft spektakulären heutigen Showhypnosen der Fall ist, rekrutiert die Ansatz von Milton Erickson auf die Aktivierung von Selbstheilungskräften, die in jedem Menschen vorhanden seien und wachgerufen werden müssten, damit sie ihre Wirkung entfalten.

Tatsächlich sind diese Kräfte bei vielen Menschen so stark, dass ein Arzt sie hypnotisieren und dann völlig ohne Betäubung operieren könnte (was auch regelmäßig so gemacht wurde, bevor die Narkose diese Art der Sedierung ablöste). Auch Brigitte Stotzka machte die Erfahrung, dass man eigene Ressourcen zur Schmerzbekämpfung aktivieren kann. Unter der Hypnose wurde bei ihr ein chronischer Scherz im Arm ausgeschaltet, was dann dazu führte, dass sie die nötige Gymnastik machen konnte, damit gefährliche Kalkablagerungen sich endlich lösten. "Da wurde mir ganz konkret bewusst, dass Schmerzen recht eigentlich im Kopf entstehen. In meinem Fall half es, das Schmerzgedächtnis zu löschen, um mir zu helfen."
Nun sind Hypnose-Anbieter wie die beiden Frauen aus Hameln und Hessisch Oldendorf weder Mediziner noch Diplom-Psychologen. Sie dürfen und wollen diesen Anspruch auch nicht gar nicht erheben. Astrid Ladage war "Mentaltrainerin", bevor sie ihre Hypnoseausbildung absolvierte, Brigitte Stotzka arbeite in einer Hamelner Behörde, bis sie sich als zertifizierter "Hypnose-Coach" vor drei Jahren mit ihrer Praxis selbständig machte.

Trotzdem können auch sie sich auf die Feststellung des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie berufen, der im Jahr 2006 im Deutschen Ärzteblatt verkündete, dass die Hypnosetherapie bei Erwachsenen unter anderem für die psychischen und sozialen Aspekte bei somatischen Krankheiten und für die Lösung von Suchtproblemen wissenschaftlich anerkannt sei. Eine in dieser Verkündigung zitierte Studie von Professor Dirk Revenstorf (Uni Tübingen) belegt, dass fast die Hälfte der untersuchten Raucher, die ihrer Sucht unter Hypnose abschworen, auch noch nach einem Jahr abstinent geblieben waren.
Das Hypnotisieren funktioniert übrigens nicht nur bei einem Gegenüber, man kann sich mit einigem Geschick auch selbst in die hypnotische Trance versetzen, eine sehr nützliche Fähigkeit, wie Astrid Ladage und Brigitte Stotzka bestätigen. "Morgens trinke ich nicht als erstes einen Kaffee, sondern ich sage mir: 'Dies wird ein wunderbarer Tag!'", so Brigitte Stotzka. "Meistens wird es das dann auch."

Kinder sehen Pornos

Cornelia Kurth

Dass die meisten Jugendlichen spätestens mit 13 oder 14 Jahren ihren ersten Porno gesehen haben, ist keine Frage. Jeder, der Zugang zum Internet hat und sich zum Beispiel auf Seiten mit den beliebten kleinen Flashgames umsieht, stößt dabei auf ziemlich drastische Bilder und auf Links, die zu weiteren einschlägigen Seiten führen. Außerdem braucht man nur neugierig das Stichwort "Porno" in eine Suchmaschine einzugeben und landet dann sofort bei kostenlos verfügbaren Videoclips mit Sex in allen nur denkbaren Spielarten. Doch obwohl von den Medien bereits der reißerische Begriff "Generation Porno" geprägt wurde, gibt es - anders als beim Thema "Mobbing" etwa - kaum Angebote in Schule, Jugendzentren oder Beratungsstellen, bei denen es explizit um den Umgang mit Pornos geht.

"Was ist denn an Pornos nun so schlimm?", das habe, ziemlich aufgeregt, ein Hauptschüler aus einer 9. Klasse gefragt während einer Veranstaltung, bei der es darum ging, wie man sich auf verantwortliche Weise im Internet bewegen sollte, erzählt Sozialpädagoge Moritz Becker (35), der regelmäßig die Schulen in den Landkreisen Schaumburg und Hameln/Pyrmont besucht, um mit den Schülern über das Internet zu sprechen und Fragen aller Art zu beantworten. Der Junge habe energisch auf einer Antwort bestanden, während die Klassenkameraden sich mit Wortmeldungen zurückhielten. Beckers Rückmeldung an den Schüler: "Das Problem besteht wohl darin, viele Pornos zu kennen und dabei noch gar keine eigenen Erfahrungen zu haben. Dann denkt man, was die Pornos zeigen, sei der normale Sex. Ist es aber nicht."

Wenn er so mit den Jugendlichen rede, breite sich immer spürbar Erleichterung aus, vor allem bei den Mädchen. "Kein Wunder", sagt er. "Die Jungs denken oft, sie müssten sich bei den Mädchen als Meister des Sex profilieren, während die Mädchen manchmal schlicht Angst davor haben, dass die Jungs Sachen von ihnen wollen, wie sie in den Pornos zu sehen sind." Theoretisch wüssten die meisten ja, dass ein Unterschied besteht zwischen Pornofilmen und der Wirklichkeit. "Aber sie sind trotzdem verunsichert. Die große Verfügbarkeit von Pornos geht leider einher mit einer gewissen Verklemmtheit der Erwachsenen, die sich um klärende Gespräche eher drücken."
Tatsache ist - das erwiesen telefonische Anfragen bei Jugendinstitutionen des Landkreises - dass das Thema Porno, so präsent es einerseits im Leben Jugendlicher ist, andererseits kaum zur Sprache kommt. Weder beim Kinderschutzbund noch in den Jugendzentren steht es zur Debatte. "Ich wüsste nicht, dass jemals Eltern oder Kinder von sich aus auf das Thema 'Porno' gekommen wären", sagt etwa Claudia Frevert-Fricke aus der Beratungsstelle des Familienzentrums in Rinteln. Auch im Hamelner Kinder- und Jugendtreff bestand nie ein konkreter Anlass, über Erfahrungen und Fragen rund um den Pornokonsum zu sprechen, und Kreisjugendpfleger Claus Dieter Kauert weiß, dass die Jugendlichen, wenn überhaupt, beiläufig sagen, so schlimm sei es mit den Pornos gar nicht.

Eberhard Bachmann, Fachobmann für Biologie am Gymnasium Ernestinum in Rinteln erklärt, warum das Thema "Umgang mit Pornos" in den Schulen kaum eine Rolle spielt. "Die Korrektur pornographischer Inhalte steht schlicht nicht auf dem Lehrplan", sagt er. In den 6. Klassen gäbe es eine Unterrichtseinheit über den Zugang zum eigenen Körper. "Da einigen wir uns auf zuerst immer auf eine angemessene Sprache, auf eine sachliche Benennung der Körperteile - mit Gesprächen über Pornos hat das natürlich nichts zu tun, und wenn man das wollte, müsste man das zunächst mal mit den Eltern absprechen", so Bachmann.
In der 9. Klasse dann gehe es vor allem um Methoden der Verhütung und durchaus auch um solche Fragen wie die, ob auch Frauen eine Ejakulation haben können. Pornos aber würden von den Schülern so gut wie nie von selbst angesprochen. "Ich muss sagen, dass wir an unserer Schule nichts von 'Generation Porno' merken, es gibt eigentliche keine Situation, in der man denken würde, dass hier mal etwas grundlegend richtiggestellt werden müsse."

Trotzdem besteht kein Zweifel daran - das zeigen auch Studien wie die Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2010 - dass kaum ein Jugendlicher nicht schon den drei Klicks hin zu einer Pornoseite im Internet gefolgt ist, und dass mindestens ein Drittel aller 15jährigen Jungen regelmäßig einmal bis mehrmals die Woche Pornos konsumieren. Die jüngeren oder gleichaltrigen Mädchen kennen ebenfalls Pornos, auch wenn man in den meisten Studien davon ausgeht, dass sie insgesamt wesentlich weniger interessiert seien als die Jungs.
"Also, ich sehe mir auf jeden Fall manchmal Pornos an, und meine Freundinnen auch", sagt Maren (14), Realschülerin aus Bückeburg. "Es ist lustig, wir lachen uns dann schlapp und machen uns lustig über die Männer. Meine beste Freundin allerdings meint, dass sie gar nicht aufhören kann, Pornos zu gucken, dass sie irgendwas immer wieder dahin zieht. Das kann ich nicht verstehen."

Und Matthias (18) aus Rinteln erzählt: "Ich hab mit 12 meinen ersten Pornos nachts im Fernsehen angeguckt, und dann auch über Werbe-Clicks im Internet. Das waren eher Softpornos, ich fand das sehr interessant, ich war einfach total neugierig. Es ging dabei gar nicht so sehr um sexuelle Gefühle, das kam erst später, als ich schon älter war. Abgestoßen oder geschockt haben mich die Pornos eigentlich nie, auch nicht die harten Pornos, vielleicht deshalb, weil ich schon früh aufgeklärt war. Es gab ein paar Wochen, da sah ich mir sehr oft Pornofilme an, aber das war nur so eine Phase. Jetzt interessieren sie mich nicht mehr sonderlich."
Auch Moritz Becker - er betreibt unter anderem die Internetseite "smiley.eV" des Vereins zur Förderung der Medienkompetenz" - er bekommt bei seinen Veranstaltungen mit, dass viele Jugendliche Pornos oft einfach absurd und komisch finden, wie eine Art Slapstick. Doch andererseits ergäben sich häufig gerade in den Pausengespräche ganz andere Unterhaltungen mit einzelnen Schülern.

Da muss er dann erklären, dass Analverkehr keineswegs ein sexueller Standard ist, den jeder Junge beherrschen müsse, sondern eine hohe Kunst für Menschen mit viel Erfahrung; dass auch er niemals im Leben zwei Stunden Dauersex und unzählige Orgasmen hintereinander durchstehen würde, die Filme würden zusammengeschnitten, die Darsteller Viagra nehmen, um sowas durchzuhalten; und dass seine Frau ihn garantiert schon längst in die Wüste geschickt hätte, wenn er mit ihr hätte Pornos nachstellen wollen. "Immer geht es darum, noch mal klar zu bestätigen, dass Pornos ein verzerrtes Bild der Realität darstellen, eine Fiktion, sexuelle Fantasien, und nicht ein Vorbild sind für das, was in der realen Sexualität Sache sein soll."
Wo diese Unsicherheit vorherrsche und man nie einen Erwachsenen, den man als Vorbild anerkennt, richtig fragen könne, würde die natürliche Neugier auf alles Sexuelle ziemlich belastet, vor allem bei den Mädchen, wenn sie auf Pornos stoßen, in denen die Frauen willige, passive Objekte für rücksichtslose Geschlechtsakte darstellen, an denen in ihren Augen wenig Reizvolles ist. "Wer weiß, ob nicht die Zahlen, die belegen, dass der erste Geschlechtsverkehr gerade bei Mädchen immer später stattfindet, und auch das sich verstärkende Ideal, bis zur Ehe Jungfrau zu bleiben, ob das nicht aus einer Angst vor möglicherweise eher brutalem Sex heraus entsteht." Auch Jungs hätten durchaus Angst, weil sie nicht wissen, was die Mädchen wirklich wollen und ob sie gleich aufs Ganze gehen müssten, von dem sie doch noch keine echte Ahnung haben.

"Ich sehe schon eine Gefahr in dieser teilweise undurchschaubaren Mischung aus Fiktion und Realität", sagt er. "Pornos wirken im ersten Moment so echt wie die sogenannten Doku-Soaps oder Dieter Bohlens 'Deutschland sucht den Superstar'. Doch wenn man bewusst macht, dass Dieter Bohlen keineswegs aus dem Stehgreif seine gemeinen Witze produziert, sondern dass er Sprücheschreiber hat und Regisseure, die das Spektakel bis ins Letzte inszenieren, dann werden solche Dinge entthront. Man kann dann besser verstehen, wo einfach nur eine Rolle gespielt wird, die man doch in Wirklichkeit niemals übernehmen wollen würde."


Geistig Behinderte im Internet

"Ich wein, bin echt fertig"

Cornelia Kurth

Dass man als geistig behinderter Mensch ziemlich viel Lebensmut und Energie mitbringen muss, um in der Alltagskommunikation Nichtbehinderter mitmischen zu können, das beweist in Rinteln sehr schön Thomas Mehrens (34)(Name geändert), den fast jeder kennt, weil er seit seiner Jugend ständig in der Stadt unterwegs ist und die Vorübergehenden anspricht. Früher bekam er oft Ärger und wurde sogar von Teenagern verprügelt, doch er gab nicht auf und mit den Jahren kennt er jede Menge netter Leute, die freundlich mit ihm plaudern und auf seine Behinderung Rücksicht nehmen. Im Sommer hilft er sogar dabei, das Freibadgelände sauber zu halten. In vielen kleinen Städten läuft so eine Nebenbei-Integration nicht viel anders ab. Wie aber sieht es aus, wenn ein geistig behinderter Mensch im Internet mitreden will?
Es gibt nicht viele Beispiele dafür. Zwar wird in unendlich vielen Internetforen unendlich viel kommuniziert, doch es ist trotzdem gar nicht so leicht, den Weg dorthin zu finden, wo man mit anderen Menschen diskutiert oder plaudert oder von ihnen Hilfe erbitten kann. Bundesweit gibt es durchaus Institutionen, in denen geistig Behinderte ans Internet herangeführt werden und dann wissen, wie sie Filme angucken, Musik hören oder die Seiten ihrer Stars aufrufen können. Doch in einem Forum Fragen zu stellen und sich an den ja immer schriftlich geführten Gesprächen zu beteiligen, mit Menschen, die man nicht sieht und nicht kennt, das ist ein Gebiet voller Stolpersteine.

Thomas Mehrens, als jemand, der das Lesen und Schreiben kaum beherrscht, hätte da gar keine Chance. Doch auch für Lernbehinderte, die einer einfachen Arbeit nachgehen, einfache Sätze lesen und schreiben können, ist das Mitreden in Internetforen sowas wie ein Minenfeld und es gehört großer Mut dazu, sich darauf einzulassen. Ihre unbeholfenen Fragen und Antworten werden von den anderen oft als Provokation verstanden, ihre Wortkargheit als Unhöflichkeit, durch die vielen Rechtschreibfehler machen sie sich ebenso angreifbar wie durch offensichtliches Nichtverstehen von komplizierteren Beiträgen. Und wenn man dann noch annimmt, sie seien nur ein "Troll", also jemand, der in einem Forum auftaucht, um dort mit Absicht alles durcheinander zu bringen, dann geht ganz schnell das Mobben los.
Eine 43jährige Frau, nennen wir sie "Pina", ist eine der wenigen eindeutig geistig Behinderten, die sich in normale Foren trauen, und die dann auch sofort, gegen ihren Willen, in all diesen Foren wie aus dem Nichts heraus eine Art Aufruhr anrichtete. Pina meldete sich, wohl mit Hilfe eines Freundes, zunächst in solchen Foren an, wo erfahrene Leute Anfängern Fragen ums Programmieren beantworten. Pina will die Programmiersprache HTML erlernen, weil sie glaubt, sie brauche das, um eine Maschine, die sie bei ihrer Arbeit benutzt, richtig einzustellen. "Ich brauche Hilfe bei HTML, schnell", schreibt sie. Wenn die anderen sie fragen, was genau sie denn wissen will, schreibt sie zurück: "ja, das ich noch mehr kann".

So selten ist es, dass lernbehinderte Menschen in solchen Foren auftauchen, dass dort lange niemand auf die Idee kam, es könne jetzt wirklich mal der Fall sein. Man verwies Pina auf Interneteinführungen zum Programmieren, und sie antwortete: "Zu schwer". Man bot ihr Schritt-für-Schritt-Anleitungen an, doch sie verstand schon die einfachsten Grundzeichen nicht. Jemand produzierte extra ein kleines Video für sie und sie sagte nur, dass sie sowas nicht will, kein Danke, keine weiteren Erläuterungen, statt dessen wurden ihre Sätze immer kürzer, ihre Rechtschreibung immer chaotischer.
Nicht lange, und erste User wurden wütend und beleidigend, während andere ihr genüsslich zum 50. Mal erläuterten, dass sie viel zu blöd sei, um jemals das Programmieren zu lernen. "Ich wein, bin echt fertig" schrieb sie dann, und erntete weitere boshafte Bemerkungen. In fast allen Foren, die sie aufsuchte, wurde sie schließlich gesperrt, auch dann, wenn es zunächst Moderatoren gab, die versuchen wollten, sie irgendwie zu integrieren.

"Genau solche Dinge würden uns große Sorgen machen", sagt Heilpädagogin Angela Wehrhahn, die in Hameln eine Lebenshilfe-Wohngruppe betreut. "Theoretisch könnte das Internet eine große Bereicherung sein für Menschen mit einer Lernbehinderung. Die meisten sind ja, ähnlich wie manche alte Menschen, nicht besonders mobil und haben nur eingeschränkte soziale Kontakte. Doch die Gefahr, dass das alles ein deprimierendes Misserfolgserlebnis wird, ist groß. Ohne einen Assistenten an der Seite würde ich keinem Lernbehinderten zuraten, an Gesprächen in einem Internet-Forum teilzunehmen."
Einen Bewohner immerhin gibt es, der sich zusammen mit seiner Freundin im Sozialen Netzwerk Facebook angemeldet hat. Zu seinen "Freunden" dort zählen vor allem die Familie und auch Mitarbeiter aus der Lebenshilfe, die ihm außerdem halfen, alles so einzustellen, dass sich niemand, der nicht dazu eingeladen wurde, auf diese Seiten verirrt. "Wir überlegen, ob wir jeweils ein Facebook-Profil für unsere beiden Hamelner Wohngruppen anlegen", sagt Angela Wehrhahn. "Es wär schon toll, sich dieses Medium zu erobern, aber wir sind noch nicht so weit."

In der Rintelner Lebenshilfe sind ebenfalls einige Bewohner bei Facebook angemeldet. "Facebook lässt sich allerdings nicht mit einem Forum vergleichen", so Wohnheimleiter Marco Reinking. "Die allermeisten unserer Mitbewohner wären lebhaften Gesprächen mit all ihren Zwischentönen nicht gewachsen." Auf der Sozialen Plattform aber spielen sie die kleinen Online-Spiele, geben Statusmeldungen ab wie "schöner Tag heute", oder "habe schlechte Laune" und zeigen sich gegenseitig Musik- und Videoclips. Regelrechte Gespräche sind eher selten.
Einzig Michael B. (31) hat keine Scheu, auch andere Kommunikationsformen des Internets zu nutzen. Er ist unter anderem in einem PC-Forum angemeldet und stellt dort Fragen, beantwortet auch die Fragen der anderen und fällt als intelligenter Autist nur manchmal dadurch auf, dass er sich knapp und sehr direkt ausdrückt, "manchmal etwas zu direkt", sagt er. "Aber ich erkläre den anderen, dass ich eine autistische Störung habe und dass meine Direktheit damit zusammenhängt und nicht unfreundlich sein soll. Also, ich habe eigentlich keine Probleme."
Die lernbehinderte "Pina" schrieb ebenfalls in vielen Foren-Beiträgen, dass sie lernbehindert sei, doch meistens nützte ihr das wenig, um besser in die Gemeinschaften aufgenommen zu werden. Wo sie ein Thema eröffnete, tummelten sich viele Neugierige, denen es Spaß machte, sie zu provozieren, bis meistens die Forderung laut wurde, dass man sie aus dem Forum aussperren solle.

Dass es allerdings anders gehen kann, wenn sich Menschen finden, die jemanden wie Pina wirklich unterstützen, zeigt das letzte ihrer Foren, wo sie jetzt schon seit Anfang des Jahres dabei ist, ein großes Spieleforum, in dem es sowas wie eine Plauderecke gibt und wo ihr ermöglicht wurde, ein eigenes Thema zu eröffnen: "Plaudern mit Pina". Ständig halten engagierte Moderatoren ein Auge auf sämtliche Beiträge, ermahnen User, die sich daneben benehmen und erklären Pina, das nicht alles Böse gemeint ist, was bei ihr als Kränkung ankommt.
Es ist erstaunlich, wie man in diesem Forum verfolgen kann, dass die ungewöhnliche Teilnehmerin allmählich akzeptiert wird. Wenn sie schreibt: "hört auf, zuviel Krach" versteht man inzwischen, dass sie meint, es würden zu unübersichtlich viele Beiträge in kurzer Zeit geschrieben; wenn sie auf die Frage, was ihr Lieblingssong sei antwortet: "sag ich nich, zu privat", ahnt man, dass jemand sie davor warnte, zu persönliche Dinge zu äußern. Immer mehr der anderen nehmen Rücksicht auf ihre Eigenarten und freuen sich, wenn Pina dann tatsächlich mal schreibt: "ihr seit nett". Inzwischen haben Provokateure längst das Interesse an ihr verloren, während einige andere regelmäßig kleine Bemerkungen in Pinas Thema hinterlassen.

So eine harmonische Fortsetzung des Abenteuers Internet eines geistig behinderten Menschen wird wohl aber die Ausnahme sein und verdankt sich einer Forenleitung, die bewusst die Herausforderung eines Integrationsversuches annehmen wollte. "Solange niemand auf die Teilnahme Lernbehinderter an der Internetkommunikation vorbereitet ist, ist es eher gut, wenn unsere Bewohner eine Scheu davor haben", so Angela Wehrhahn. "Die Ängstlichkeit ist auch ein Schutz davor, sogar in der Anonymität des Internets wieder zu den Ausgegrenzten zu gehören."
Im Übrigen begrüßt die Bundesvereinigung der Lebenshilfe das Bemühen der Bundesregierung, zumindest Internetseiten des Bundes auch für geistig behinderte Menschen möglichst "barrierefrei" zu gestalten, mit Zugängen, wo das Prinzip einer möglichst einfachen Sprache umgesetzt wird, indem man komplexe Begriffe und lange Sätze vermeidet und Zusammenhänge durch Grafiken verdeutlicht. In der Kommunikation von Mensch zu Mensch allerdings sind noch ganz andere Barrieren zu überwinden, von beiden Seiten her.

Die Hexenverfolgung in Rinteln

Cornelia Kurth

Der 30jährige Krieg und die große Pest, sie hatten im 17. Jahrhundert dazu geführt, dass es in Rinteln kaum mehr als 1100 Einwohner gab, die Kinder mitgezählt. Was für ein bedrückender Gedanke, dass von diesen wenigen Bürgern nach und nach insgesamt 36 Frauen und drei Männer zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden, weil es als erwiesen galt, dass sie auf hexerische Weise mit dem Teufel im Bunde standen. "Das war immer ein Riesenspektakel", sagt Angelika Bödecker, die selbst eine Art Hexe ist, allerdings nur im Spiel, wenn sie Rinteln-Besucher auf eine historische Stadtführung mitnimmt. "Mitleid für die Verurteilten gab es kaum, auch nicht angesichts der grausamen Hinrichtungsart. Die Hexen waren böse, taten Böses, und das Böse musste vernichtet werden."

Bevor die "Hexen" an einen Pfahl auf dem Scheiterhaufen gebunden den öffentlichen Feuertod erleiden mussten, oft von Schmährufen der Zuschauer begleitet, hatten sie einen langen Leidensweg zu durchschreiten. Das letzte Stück davon führte sie durch die Gassen der Stadt, wenn sie aus dem Hexengefängnis unter der hinteren Treppe des Rathauses hervorgeholt und auf einen Karren verladen wurden, der nach oben hin geschlossen war, damit sie nicht in letzter Sekunde entflohen - Hexen können ja, das wussten alle, fliegen. Aus der Stadt heraus über die hölzerne Weserbrücke ratterte der von Henker und Bevölkerung begleitete Karren, um entweder am heutigen Weseranger Halt zu machen, oder am ehemaligen "Galgenfeld", wo jetzt das Betonwerk Scheidt angesiedelt ist.

Geistlicher Trost war für die Frauen kaum zu haben. Zwar gab des damals den protestantischen Magister Wilhelmi, Prediger in der Nikolaikirche, der die Angeklagten in ihrem Gefängnis aufsuchte. Wer aber auf Beistand gehofft hatte, sah sich einem Mann gegenüber, den die gestrengen Juristen von der Universität "Ernestina" beauftragt hatten, Geständnisse anzubringen, speziell von Angeklagten, die bisher der Folter widerstanden hatten. Ohne ein Geständnis durfte niemand hingerichtet werden, soweit war die Rechtsprechung immerhin. Magister Wilhelmi konnte sich rühmen, schließlich immer ein Geständnis zu erlangen.

Und wer weiß, vielleicht war das noch besser für die Angeklagten, als wieder und wieder dem "Peinlichen Halsgericht" übergeben zu werden, der Folter, die oben im Rathaussaal vom Henker und seinen Knechten durchgeführt wurde, und die von Mal zu Mal heftiger ausfiel, stellte sie doch in den Augen der Gerichtsbarkeit ein "Mittel zur Wahrheitsfindung" dar, ganz so, wie es in Schriften wie dem "Hexenhammer" dargelegt wurde und wie es auch der damals berühmte Jura-Professor und Hexentheoretiker Hermann Goehausen von der "Ernestina" lehrte und in seinen Schriften vertrat. Sterben sollten die Gefolterten nicht, auch wenn das manchmal aus Versehen geschah. Sie sollten endlich gestehen, damit die Angelegenheit mit dem Feuer zuendegebracht werden konnte.

Dass man sich so sicher war, die Frauen, um die es ging, seien wirklich Hexen, so sehr sie es auch leugneten, es hing auch damit zusammen, dass es in Rinteln damals noch die "Wasserprobe" gab (auch wenn die von der katholischen Kirche bereits im 13. Jahrhundert verboten worden war). Der maßgebliche Professor Goehausen nämlich war der Überzeugung, dass die "kalte Wasserprobe" legitim und zuverlässig sei, dergestalt, dass eine der Hexerei verdächtige Person, überkreuz an Händen und Füßen zusammengebunden und dann ins Wasser geworfen, nicht untergehen werde, wenn sie wirklich eine Hexe war. Wasser ist rein und werde nichts Unreines aufnehmen, so die zugrundeliegende Auffassung.

Zwar galt das Ergebnis der Wasserprobe nicht als endgültiger Beweis, wohl aber als hartes Indiz im Prozess. Lange hieß es, die beiden Teiche nahe der Arensburg seien "Hexenteiche" gewesen, doch konnte Angelika Bödecker, die sich intensiv mit der Quellenlage beschäftigte, keinen Beleg dafür finden und meint, die Wasserproben seien wohl einfach an der Weser durchgeführt worden. Tatsache ist: Die wenigsten Frauen gingen tatsächlich unter. Das lag zum einen daran, dass sie mehrere dicke Röcke übereinander trugen, deren Luftschichten sie über Wasser hielten, zum anderen auch an dem Umstand, dass die Henker nur dann für seine Arbeit bezahlt wurden, wenn sich die Frau als Hexe erwies.

So nutzen sie meistens nur ein kurzes Seil, an dem die Frauen wieder herausgezogen wurden, und sie beeilten sich damit, falls jemand unterzugehen drohte. Ebenso wenig wie bei der Folter, sollte die Angeklagten bereits bei der Wasserprobe sterben. Doch nicht immer gelang es, die Untergegangenen rechtzeitig vor dem Ertrinken an Land zu ziehen. Oben an der Schaumburg steht ein alter Baum, die sogenannte "Hexenlinde". Man kann sie als eine Art Denkmal ansehen, zur Erinnerung an eine junge Frau, die dort, bevor sie auf die Probe gestellt werden sollte, einen Lindenzweig in die Erde steckte mit den Worten: "So wahr diese Linde grünen wird, so wahr bin ich keine Hexe". Die Frau ertrank, was für ihre Unschuld sprach, und tatsächlich ergrünte im nächsten Jahr auch ein neues Lindenbäumlein. Wenigstens hatte sie ein "ehrliches" Begräbnis bekommen, etwas, das Kriminellen verweigert wurde.

Aus heutiger Sicht kann man nur staunen, wie irrational die Beweisführungen in den Hexenprozessen abliefen, staunen auch deshalb, weil praktisch jede Frau in die Situation kommen konnte, der Hexerei beschuldigt zu werden. 125 dokumentierte Beschuldigungen gibt es aus der Rintelner Zeit des 17. Jahrhunderts, wackeren Bürgermeistern war es zu verdanken, dass es nur bei einem Drittel von ihnen dann wirklich zu einer Anklage kam. Neun erhaltene Protokolle geben einen Einblick, welchen Anwürfen sich angebliche Hexen zu stellen hatten: Eine Lucie Kunschopper zum Beispiel, der man vorwarf, ihr eigenes Kind mit einem Apfel vergiftet zu haben, soll außerdem auch Kühe und Schweine in der Nachbarschaft vergiftet und sich schließlich mit Absicht die Zunge abgebissen haben, damit sie den Teufel nicht verrate. Je mehr Bürger befragt werden, desto mehr Vergehen sammeln sich an, die, wenn sie sich nicht unmittelbar beweisen ließen, eben schon 15 oder 20 Jahre zurücklagen. Lucie Kunschopper hatte keine Chance und starb unter der Folter.

Wer die Folter nun aber bis zu dem so gut wie nie ausbleibenden Geständnis überlebte, mit Wunden, die vom Henker höchstpersönlich verbunden und gepflegt wurden, dem stand nun das "Galgenfeld" bevor. Hinweg mussten die Hexen, da gab es keine Gnade. Bestenfalls erbarmte sich ein Henker oder ließ sich von Angehörigen bestechen, dass er die arme Frau am Pfahl erwürgte, bevor sie ein Opfer der Flammen wurde. Ein anderer Tod als der auf dem Scheiterhaufen wäre nicht in Frage gekommen, um das Böse wirksam zu vernichten. Die Asche der Verbrannten wurde auf dem Feld verstreut, auf dass nichts und niemand an sie erinnern würde. Wenigstens das ist den Richtern und den Henkern nicht gelungen.

Zur Ehrenrettung Rinteln sei noch angemerkt, dass der Buchdrucker Peter Lucius im Jahr 1631 das wohl berühmteste Buch gegen die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung druckte, Friedrich von Spees "Cautio criminalis". Unter der Folter, so heißt es darin, würde jeder, gar der König selbst, zugeben, dass er mit dem Teufel im Bunde sei. Diese aufklärerische Schrift diente auch anderen Gegnern der Hexenprozesse als Argumentationsbasis und veranlasste eine Reihe von deutschen Fürsten, die Hexenjagden einzustellen zu lassen.

EU contra E-Zigarette

Cornelia Kurth

Helmut Gerth hat in seinem Rintelner Fachgeschäft für Vorwerk-Staubsauger einen kleinen Shop eingerichtet, wo er elektronische Zigaretten verkauft und die dazugehörigen Liquids, die in den E-Zigaretten verdampft werden. Das ist sein zweites geschäftliches Standbein. "Ich fürchte allerdings, dieses Bein wird mir wohl bald abgehackt werden", sagt er. Demnächst soll die Neue Europäische Tabakproduktrichtlinie abgesegnet werden, und wenn das geschieht, ist es vorbei mit dem 'Dampfen' und für Händler wie mich."

Was ihn daran besonders wütend macht, ist die Begründung für die geplante Gesetzesänderung in Bezug auf die E-Zigarette. "Man bringt das Argument gesundheitlicher Fürsorge - im Übrigen ist die EU gar nicht zuständig für Fragen der Gesundheitspolitik - und ignoriert dabei, dass längst in renommierten Studien belegt wurde: Der Dampf einer E-Zigarette ist nur einen winzigen Bruchteil so schädlich wie der Rauch von verbranntem Tabak." In sein Geschäft kämen fast ausschließlich Kunden, die eine Alternative zum Rauchen suchen, nicht selten sogar auf Empfehlung ihres Arztes. "Ich kenne keinen Nichtraucher, der plötzlich Lust bekommen hätte, mit dem Dampfen anzufangen."

Nun sieht die neue Tabakproduktrichtlinie in erster Linie Verschärfungen rund um den Tabakkonsum vor. Zigarettenpackungen sollen mit Schreckensbildern versehen, aromatisierende Zusatzstoffe wie Menthol, Bezeichnungen wie "light" oder die dünnen "Slim"-Zigaretten verboten werden. Ein kleiner Absatz aber widmet sich auch den E-Zigaretten, ungeachtet der Tatsache, dass sie gar keinen Tabak enthalten, nur den im Labor hergestellten Wirkstoff Nikotin. Genau das Nikotin, nach dem die allermeisten "Dampfer" verlangen und das in unterschiedlichen hoher Konzentration in den aromatisierten Verdampfungsflüssigkeiten enthalten ist, soll nun reglementiert werden.
"Während Raucher weiter rauchen dürfen und sich damit neben dem Nikotin auch krebserregendes Kohlenmonoxid, Teer und die Sucht steigernde Zusatzstoffe zuführen, soll der Nikotingehalt der Liquids so weit reduziert werden, dass er nicht mehr den gewünschten Effekt auslöst", so Helmut Gerth. "Das ist doch total widersinnig!" Die große Mehrzahl der Dampfer wollen eine Nikotinkonzentration zwischen elf und 18 Milligramm pro Milliliter. Vorgesehen ist jetzt eine Obergrenze von vier Milligramm, wobei eine Verbrauchseinheit nie mehr als zwei Milligramm Nikotin enthalten darf - alles abwegig für jemanden, der vom Rauchen aufs Dampfen umgestiegen ist.

Auch Bernd Niewelt, Rintelner Fach- und Onlinehändler für Bedarf rund um die E-Zigarette, kann nur den Kopf schütteln. "Da gibt es nun eine Alternative zum Rauchen, eine eigentlich großartige Erfindung für alle, die auf Nikotin nicht verzichten können oder wollen, und dann soll das einfach kaputtgeschlagen werden? Das wäre in meinen Augen Wahnsinn. Mit Gesundheitspolitik hat das überhaupt nichts zu tun, es geht da ganz einfach nur ums Geld." Er selbst kümmere sich schon gar nicht mehr um das, was angestellt werde, um die E-Zigarette vom Markt zu fegen. "Ich gehe einfach optimistisch davon aus, dass sich der gesunde Menschenverstand und die Vernunft durchsetzen werden. Schließlich musste das E-Zigarettenverbot in NRW ja auch per Gerichtsbeschluss wieder zurückgenommen werden."

Von allen Rauchern, die versuchen aufzuhören, sind gerade mal drei, höchstens fünf Prozent nach einem Jahr noch rauchfrei, so sagt es die Statistik. Die Erfolgsquoten sehen zwar besser aus für diejenigen, die nicht aufgeben und sich auf therapeutische Rauchentwöhnungsprogramme einlassen. Die Deutsche Krebsgesellschaft aber veröffentlicht auf ihren Internetseiten Zahlen, nach denen etwa ein Viertel der erwachsenen Deutschen regelmäßig rauchen, davon 30 Prozent über 20 Zigaretten pro Tag und etwa 2,5 Prozent mehr als 40 Zigaretten täglich. "Lungenkrebspatienten gehören fast immer zu diesen schwer abhängigen Rauchern", heißt es da. (Davon, dass der Dampf der E-Zigarette erwiesenermaßen keinerlei krebserregende Stoffe enthält, steht nichts auf der Seite.)

Angesichts solcher Fakten im Gesetzesentwurf damit zu argumentieren, die E-Zigarette müsse quasi verboten werden, weil sie nicht vom Nikotin wegführe, das sei einfach nur deprimierend, so Helmut Gerth. "Höher konzentrierte Nikotin-Liquids sollen die äußerst kostspielige Prüfung zum Arzneimittel bestehen müssen und dann nur noch als Mini-Einheiten in Apotheken verkauft werden", sagt er. "Dabei weiß man doch längst, dass nikotinhaltige Entwöhnungsmittel kaum zum endgültigen Rauchstopp führen. Seltsames 'Arzneimittel'".

Anders als Online-Fachhändler Bernd Niewelt, der einfach nicht glauben will, dass derart "dreiste" EU-Lobbypolitik sich in den der Gesetzesverabschiedung noch anstehenden Überprüfungen durchsetzen wird, hat sich Helmut Gerth vorsichtshalber schon auf eine Zukunft ohne sein zweites geschäftliches Standbein E-Zigarette vorbereitet. Er wird eine weitere hochwertige Staubsaugermarke in sein Programm aufnehmen. "Mir tun all die vielen kleinen Händler leid, die dann in den Abgrund gerissen werden", sagt er. "Und auch die Dampfer, von denen der größte Teil erneut zur Tabakzigarette greifen wird, mit all den harten gesundheitlichen Konsequenzen."

Dienstag, 5. März 2013

Sie möchte ein Kind, er will ein Boot

Cornelia Kurth

In den nächsten Tagen erscheint ein Buch, so rührend verrückt, dass es gute Chancen haben dürfte, ein Verkaufserfolg zu werden. Sein Titel: „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen…“. Der Inhalt: Auszüge aus Teenager-Tagebüchern. Die Herausgeberinnen: Zwei etwa 30-jährige Frauen aus Hamburg, die selbst unendlich viele Tagebücher vollkritzelten und vor zwei Jahren auf die Idee kamen, regelmäßig zu einem „Diary Slam“ aufzurufen, zu Veranstaltungen also, bei denen man sein altes Tagebuch mitbringt und daraus mutig vor vielen Zuhörern vorliest, um zum Sieger des Abends zu werden.
Wer das wagt, der muss mit der damaligen Zeit emotional abgeschlossen haben, sagen die Autorinnen. Es sei nämlich unvermeidbar, dass gerade die gefühlvollsten Passagen zu wahren Lachstürmen im Publikum führen.

Ella Carina Werner, eine der beiden Buchautorinnen und „Erfinderinnen“ des Diary-Slam (Slam heißt so viel wie „Schlagabtausch“) stammt aus Bad Oeynhausen, und wer schon einmal dabei war, wenn sie selbst aus ihren alten Tagebüchern liest, weiß eine ganze Menge über das Mädchen aus der Provinz, das sie damals war. Darüber, dass ihr Vater Psychologe und ihre Mutter Bauchtänzerin war, steht zwar nichts in ihren Notizen, dafür aber umso mehr über einen „René Kübel“.
Im Mai 1995 heißt es: „O man, René Kübel, ich habe dich so lieb. Du bist nicht schön, aber für mich gibt es niemand Faszinierenderen als dich.“ Wenig später: „Kübelchen, du bist ja so süß!“ Kurz darauf: „René Kübel, ich bin so verrückt nach dir!“ Und dann: „Bin mit Kübel zusammen. Schade, dass wir nicht so gut über Gefühle und Probleme reden können – er hat von beidem nicht viel.“
Blick nach Hamburg: Hier findet der „Diary-Slam“ statt. In der Kneipe „Aalhaus“, eine typische, gemütliche Eckkneipe mit Holztischen und schummrigem Licht, in der sich nun über 100 Menschen dicht an dicht drängeln, in der Hoffnung, dass sich unter ihnen einige befinden, die ihr Tagebuch dabeihaben und sich auf die kleine Bühne wagen. Schließlich melden sich fünf Frauen – Männer sind eher selten unter den Vorlesern – und der Moderator bestimmt noch eine zweiköpfige Jury, die am Ende entscheiden soll, wer ein niedliches kleines Tagebuch gewinnt.

Zur Einstimmung stellt sich Nadine Wedel, die zweite Herausgeberin des Tagebuch-Buches an Mikrofon. „Es sind ja Geschichten, die niemals für ein Publikum gedacht waren“, sagt sie. „Aber die meisten von uns fühlen sich ja liebend gerne in den großen Leidensdruck der anderen ein.“
Ihr erster Eintrag als Fünfzehnjährige: „Ich habe mich in Marco verliebt. Ich wollte nicht, aber was soll ich tun, ich habe keine Macht über meine Gefühle.“ Immerhin stellt sie dann doch eine ganz rationale Liste dessen auf, was in der nächsten Zeit für sie besonders wichtig sein soll: „1. Wirtschaftsschule. 2. Marko. 3. Gesundheit.“ Schon hier klatscht das Publikum, und tatsächlich wird es auch im weiteren Verlauf des Abends immer wieder einfach umwerfend sein, auf wie manchmal überschwängliche, manchmal unbeholfene, immer entwaffnend ehrliche Weise die damaligen Tagebuchschreiberinnen zu fassen versuchten, was in und mit ihnen geschieht.

Da ist zum Beispiel Astrid, heute eine 63-jährige Lehrerin, damals eine 21-jährige junge Frau, die schrieb: „Mein Tagebuch soll mir helfen, mich im Zwiegespräch mit mir besser kennenzulernen.“ Der zweite Eintrag dann: „Oh – ich habe lange nichts geschrieben, dabei liegt zwischen dem ersten und dem heutigen Datum meine Hochzeit.“ Man ahnt schon, dass es diese Ehe nicht weit bringen wird: „Jürgen sagt, ich sei bewegungsfaul, stimmt ja, aber er sagt es vorwurfsvoll und ohne Verständnis.“ Und dann: „Wir waren bei der Einzel-Eheberatung. Ergebnis in Stichworten – ich möchte ein Kind, Jürgen ein Boot.“
Astrid liest das ganz gelassen vor, den Publikumsjubel nimmt sie ruhig entgegen. Dabei findet sie selbst diese Auszüge gar nicht so lustig. Sie hatte in der Zeitung einen Bericht über das „Diary Slam“ gelesen und daraufhin, klassisch, auf dem Dachboden nach dem Karton mit alten Tagebüchern gesucht. „Es war seltsam und spannend, diese Geschichte wieder an mich ranzulassen“, sagt sie später im Gespräch. „Ich war doch ziemlich bewegt und dachte, es sei eine gute Möglichkeit, einfach hier vorzulesen und es dann endgültig hinter mir zu lassen.“ Im Tagebuch sah das so aus: „Endlich leben und ich selbst sein! In vier Tagen Spirale raus und in sechs Tagen Scheidung einreichen!“

Sigrid, Jahrgang 1960, begann mit 13 Jahren das erste Tagebuch und hat inzwischen eine ganze Bibliothek davon angesammelt. Das Buch, aus dem sie liest, trägt den Namen „Conni“ und wird wie ein echtes Gesprächsgegenüber persönlich angesprochen, als säße sie mit der liebsten Freundin beim Tee. Mit 14, als Konfirmandin, verachtet sie die Erwachsenen in der Kirche. „Ihnen ist ihre Überzeugung egal, sie haben ja eh nichts anderes und Kirche gehört bei ihnen dazu wie Geschirrspülen oder Schweinefüttern.“ Sie selbst fühlt sich wie „eine alte, hässliche, verbrauchte Ehefrau“, was sie nicht daran hindert, sich entschieden mit „Claudia, der Wahrheitsrechtlerin“ zu kloppen, weil die nämlich ihre Freundin als „Hure“ beschimpfte, ein im Jahr 1974 beinahe unglaubliches Schimpfwort.
Alle, die auf die Bühne treten und lesen, werden von der Sympathie des Publikums wie auf Händen getragen. Es gibt Lachen und Beifall, Zurufe und Bitten um Zugaben. Jeder Kleinkünstler könnte sich über solch eine Wirkung glücklich schätzen.
Im Vorwort zum Buch „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen…“, erklären Ella Carina Werner und Nadine Wedel es so: „Das Tagebuch muss raus aus der Schublade, rein ins Rampenlicht. Denn es hat alles, was ein guter Text braucht: Helden und Antihelden, wüste Plots und steile Pointen, Bösewichte und Sündenböcke, Liebesdramen, Tragödien, Happy Ends und jede Menge Identifikationspotenzial.“

Bisher hat so ein Diary Slam deutschlandweit nur in wenigen großen Städten stattgefunden. Dafür gab es in Hameln-Pyrmont und Schaumburg immerhin bereits recht erfolgreiche „Poetry Slams“, also Wettstreite wer, oft auch spontan, das beste Gedicht vorzutragen hat. Uta Fahrenkamp, Buchhändlerin in Rinteln, sie könnte sich vorstellen, bei der Organisation eines „Diary Slams“ dabei zu sein. „Meine eigenen Tagebücher habe ich allerdings alle verbrannt“, sagt sie. „Wie schade, denn jetzt wünschte ich doch, ich könnte mich am Vorlesen beteiligen.“
Es sei ziemlich häufig der Fall, dass man im Erwachsenenalter seine Jugendtagebücher vernichte, so Ella Carina Werner. Bevor man nicht wirklich über die Irrungen und Wirrungen der Jugend hinausgewachsen ist, sollte man sie also vorsichtshalber noch in ihrem Versteck lassen.
Wer aber wagt, auf den Dachboden oder in den Keller zu steigen, in Schubladen und Kartons nach alten Aufzeichnungen zu wühlen, muss sich darauf gefasst machen, dass sein Lesestoff in den darauf folgenden Tagen nur noch aus der selbst verfassten „Literatur“ bestehen wird. Mit Glück lächelt man dann über das Ich, das man einst war oder sein wollte, und wer weiß, vielleicht ergibt sich daraus dann die Verlockung, Ausschnitte daraus in einem Schaumburger Diary-Slam zu präsentieren.
Vor dem eigentlichen „Slam“ braucht man keine Angst zu haben. Dass es Sigrid ist, die in Hamburg das Tagebuch gewinnt, es interessiert kaum, weil einfach alle, die vorlesen, den anderen damit ein wunderbares Geschenk machen.

Was aber alle gerne wissen wollen, ist, wie die Sache zwischen Ella Carina und René Kübel ausging. Nun, anscheinend verlief sie sich, wie so manche weitere ihrer vielfältigen Jungsleidenschaften auch. Die letzte Meldung zum Thema: „Ich möchte voll gerne mit René schlafen. Ich fühle mich jetzt reif und verantwortungsvoll und bin voll geil auf ihn. Nur krieg’ ich die Pille erst in einem Monat, aber da fahre ich erst mal sechs Wochen nach Frankreich.“ Ach ja.
Das Buch „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen….“ erscheint im Scherz-Verlag, kostet knapp 15 Euro und vereint auf 300 gebundenen Seiten Auszüge aus etwa 80 Jugendtagebüchern, eine rundherum erheiternde Lektüre, erst recht, weil auch solche Sätze drin stehen: „Allmählich wird mir mulmig. Wenn jemals einer dieses Buch findet! Ich verteidige es bis in mein Grab. Geschworen.“ (Ellen, 12 Jahre)