tag:blogger.com,1999:blog-5358165614837437462024-03-08T09:49:25.288+01:00Cornelia Kurth - Reportagen und TexteCornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.comBlogger37125tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-14622115830565189412014-08-07T04:40:00.004+02:002014-08-07T04:40:34.256+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Windeln, Stoffwindeln, Schlitzhosen<br />
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Pippi Langstrumpf hätte sie erfinden können, in einer ihrer wilden Geschichten über weit entfernte Länder, die "Kaidangku" nämlich, real existierende sogenannte Schlitzhosen, die fast alle Babys und Kleinkinder in China tragen, damit sie schnell und unkompliziert ihre großen und kleinen Geschäfte erledigen können, ohne dabei die Hose ausziehen zu müssen. Kaidangku, die Schlitzhosen, sie sind zwischen den Beinen offen und lassen einen Teil des Pos frei. Die meisten chinesischen Kinder tragen keine Windeln, und schon gar nicht die Wegwerfwindeln, die hierzulande das A und O rund um die Babypo-Hygiene sind. Wäre ein windelfreies Konzept auch irgendwie etwas für deutsche Eltern?<br />
Kirsten Dornbusch, Familienhebamme im Landkreis Schaumburg muss herzlich lachen über diese Frage. "Windelfrei? Und gar noch Schlitzhosen? Vollkommen abwegig bei allen Eltern, mit denen ich zu tun habe. Niemand denkt auch nur ansatzweise über eine Alternative zur Wergwerfwindel nach." Tanja Steilen, die in Hameln die "Elternschule" leitet und unter anderem Stillberaterin ist, sie berichtet genau dasselbe, ebenso wie die Hamelner Frühförderkraft Anke Battmer, die im "BaKi" Baby- und Kleinkindkurse anbietet. "Es wäre durchaus möglich, ohne Windeln auszukommen", das sagen alle drei. "Aber", so Kirsten Dornbusch, "dafür müssten sich die Eltern ihren Kindern anpassen und nicht umgekehrt die Kinder den Bedürfnissen ihrer Eltern."<br />
Wäre es denn überhaupt im Sinne kleiner Kinder, sie möglichst ohne Wickeln und Windeln aufwachsen zu lassen? Und wie, bitte, soll das denn gehen? Von China-Reisenden jedenfalls hört man allerlei Schauergeschichten über Kinderkot und -urin, der selbst in den Zentren großer Städte die Straßen und öffentliche Einrichtungen verschmutze. Wollen, sollten Kleinkinder jederzeit und überall ihre Geschäfte verrichten dürfen? Oder ist nicht vielmehr die Erfindung der Windel, speziell der bequemen und komfortablen Wegwerfwindel, ein Segen für alle Beteiligten?<br />
"Das ist nicht leicht zu beantworten", sagt Tanja Steilen von der "Elternschule". "Insgesamt haben wir alle uns sehr weit entfernt von dem, was man 'natürlich' nennen könnte." Sie erlebe ständig, wie verunsichert Mütter und Väter im Umgang mit ihren Babys seien. Viele hätten geradezu einen Sauberkeitstick, nicht nur in Bezug auf die Ausscheidungen der Kleinen, sondern überhaupt mit allem, was das Spielen im und mit Dreck betrifft. Und nackt herumlaufen lassen sie die Kinder schon gar nicht. Mehr Unbefangenheit in Bezug auf die kindliche Körperlichkeit, das wünschten sich alle drei Fachfrauen. Andererseits: "Die Wegwerfwindeln sind ja perfekt an den modernen Familienalltag angepasst", so Tanja Steilen. "Sie sitzen gut, saugen die Flüssigkeit so auf, dass der Po lange trocken bleibt, und vor allem muss man nicht groß darauf achten, ob ein Kind in unpassenden Situationen mal muss."<br />
Wer sein Kind "windelfrei" aufwachsen lassen möchte - in manchen Städten gibt es entsprechende Vereine, wo sich Eltern genau zu diesem Zweck zusammentun - der wird sich dabei auf ein besonders enges kommunikatives Verhältnis zum Baby und Kleinkind einlassen. Dann erkennt man, dass schon die kleinen Babys unwillkürliche Zeichen geben, wenn sie "müssen". Hält man es im passenden Moment ab und macht dazu ein immer gleiches Geräusch - in China ist es eine Art Pfiff, in Frage kommt auch ein "tssssst" - dann kann sich bereits in den ersten Lebensmonaten ein Wechselspiel zwischen Eltern und Babys entwickeln, das schließlich zu einem erstaunlich frühem Trockenwerden führt. <br />
In China und auch in anderen Ländern, wo es normal ist, dass Kinder keine Windeln tragen, sind sich die Kleinen oft schon mit einem Jahr ihrer Ausscheidungen so bewusst, dass sie absichtlich signalisieren können, wann es soweit ist. Chinesische Eltern haben oft ein tatsächlich auch "China-Töpfchen" genanntes kleines Gefäß dabei, das es in besonderen Läden auch in Deutschland zu kaufen gibt. "Es wäre aber gewiss sehr ungewöhnlich, wenn hiesige Eltern umstandslos so ein Töpfchen hervorzögen", so Familienhebamme Kirsten Dornbusch. "Für ein 'Windelfrei' ist unsere Gesellschaft einfach nicht eingerichtet."<br />
Das sind und waren allerdings auch andere und viel frühere Gesellschaften nicht. Die göttliche Maria wickelte den Bibelworten nach ihren Jesus-Sohn in Windeln. Im mittelalterlichen Europa waren es oft Lein- und Schafwollhöschen, die mit Heu oder Stroh ausgestopft wurden. Die ländliche Bevölkerung Afrikas nutzt bunte Wickeltücher, die bei Bedarf am nächsten Fluss ausgewaschen werden, und die Babys der Inuit tragen Lederwindeln mit einer Mooseinlage. Auch unsere unmittelbaren Vorfahren benutzen selbstverständlich Stoffwindeln für die Kleinen, die jede Menge Arbeit verursachten, gab es doch in den wenigsten Groß- und Urgroßelternhaushalten bereits Waschmaschinen, so dass die verdreckten Tücher erst grob gereinigt und dann in großen Töpfen ausgekocht wurden.<br />
So erschien es vor allem den Müttern wie ein Geschenk des Himmels, als im Jahr 1973, 12 Jahre, nachdem sie in Amerika herausgekommen waren, die ersten Wegwerfwindeln auf den Markt kamen, die "Pampers". Deren Name leitet sich vom englischen "to pamper" ab, was so viel wie "verwöhnen" heißt, und dieses "Verwöhnen" bezog sich nicht nur auf den Babypo, sondern auch auf die Hausfrau, deren Leben durch diese Erfindung so spürbar erleichtert wurde.<br />
Diese Windel-Revolution fordert allerdings einen hohen Preis in Form von geradezu gigantischen Müllbergen. Da Kinder in den superbequemen Windeln kaum etwas davon merken, wenn sie bereits voll gemacht sind, dauert es meistens die ersten zweieinhalb bis drei Lebensjahre, bis sie auf die Schutzhülle rund um den Po verzichten können. Etwa 5000 Windeln verbraucht das durchschnittliche Kind, allein in Deutschland fallen jährlich um die 340 Tausend Tonnen höchst problematischen Windelmülls an, dessen Kunststoffbestandteile 300 Jahre und mehr brauchen, um zu verrotten. <br />
Als sich nachdenkliche Eltern dieses Problems vor etwa 20 Jahren zum ersten Mal bewusst machten, gab es einen kleinen Boom auf Stoffwindeln, solange, bis die Windelindustrie in großen Kampagnen verbreitete, dass diese wegen des hohen Reinigungsaufwandes letztlich umweltschädlicher seien als die Wegwerfwindeln. "Ich selbst habe meine drei Kinder auch in Stoffwindel gewickelt", so Tanja Steilen. "Aber es war schon mit ziemlich viel Arbeit verbunden."<br />
Heute könnte das ganz anders aussehen, das betonen die drei erfahrenen Frauen. "Die modernen Stoffwindel-Systeme sind eigentlich die perfekte Alternative zur Einwegwindel", so Anke Battmer von "BaKi". "Ich überlege sehr, ob ich nicht in Süddeutschland, wo sie üblicher sind, eine Ausbildung zur 'Stoffwindel-Beraterin' absolviere." Die aktuellen Windelhöschen haben kaum noch etwas mit den traditionellen Stoffwindel gemein. Sie bestehen aus einem Überhöschen in, falls gewünscht, ziemlich poppigem Design, in welches ein spezielles Vlies eingelegt wird, dass sich umstandslos und ökologisch fast neutral entsorgen lässt. Das Höschen selbst muss nur alle paar Tage gewaschen werden. <br />
Trotzdem hatten weder Kirsten Dornbusch noch Anke Battmer und Tanja Steilen bisher eine Chance, solche Windelsysteme ihrer Elternklientel nahezubringen. "Sowas ist einfach kein Thema", sagt Tanja Steilen. "Die Einwegwindel hat sich überall in den Köpfen eingebrannt, und man müsste für einen Einkauf auch bis nach Hannover fahren oder sich übers Internet kundig machen." Nicht nur die etwas teure Erstausstattung schrecke Eltern ab (und das, obwohl sich die Investition in kürzester Zeit amortisiert), sondern auch das, was sie den "Verlust der Natürlichkeit" nennt und was auch Kirsten Dornbusch feststellt: "Viele Eltern fürchten sich vor den Ausscheidungen ihrer Kinder, und sie fürchten auch, was nicht der Fall ist, es könne den Kindern schaden, wenn sie mal etwas länger mit den Ausscheidungen in Kontakt bleiben." <br />
Die Wegwerfwindel-Industrie ist aktuell dabei, sich den chinesischen Markt zu erobern und "Kaidangku" langsam zu verdrängen. Setzen Pampers und Konsorten sich dort endgültig durch, kämen jährlich über neun Millionen Tonnen Windelmüll hinzu. "Wirklich - ich sollte Stoffwindelberaterin werden", so Anke Battmer. "Das wäre immerhin ein Anfang zum Umdenken."<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-85287805478370141092014-08-07T04:35:00.001+02:002014-08-07T04:35:03.099+02:00<br />
Seeigel, Donnerkeile und Fossilien - Rügen und Schaumburg<br />
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Von Cornelia Kurth<br />
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Peter Kujath aus Emmerthal kennt dieses starke Gefühl, Mike Polschinski kennt es ebenfalls, und auch ich sehne mich immer wieder danach, es neu zu erleben, dieses ganz bestimmte Glücksgefühl, das etwas Kindliches hat, weil der Anlass dafür so harmlos ist und auch, weil viele einen dafür belächeln. Es baut sich auf beim geduldigen Suchen und überflutet einem beim Finden von - Versteinerungen. Seeigel etwa, die aussehen können wie am Strand verloren gegangene Schmuckstücke, sie lösen aus, was Hobby-Paläontologe Mike Polschinski so umschreibt: "Das Glück, etwas einst Lebendiges in den Händen zu halten, viele Millionen Jahre alt, und noch nie zuvor hat es ein anderer Mensch berührt."<br />
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Polschinski ist Sprecher des Paläontologischen Arbeitskreises Porta Westfalica, Peter Kujath handelt mit Versteinerungen und Mineralien, und ich bin eine von denen, die Sommer für Sommer stundenlang über steinige Strände an der Ostsee wandern, das Rauschen des Meeres im Ohr und die Augen zu Boden gerichtet, um sie über die unendlich vielen Steine schweifen zu lassen. Seeigel können faustgroß sein oder klein wie ein Knopf. Manchmal sind sie perfekt erhalten mit ihren fünf sternförmigen Streifen und den fein angeordneten Punkten dort, wo einst die Stacheln saßen, meistens allerdings findet man Bruchstücke. Mein Blick ist so geübt, dass ich im Steingewirr selbst kleinste, abgeschrabbelte Teile entdecke, und auch diese erfreuen mich.<br />
"Ja, Sie suchen Versteinerungen, die die Natur bereits präpariert hat", sagt Peter Kujath. "An der Ostsee befreit das Meer die Fossilien aus dem umgebenden Gestein und schenkt Ihnen fix und fertig ein schönes Stück. Ich bin ja eher mit Hammer und Meißel unterwegs." Jedenfalls dann, wenn er sich zum Beispiel aufmacht in den aufgelassenen Steinbruch Pötzen im Süntel, wo jedermann nach Versteinerungen suchen darf, die zwar nur selten einfach so herumliegen, sondern noch im Gestein festsitzen, dafür aber nicht die typischen Schleifspuren zeigen, die entstehen, wenn ein Stein zwischen anderen Steinen von den Wellen hin und hergestoßen wurde. <br />
Da das Weserbergland, wie ganz Norddeutschland, vor rund 150 Millionen Jahren Teil eines Meeresbodens war, gehören in erster Linie Seelilien, kleine Muscheln und ab und zu auch ein Seeigel zu den Fundstücken. In Kreidegruben sind sie wie eingebacken in eine bröckelige weiße Kreideschicht und müssen mit Drahtbürste, Stichel oder einem kleinen Schleifgerät freigelegt werden. Peter Kujath liebt es, sich mit dieser durchaus meditativen Arbeit zu beschäftigen, obwohl sich mit solchen Dingen kein Geld verdienen lässt. Kaum jemand kauft Versteinerungen, die ein anderer gefunden hat, abgesehen von wirklich prächtigen Ammoniten oder Abdrücken von Tieren, die sich zwischen Sandsteinplatten erhalten haben. <br />
An der Ostsee steht das glückliche Finden im Mittelpunkt der Liebe zu Versteinerungen, und dazu die Atmosphäre am Wasser und unter der Steilküste, wo man meistens ganz alleine ist, übliche Touristen zieht es an die für Steinesucher langweiligen Badestrände. Mit Bruder und Schwester, wir drei seit unserer Kindheit fasziniert von versteinerten Seeigeln, und auch von den "Donnerkeilen", den orange-leuchtenden, pfeilspitzenähnlichen Überresten bereits ausgestorbener Tintenfische, den Belemniten, mit ihnen war ich gerade auf der Insel Rügen, dort, wo aus der hochhaushohen Kreideküste ständig neue Fossilien herausbrechen. Mit unserer kleinen Reise erfüllten wir uns den langgehegten Traum, ungehindert von familiären Pflichten Stunden und abermals Stunden unterwegs zu sein.<br />
Die Schätze, die dort auf einen Finder warten, man bezahlt sie mit dem eigenartigen Gefühl, ständig unter einem Damoklesschwert zu wandern, so extrem steht die Kreidewand über dem schmalen Strand, so, als könnten einen Abbrüche jeden Moment unter sich begraben. Bäume neigen sich über den Rand in 30, 40 Meter Höhe, andere, mächtige Stämme stecken kopfüber in der Steilwand oder versperren den Weg, so dass man sich beim Ausweichen nasse Füße im Meer holt, dessen Wogen heranrollen. Dafür rufen einen auf Schritt und Tritt die Donnerkeile herbei, die man weniger findet als vielmehr einfach aufhebt. Die Rügener Seeigel versteinerten in Feuerstein, sie sind hellblau, dunkelblau, grau, schwarz, weiß und oft so groß, dass der Rucksack langsam immer schwerer wird. Unmöglich aber kann man sie liegenlassen.<br />
Versteinern, was genau das in Bezug auf die meisten Seeigel bedeutet, erklärt Dr. Detlef Grzegorczyk, im Münsteraner LWL-Museum für Naturkunde zuständig im Bereich der paläontologischen Bodendenkmalpflege. Die abgestorbenen Tiere sanken damals auf den Meeresboden, wo sie ihre Stacheln verloren und von allerlei Tieren gefressen wurden, bis nur noch ihre Hülle übrigblieb, die sich mit Sedimenten ausfüllte, so, dass ein genaues Stein-Abbild des Tieres entstehen konnte. Manchmal bleibt die Kalkschale erhalten und glitzert in der Sonne mit ihren wie eingemeißelten Schuppenreihen. Mund und Anus sind dann genau zu erkennen, als Teil der kunstwerkähnlichen Maserung. <br />
Im Schneckentempo nur kommen wir bei der Suche an der Rügener Küste voran. Bückt sich einer von uns, um etwas aufzuheben, stoppen auch die anderen: Wo ein Seeigel ist, sind meistens noch mehr. Wie Kinder zeigen wir uns die Funde, begutachten sie genau, gar nicht nach wissenschaftlichen Kategorien, sondern daraufhin, wie wunderschön sie aussehen, wie gut sie erhalten sind, wie sanft sie in der Hand liegen, und wir führen dabei die Gespräche, die seit Jahrzehnten immer dieselben sind: Wie es nur kommt, dass diese Spuren von Urzeitleben uns so sehr bewegen.<br />
Mike Polschinski, der das alles auch so gut kennt, er freilich lässt den wissenschaftlichen Blick nicht außen vor. "Unsere Region hat weltweite Bedeutung", sagt er. "Nicht nur ist sie Dinosaurierland, wo man tatsächlich versteinerte Dinosaurier-Knochen finden kann. Damals herrschte zudem ein subtropisches Klima mit reicher Flora und Fauna im Urmeer." Schade nur, dass man als Suchender kaum auf Zufallsfunde hoffen kann. Außerhalb von Steinbrüchen und Kreidegruben entdecke man höchstens hier und da mal winzige Muscheln an Waldböschungen oder auf frisch umgepflügten Ackerrändern. Alles andere ist im Gestein versteckt, und auch noch aus anderen Gründen nicht frei zugänglich.<br />
Ohne spezielle Genehmigungen darf man nicht einfach Steinbrüche und Gruben betreten oder sich sonstwie auf Privatgelände zum Sammeln herumtreiben. Wenn Mike Polschinski als Mitarbeiter des Bergbaumuseums von Kleinenbremen als einziger weit und breit mehrmals im Jahr Führungen zu Fundstellen anbietet, dauert es vorher oft Monate, bis er die entsprechenden Erlaubnisse von den Firmen, denen das Gelände gehört, erhalten hat. Auch da, wo nicht mehr gearbeitet wird, kann es gefährlich sein, an den steilen Hängen herumzuklettern. Der alte Steinbruch Pötzen mit seinem freien Zugang für alle ist da eine Ausnahme.<br />
Hat die Vorbereitung aber geklappt, dann können bis zu 25 Interessierte an so einer Exkursion teilnehmen, auch Kinder ab acht Jahren. Hammer, Meißel, Handschuhe und am besten auch eine Schutzbrille sollten im Gepäck sein, die Kleidung muss geländetauglich sein, besonders das Schuhwerk, und jeder bekommt Schutzhelm und Warnweste gestellt. Den ganzen Tag ist man dann unterwegs, und wenn alles gut läuft, bringt man versteinerte Ammoniten, Muscheln, Fischzähne und Pflanzen mit nach Hause. Seeigel und Donnerkeile werden kaum dabei sein, aber, so Polschinski, das Glücksgefühl des Suchens und Findens, das sei auch im Weserbergland zu haben. Eben überall da, wo Wesen aus der Vergangenheit von Hundertmillionen Jahren zu uns sprechen, davon, dass sie lebten, die Meere bevölkerten, dass sie untergingen und trotzdem irgendwie noch da sind. <br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-63684360618639963172014-08-07T03:31:00.001+02:002014-08-07T03:31:12.681+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Ziegenmilch und Schafskäse für Vegetarier<br />
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Dass Bücher über eine vegane Lebensweise aktuell die Bestsellerlisten erobern ist kein Wunder. Nicht nur Tiere, die als Fleischlieferanten dienen, leben unter Bedingungen, die empfindsamen Menschen den Appetit verderben können, auch die über vier Millionen Milchkühe Deutschlands werden in der modernen Massentierhaltung eher wie Melkmaschinen denn wie Lebewesen behandelt. Wer sich mit halbwegs gutem Gewissen ernähren will, müsste eigentlich auch Milch, Jogurt, Quark und all die wunderbaren Käsesorten vom Speisepan streichen. So jedenfalls sieht es die Ernährungsberaterin Brigitte Ahrens aus der Verbraucherzentrale Niedersachsens in Hannover: "Im Grunde sollte man auf Milchprodukte ganz verzichten", sagt sie.<br />
Diese ziemlich radikal wirkende Aussage von offizieller Stelle fällt in einem Gespräch über Alternativen zu Kuhmilchprodukten. Milchkühe sind auf Hochleistung gezüchtete Tiere, die mit speziellem Kraftfutter ernährt werden, um es durchzuhalten, ihr riesiges, für Krankheiten sehr anfälliges Euter täglich mit an die 40 Liter Milch anzufüllen. Sie können sich kaum bewegen, ihre Lebensspanne im meist engen Stall beträgt nur wenige Jahre, die Kälber werden sofort von den Muttertieren getrennt, kurz: Vegetarier müssten, um konsequent zu sein, neben Fleisch und Wurst auch den Käse auf den Index setzen. Gibt es denn wirklich keine Milchprodukte, die man mit gutem Gewissen verzehren kann?<br />
Tatsache ist: Die radikale Lösung, sich nur noch an der veganen Kühltheke von Bioladen und Reformhaus zu bedienen, die werden echte Genießer kaum durchhalten. Die Milch selbst, dazu auch Jogurt und eventuell Quark zwar lassen sind einigermaßen durch Soja-Produkte ersetzen. Wohlschmeckender Käse aber ist ohne Milch nicht zu haben. Das bestätigt sogar die engagierte Inhaberin des Rintelner Reformhauses Sabine Korf, die ansonsten sehr überzeugend solche Kunden berät, die sich einer veganen Ernährungsweise annähern wollen. "Es ist so - Soja-Käse wird immer etwas trocken schmecken. Mit Soja kann man weder Geschmack noch Konsistenz von echtem Käse erreichen." Sie empfiehlt raffiniert gewürzten Streichkäse, der sich sogar zum Überbacken eignet. Doch immer nur Streichkäse oder langweilige Käsescheiben aus der Plastikverpackung für Menschen, die gleichzeitig ja auch auf Wurst verzichten? Deprimierende Aussichten.<br />
Ernährungsberaterin Brigitte Ahrens sieht da nur einen widerspruchslosen Weg: "Man müsste sich von der traditionellen Ernährungsweise verabschieden", sagt sie. "Die üblichen Brotmahlzeiten mit Aufschnitt jedenfalls, die lassen sich auf Dauer kaum mit Alternativprodukten fortführen." Wer sich mit Gemüsepasten und auch selbst zubereiteten Dipps arrangiere, stehe gut da. Doch viele der veganen Produkte, die mit Hilfe von Soja-Eiweiß Wurst- und Käseaufschnitt nachahmten, hätten neben dem oft unbefriedigendem Geschmackserlebnis noch andere eher problematische Seiten. Sie erfordern zu ihrer Herstellung eine hoch technologische Verarbeitung, enthalten zahlreiche Zusatzstoffe und seien insgesamt zu stark aufgeschlossen, um wirklich für eine ausgeglichene Ernährung empfehlenswert zu sein, ganz abgesehen von den Umweltaspekten der verstärkten Soja-Produktion. "Tofu ja, aber texturiertes Soja - hm..."<br />
Nun geben nicht nur Kühe Milch, sondern auch Ziegen und Schafe. Anders als selbst das unter Biohof-Bedingungen gehaltene, aber ebenfalls allermeistens radikal auf Hochleistung gezüchtete Bio-Milchvieh, eignen sich Ziegen und Schafe nicht für die Massentierhaltung, so wenig jedenfalls, dass Massenställe ohne geeignete Auslauf-Möglichenkeiten vom deutschen Tierschutzgesetz her verboten sind. Das musste auch die Firma Petri-Feinkost hinnehmen, als sie vor einigen Jahren plante, in der Domäne Heidbrink im Landkreis Holzminden 7.500 Milchziegen in drei Großställen zu halten. Im Jahr 2010 wurde dieses deutschlandweit erste Vorhaben einer industriellen Ziegenhaltung vorerst gestoppt.<br />
Leider allerdings sucht man in den Landkreisen Hameln/ Pyrmont und Schaumburg vergeblich nach Produzenten von Ziegen- oder Schafsmilchprodukten. Schaumburger Bürger können sich nach Warmsen im Landkreis Nienburg aufmachen, zur Ziegenkäserei der Familie Barthold, die ihre Produkte jeden Sonntag im Hofladen verkauft, dazu sogar auch per Post versendet. Und die Hamelner immerhin haben es nicht weit bis zum "Ziegenbauer" Willfried Penske und seiner Hofkäserei in Tuchtfeld/ Halle im Landkreis Holzminden. Drei zum Teil vom Aussterben bedrohte Ziegenrassen züchtet er dort, die sowohl Milch als auch Fleisch geben. Mehrere Käsesorten, die auf schonende Weise in seiner Käserei hergestellt werden, verkauft er zusammen mit Ziegenbutter auf Wochenmärkten und direkt im Hofladen. Einmal im Jahr lammen die meisten seiner Muttertiere. "Man könnte sie auch an die drei Jahre einfach durchmelken", sagt er. "Aber bei uns sind die Milchprodukte zugleich Saisonprodukte."<br />
Seine Ziegen leben in offenen Ställen mit Auslauf und weiden zum Teil auch auf den Hängen des Ith und rund um Tuchtfeld. Die Zicklein bleiben nach der Geburt zunächst bei der Mutter, bevor sie dann mit Heu und Kraftfutter ihr Schlachtgewicht erreichen. "Ohne die Zucht von Schlacht-Zicklein gäbe es meine Ziegen nicht", sagt er. Und auch nicht diejenigen der insgesamt nur 20 Erwerbsziegenhalter in ganz Niedersachsen, als deren Sprecher Willfried Penske fungiert. "Wer überhaupt will, dass Ziegen und Ziegenmilchprodukte existieren, der muss auch damit einverstanden sein, dass Ziegenfleisch gegessen wird."<br />
Nicht anders sieht das Karla Ebert, die in Lemgo Schafe züchtet und einen Bio-Hofladen betreibt. "Wer Milch verbraucht, sollte auch Fleisch essen", meint sie. "Es würde wirtschaftlich keinen Sinn machen, die Lämmer nur zum Spaß aufzuziehen, und natürlich auch nicht, sie gleich nach der Geburt zu töten, nur um die Milch zu haben. Wenn wir Schafe nicht schachten würden, gäbe es eben keine Schafe." Wofür sie eintreten kann: Dass ihre Tiere ein "vernünftiges" Leben führen, in offenen Ställen und auf Weiden in der Umgebung. Die Produktion von Schafsmilch-Produkten allerdings hat sie vor anderthalb Jahren eingestellt. "Es ist so viel Arbeit und so wenig Lohn", sagt sie. "Die wenigstens Menschen sind bereit, einen angemessenen Preis für Schafskäse zu bezahlen."<br />
So ist es nicht weiter erstaunlich, dass Thorsten Brunkhorst, in der Landwirtschaftskammer Niedersachsen für die Schafzüchter zuständig, keine entsprechenden Betriebe in unseren beiden Landkreisen ausfindig machen kann. Die Schaumburger an der Grenze zum Lipperland aber können sich auf den Weg zu Christian Hüls in Blomberg-Höntrup machen, der im Nebenberuf eine kleinere Schafszucht führt und allerlei Käse, sogar Jogurt produziert, die das Gütesiegel "Lippequalität" tragen dürfen, was unter anderem bedeutet, dass seine Tiere artgerecht leben und ihre Milch-Produkte gentechnikfrei hergestellt werden. Die Lämmer dürfen bis in den Sommer hinein auf der Weide herumlaufen, die Ware ist in lippischen Hofläden und einigen Supermärkten erhältlich.<br />
Brigitte Ahrens, die Ernährungsberaterin in der Verbraucherzentrale Hannover, sie will, bei aller fatalistischen Blickweise auf die ethische Problematik rund um Milchprodukte, keineswegs dafür plädieren, insgesamt auf Käse und Quark, Milch und Jogurt zu verzichten. Diese radikale Empfehlung gilt nur solchen Konsumenten, welche sichergehen wollen, dass sie auf gar keinen Fall teilhaben an tierverachtenden Produktionsweisen. "Milchprodukte unterliegen keiner Kennzeichnungspflicht über das Herkunftsland", sagt sie. "Selbst wer Ziegen- oder Schafskäse im Supermarkt kauft, kann nicht wissen, ob die Milch aus dem europäischen Ausland stammt, wo es, anders als bei uns, erlaubt ist, diese Tiere gegen ihre Natur in Massenhaltung zu züchten." Zudem bestünde speziell Ziegenkäse oft nur zu geringem Teil aus Ziegen- und überwiegend aus Kuhmilch. "Es ist so kompliziert, das weiß ich auch aus eigener Erfahrung, die richtigen Auskünfte zu bekommen und Zeit und Geld in die Informationsbeschaffung zu investieren, um Märkte und Hofläden zu finden, die genau das anbieten, was man sucht."<br />
Ihr Kompromiss-Vorschlag zur Gewissensberuhigung für alle, die keine Schaf- oder Ziegenkäserei in erreichbarer Nähe haben: Die Beschränkung auf solche Öko-Milchprodukte aus Reformhaus und Bio-Laden, bei denen eine artgerechte Haltung einigermaßen garantiert ist. Das könne durchaus auch Kuhmilchprodukte betreffen, die nicht immer von Hochleistungs-Milchkühen stammen. "Doch solange wir nicht eine differenzierte Kennzeichnungspflicht besitzen, bieten nur direkt begutachtete Produzenten vor Ort die Möglichkeit, sich von einer als unethisch empfundenen Tierhaltung zu distanzieren."<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-13217411647583259002014-08-07T03:26:00.001+02:002014-08-07T03:26:04.519+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Verlieren und Wiederfinden<br />
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Selten wurde der Hausrat von Michael und Brigitte Kühn aus Rinteln so genau unter die Lupe genommen. Zwei Tage lang durchwanderte das ältere Ehepaar alle Räume, zog sämtliche Schubladen auf, beugt sich unter jedes Möbelstück und selbst Küchen- und Badezimmerschränke wurden durchsucht, alles in der Hoffnung, ein verlegtes Schlüsselbund mit Haus- und Autoschlüsseln wiederzufinden. Vergebliche Mühe - die Schlüssel bleiben verschwunden. Wo nur könnten sie sein? Wie lassen sie sich wiederfinden? Hatten da etwa die "Borgmännchen" ihre Finger im Spiel?<br />
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"Wir reden über nichts anderes mehr", sagt Michael Kühn. "Habe ich den Schlüssel vielleicht vor der Haustür verloren und jemand hat ihn eingesackt?" Inzwischen denkt er darüber nach, die Haustürschlösser auszutauschen und ein neues Schloss ins Auto einbauen zu lassen. "Unsinn!", sagt seine Frau. "Hier ist eine gute Wohngegend, man würde uns den Schlüssel ja wohl zurückgebracht haben, wenn Du ihn direkt vor dem Haus verloren hättest." Bei dem, was sie sagt, schwingt ein leicht vorwurfsvoller Ton mit. Schließlich war es ihres Mannes Zerstreutheit gewesen, wodurch sie nun beide darüber spekulieren müssen, ob demnächst wohl ihr Auto geraubt sein wird oder sie ungebetenen Besuch erhalten.<br />
Ginge es nach dem Rat von Horst Weber, der in der Rintelner Ritterstraße einen kleinen Schlüsseldienst führt und seit fast 30 Jahren berufsbedingt mit manchmal richtig verzweifelten Menschen zu tun hat, dann gälte die Formel: "Dreimal neue Schlosszylinder, dreimal neue Sicherheit!" Böse Buben, so sagt er, könnten sehr wohl die Gelegenheit zu einem Einbruch nutzen und dann würden sie noch nicht mal Spuren für Polizei und Versicherung hinterlassen. Michael und Brigitte Kühn wissen das natürlich. Eigentlich. Sie sagen sich aber: "Die Diebe wären doch schon längst dagewesen", und drücken sich vor den Umständen eines vielfachen Schösseraustausches. Was sie nicht loslässt, weder beim Frühstück, noch beim Abendessen noch wenn einer von ihnen nachts aufwacht: Die Schlüssel müssen doch irgendwo sein!<br />
Die beiden haben durchaus Regeln einer disziplinierten Suche befolgt. Nach einer ersten eher hektischen Herumsucherei setzten sie sich hin und rekonstruierten, wann Michael Kühn das Schlüsselbund zum letzten Mal in der Hand hielt. Als er am Tag zuvor mit dem Auto aus der Stadt zurückgekommen war, hatte er die Tür aufgeschlossen, also musste das vermisste Ding doch innerhalb der Wohnung zu finden sein. Doch weder in der dafür vorgesehenen Schublade, noch auf dem Schreibtisch im Flur, weder in der Garderobe, in den Gummistiefeln unterhalb der dort aufgehängten Mäntel oder in den mitgebrachten Einkaufstaschen, weder auf dem Küchentisch, in der Speisekammer oder dem kleinen Gästebad war der Schlüsselbund zu entdecken. <br />
Nachdem sie sogar das obere Stockwerk systematisch abgesucht hatten, Sofakissenritzen und Betten nicht ausgenommen, riefen sie ihre Haushaltshilfe an. Wenn man sich selbst schon ganz verrückt gemacht hat, ist es sinnvoll, einen unaufgeregten Dritten hinzuzuziehen. Es kommt vor, dass eine verlegte Sache, für die es normalerweise einen festen Platz gibt, ausnahmsweise schlicht am anderen Ende des Schreibtisches liegt - und man sieht sie dann nur mit unvoreingenommenem Blick. Ein Helfer außerdem kann dafür sorgen, dass man mit neuem Mut noch einmal mit dem Suchen beginnt, dabei ruhig und im Uhrzeigersinn durch die Wohnung wandert, nicht mehr zurück sieht, wo man schon nachgeguckt hat und dann wirklich sicher ist, keine Stelle ausgelassen zu haben.<br />
Bei den Kühnes hilft auch das nichts. Die Haushaltshilfe schlägt vor, zum Heiligen Antonius zu beten. Dem hatte einst ein Mönch den Psalter entwendet und dann reuig zurückgebracht, nachdem er von Erscheinungen geplagt worden war. "Glorreicher Heiliger Antonius, lass mich das Verlorene wiederfinden und zeig mir so deine Güte", diese Worte soll man zum Heiligen beten, den man weltweit dafür auserkor, ein Helfer beim Suchen und Finden zu sein. Glaubt man entsprechenden Berichten im Internet, ist er dabei ausgesprochen erfolgreich, allerdings vor allem dann, wenn es darum geht, einen Finder dazu zu bringen, die Sache dem wahren Eigentümer zurückzugeben.<br />
Tatsächlich gibt es eine ganze Menge verantwortungsvoller Finder, speziell was verlorene Schlüssel betrifft. "Schlüssel, ja, die werden bei uns häufig abgegeben", sagt etwa der Hamelner Polizeibeamte Guido Krosta. "Das gehört zu unserem täglichen Geschäft." Da viele Leute gar nicht wüssten, wo sich das Fundbüro befindet, wohl aber wo die nächste Polizeistation liegt, die ja außerdem rund um die Uhr und auch am Wochenende geöffnet ist, ergäbe sich eine richtiggehende Zusammenarbeit zwischen Polizei und Fundbüro. "Wir nehmen sorgfältig eine Fundanzeige auf, und nicht selten ruft schon bald danach ein Bürger bei uns an, der genau diese Sache vermisst", so Guido Krosta. Ansonsten fahren die Beamten werktäglich zum Fundbüro im Rathausplatz-Bürgeramt, um dort die gesammelten Fundsachen abzugeben.<br />
Nicht anders ist es in Bad Pyrmont, wobei die Beamten des Bürgerservice in manchen Fällen auch von sich aus Kontakt zur Polizei aufnehmen. "Wenn Auto- oder Sicherheitsschlüssel bei uns anlanden, telefonieren wir sofort mit den Kollegen der Polizei", sagt Mitarbeiter Wolfgang Mergel. "Manchmal hat sich da bereits ein Mensch in Panik gemeldet und wir freuen uns, wenn wir schnell helfen konnten." Da sich aber Schlüssel nicht leicht einem Besitzer zuordnen lassen - anders als Handys oder Portemonnaies mit Besitzerdaten - besteht eine der Aufgaben der Fundbüro-Angestellten darin, die Schlüssel nach sechsmonatiger Verwahrung zu vernichten.<br />
Das Ehepaar Kühn nun ist inzwischen geneigt, an die "Borgmännchen" zu glauben und darauf zu hoffen, dass der Heilige Antonius diese kleinen heimlichen Hausmitbewohner möglichst schnell dazu bringt, die möglicherweise ausgeborgten Schlüssel gefälligst wo auch immer, jedenfalls gut sichtbar, zurückzulegen. Von den "Borgmännchen" erzählt die Engländerin Mary Norton in einem alten Kinderbuch und erfand damit durchaus gutmütige kleine Gesellen, deren Anwesenheit und vorübergehende Benutzung von Haushaltsdingen erklärt, warum verlorengegangene Dinge manchmal an überraschenden Ort wieder auftauchen.<br />
Horst Weber vom Schlüsseldienst, er bringt verlegte Schlüssel zwar nicht zurück, aber er kann neue Schlüssel anfertigen. Gemütlich sitzt er in seinem Ladengeschäft in der Rintelner Ritterstraße und tröstet so manche seiner älteren Kunden, wenn diese meinen, der Schüsselverlust sei bereits einer Altersverwirrtheit geschuldet. "Ich habe ziemlich durchmischt mit Menschen zwischen 16 und 80 zu tun - jeder verliert Schlüssel, zu meinem Glück, ja...", sagt er. "Dass ich auch den Psychologen spiele, gehört zum Service dazu." <br />
Die für Schlüsselverlierer oder -verleger besonders dramatischen Fälle sind ja diejenigen, wo man hilflos vor der Haustür steht und nicht mehr hineinkommt. Dann verlässt Horst Weber seinen kleinen Geschäftsraum und macht sich, zu welcher Uhrzeit auch immer, auf den Weg zu verschlossenen Türen, vor denen Menschen auf ihn warten, die manchmal ganz aufgelöst sind. "Sie haben Angst, dass es schrecklich viel kosten wird, die Tür zu öffnen", sagt er. "Oder dass ich gleich die ganze Tür zerstören werde." Dabei nimmt er gerade mal 65 Euro für einen schnellen Eingriff, um alles wieder gut zu machen. "Den Schlüssel, wenn er denn verloren ist, den aber kann ich nicht einfach herbeizaubern."<br />
So bleibt also in vielen Fällen weiterhin das Rätsel bestehen, ob sich ein Schlüsselbund einfach in Luft auflösen kann. Michael und Brigitte Kühn sind fast geneigt, diese Möglichkeit anzunehmen. Zumindest haben sie sich in ihr Schicksal ergeben. Mit Ersatzschlüsseln ausgerüstet machen sie sich auf den Weg in die Nachbarstadt Hameln. <br />
Sie könnten im Baumarkt einen Metalldetektor einkaufen, in der Hoffnung, damit die Schüssel doch noch irgendwo auf dem Grundstück rund ums Haus aufzuspüren. Sie könnten sich einen "BringMeBack"-Schlüsselanhänger besorgen, der mit einem speziellen Code versehen ist und einen Finder darauf hinweist, wie Schlüssel und Besitzer mit Hilfe entsprechender Firmen wieder zusammenkommen. Auch der Tipp von Horst Weber, die Schlüssel künftig an einem Band um den Hals zu tragen, käme vielleicht in Frage. Aber nein: Die beiden kaufen einfach ein besonders hübsches neues Schlüsseletui. Ein kleiner Trost für ziemlich hektische Tage.<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-79187346159144818512014-08-07T03:20:00.002+02:002014-08-07T03:20:47.578+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Schamgefühl<br />
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Das Gefühl der Scham, der tiefen Beschämung durch Handlungen, die man am liebsten für immer unter den Tisch kehren oder zumindest niemals an die Öffentlichkeit gelangen lassen möchte - jeder kennt das, nicht wahr? "Scham, das ist eines der ganz wichtigen Gefühle, die dazu dienen, uns zu sozialen Wesen zu formen", so sagt es die Rintelner Theologin Karin Gerhardt. "Empfänden wir keine Scham, wir würden uns für immer wie unmündige Kinder verhalten." Manchmal sind Schamgefühle zutiefst berechtigt. Manchmal scheinen sie nur ein Tick zu sein. Manchmal wird die Scham durch die Nachsicht des Gegenübers getilgt. Hier folgen drei Beschämungsgeschichten, zwei Geständnisse dabei, keine Geschichten von Untaten, einfach Alltag.<br />
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Claudia, wenn du das hier liest, wirst du entweder lachen oder richtig böse werden. Weißt Du noch, wie Du mir einst ein schönes Holzbett ausgeliehen hast, auf unbestimmte Zeit, sagtest Du, vielleicht für immer. Es war ein höchst patentes Bett, dessen Rahmen man ganz einfach mit speziell geformten Holzstiften - du nanntest sie "Pinöpel" - zusammenstecken konnte. Jahrelang nutze ich dieses Bett, bis du es doch zurückverlangtest und dann feststelltest, dass einer der vier Pinöpel fehlte. "Das war schon so als ich es kriegte", sagte ich. "Erinnerst du dich nicht? Du hast mir doch selbst erklärt, dass man das Bett auch prima mit nur drei Pinöpeln benutzen kann, was ja auch bewiesen wurde, es gab ja nie mehr als diese drei, die vierte Ecke hält trotzdem alles aus." Du schütteltest den Kopf und verlangtest im Ernst, ich solle beim Tischler einen neuen Holzstift anfertigen lassen, das Bett sei was Besonderes, ein normaler Pflock würde in die Pinöpel-Öffnung nicht hineinpassen. Je entschiedener du darauf bestandest, das Bett in dem Zustand zurückzubekommen, in dem Du es mir geliehen hattest, desto empörter wurde ich angesichts der Gewissheit, ja genau das zu tun. Bis in einzelne Formulierungen hinein führte ich dir das Ausleihgespräch vor Augen und wie Du mich auf den fehlenden Pinöpel hingewiesen hattest. Irgendwann gabst du dich geschlagen, wir redeten nie mehr über die Sache. Ein paar Wochen später räumte ich das Zimmer, in dem das ausgeliehene Bett gestanden hatte, besonders sorgfältig auf und fand, fast unsichtbar an die Fußbodenleiste geklemmt, Pinöpel Nummer vier. Wie konnte das sein? Ich hatte ihn doch nie besessen? So tief ging meine Beschämtheit, dass ich geneigt war anzunehmen, du hättest dich bei mir eingeschlichen und den vierten Pinöpel bei mir versteckt. Unmöglichkeit konnte ich zugeben, dass alles, was ich zu meiner Verteidigung gesagt hatte, überhaupt nicht stimmte, unmöglich konntest Du den Pinöpel zurückerhalten und damit zugleich erfahren, wie ich im Brustton der ehrlichen Überzeugung ein ganzes Gespräch erfunden hatte. Dass das Tischlerbett auch nur mit drei Pflöcken zusammen hielt, stand ja nicht in Frage. Dir den Pinöpel zu geben und damit meine Schande zu offenbaren, stand, fand ich, in gar keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den du davon haben würdest. Ich habe, Claudia, das kunstvoll geschnitzte Stück damals einfach weggeworfen, um dem peinlichen Geständnis zu entgehen. Jetzt ist es raus! Wirst du, nach all den Jahren, lachen? Oder böse sein?<br />
(Cornelia, 54, Rinteln)<br />
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Die Eltern meines Freundes feierten Silberhochzeit und hatten dafür ein großes kaltes Buffet bestellt, unter dessen Köstlichkeiten drei orange leuchtende Hummer hervorstachen, drei Hummer für weit über 50 Gäste. Ich war ja nur so ein Mitläufer-Gast und hatte bestimmt nicht das Recht, eines dieser exklusiven Exemplare für mich zu beanspruchen, aber als nach einer Stunde immer noch niemand zugegriffen hatte, fragte ich die Mutter meines Freundes, ob ich mir einen Hummer nehmen könnte. Ja, ich durfte, und sie öffnete für mich die Schalen, legte mir das Fleisch auf den Teller und erfreute sich daran, wie begeistert ich war von dieser mir bis dahin unbekannt gewesenen Köstlichkeit. Ich war so hingerissen von dem zarten, süßlichen Geschmack des Hummerfleisches, dass ich von da an um das Buffet herumstrich wie eine hungrige Katze, die ihr Begehren zu verheimlichen sucht, um nicht vertrieben zu werden. Ich wollte den Hummer, konnte ihn ja aber unmöglich vor aller Augen an mich nehmen. In einem unbeobachteten Moment schlug ich zu, schnappte den zweiten Hummer, schlich mich mit meiner Beute aus dem Zimmer und ging in den stillen Keller, wo ich einen Hammer fand, um die Schalen aufzuschlagen. Gierig verschlang ich das Fleisch im hintersten Kellerwinkel. Es schmeckte so gut, so gut! Doch gleichzeitig klopfte mein Herz, aus Angst erwischt zu werden, und aufgerüttelt von der Erkenntnis meiner abgrundtiefen Schwäche. Ich kam mir vor wie eine Drogensüchtige, die sich heimlich die Spritze in die Adern jagt. Die zersplitterten Hummerschalen versteckte ich ganz unten im Küchenmülleimer, bevor ich mich wieder unter die Gäste mischte. Sehr wohl bemerkte ich, dass der dritte Hummer immer noch auf dem Buffet lag und dort - vermutlich, weil niemand die Unhöflichkeit zeigen wollte, nach dieser Rarität zu greifen - auch liegen blieb, bis die Party zu Ende war und nur noch die Familie zusammen saß. "Da ist ja noch ein letzter Hummer, willst Du ihn nicht nehmen?", fragte mich die Mutter meines Freundes. Nun - ich sagte nicht Nein. Das letzte bisschen Ehre rette ich damit, dass ich der Mutter die Hälfte des Fleisches herüberreichte. Schweren Herzens, aber immerhin. Das Hummeressen bezahlte ich mit einer Beschämungserinnerung von jetzt so an die 25 Jahre.<br />
Ulrike, 34, Rinteln<br />
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Es war ein Unglück, das aus einer, wenn auch etwas zweifelhaften, Geste der Zuneigung entstand, eigentlich. In den Semesterferien eines Abends allein zuhause bei meinen eher strengen Eltern, erlaubte ich mir, was nicht in ihrem Sinne gewesen wäre, eine Flasche Wein für mich allein zu öffnen, und, um diese besondere Stimmung zu feiern, nahm ich mir nicht irgendein Glas aus dem normalen Küchenschrank, sondern ich öffnete, durchaus mit feierlichem Gefühl, den "Gläserschrank", in dem viele uralte, mundgeblasene Gläser standen, die meine Eltern überaus hochschätzten und aus denen wir halberwachsenen Kinder zwar auch trinken durften, dann aber immer mit der Ermahnung, die wertvollen Stücke ganz besonders zu achten - ja, eigentlich war es immer eine Auszeichnung gewesen, in den Kreis derer aufgenommen zu werden, die nicht irgendein Ikeaglas, sondern eines dieser auf Streifzügen durch Antiquitätenläden eroberten, wunderschönen, ganz individuell geformten Gläser benutzen durften. Mein Vater holte dann jeden Einzelnen von uns vor den Schrank, damit wir uns ein Glas aussuchten - alle hatten ja verschiedene Formen. Nur zwei der Gläser waren ganz und gar tabu - das hohe Lieblingsglas meines Vaters und das sehr ansprechend halbhohe, runde Glas meiner Mutter, bei dem sie immer betonte, wie sehr sie es aufgrund seiner reizvollen Form liebe. Damals, als ich mir den Wein öffnete, sehr wohl in dem Bewusstsein, das es sich eigentlich nicht gehört, allein Wein zu trinken, da wählte ich unter den Gläsern im Gläserschrank das wunderschöne Lieblingsglas meiner Mutter. Ich liebte meine Mutter schon immer, ich wollte aus ihrem Glas trinken. Friedlich lag ich, die halbe Flasche Wein war schon ausgetrunken, lesend in meinem Bett und hatte das schöne Glas auf die Fensterbank gestellt, als ich es, beim Zuziehen des Vorhangs, mit einem Rutsch herunterschlug, und es zerbrach! Schrecklich! Ich sammelte die Scherben ein und vergrub sie im Garten. Ach, die Hoffnung, das Fehlen des Glas würde nicht bemerkt werden, ich wusste, wie vergeblich sie war. Ich log, als meine Mutter herumfragte, ob irgendwer wüsste, wo das geliebtes Glas, aus dem sie immer trank, abgeblieben war. Doch bei meinem nächsten Besuch zuhause, als sie aus einem anderen, beliebigen Glas trank und erwähnte, wie sehr sie das Lieblingsglas vermisse, da, unter vier Augen, gestand ich es doch. Und was sagte sie? "Das kann doch jedem mal passieren!" Kein Drama, keine Vorwürfe, nichts. "Meine liebe Mama", so denke ich oft, "das war eine Lektion fürs Leben." Ihretwegen bin ich in solchen Dingen der nachsichtigste Mensch, und fast nie muss sich jemand meinetwegen wegen dieser Art von Nachlässigkeit schämen.<br />
(Sabine, 55, Hameln)<br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-55716427980674815472014-08-07T03:16:00.002+02:002014-08-07T03:17:14.294+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Doktortitel - umsonst und ohne Arbeit?<br />
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"Sie sind es leid einen Doktorvater für Ihre Promotion zu suchen und haben darüber hinaus auch keine Lust, drei oder mehr Jahre Ihres Lebens mit dem Schreiben einer Arbeit zu verbringen, die sich am Ende doch niemand ansieht? Dann lesen Sie hier weiter." So verlockend wirbt das Internetportal "titel-kaufen.de" für ein ganzes Dienstleistungspaket rund um den Erwerb eines Doktortitels, für den man weder studieren, noch eine Arbeit schreiben noch etwas anderes tun muss, als eine mehr oder weniger hohe Summe Geldes zu investieren. Mindestens ein Prozent aller Doktortitel in Deutschland werden mit Geld statt mit Geist erworben, meint Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbandes. Könnte man da nicht einfach dabei sein?<br />
Wer bei Google unter dem Stichwort "Promotionsberatung" nach einer Institution vor Ort, in den Landkreisen Schaumburg oder Hameln/ Pyrmont, auf die Suche geht, wird allerdings nicht fündig werden, auch nicht mit einer ganz plumpen Anfrage wie "Doktortitel kaufen". Das Geschäft mit den "geistlosen" Doktortiteln findet weitgehend übers Internet statt und meist ohne dass sich die beteiligten Seiten jemals von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Warum sollten sie auch? In den meisten Fällen handelt es sich um einen reinen Versandhandel, Bestellung und Bezahlung hier, Doktorurkunde da. <br />
Legal kann das Tragen eines gekauften Doktors niemals sein. Einen echten Doktortitel vergeben in Deutschland ausschließlich Universitäten und mit ihnen gleichgestellte Hochschulen, nur sie haben ein Promotionsrecht für wissenschaftliche Arbeiten, die festgelegten Anforderungen entsprechen und eigenhändig angefertigt werden müssen. Weder mit einer "Promotionsberatung", die fast immer dasselbe meint, wie sich einen Ghostwriter zu besorgen, noch gar durch den Kauf des Titels über dubiose Organisationen erlangt man das Recht, den Titel tragen zu dürfen. Das gibt auch die Seite "titel-kaufen" offen zu, und schreibt dann: "Akademische Titel kann man in Deutschland nur durch ein Studium und der dazu notwendigen Disziplin, Ausdauer und Intelligenz erhalten. Sollten diese Fähigkeiten aber nicht gerade Ihr Steckenpferd sein, so müssen Sie schon etwas tricksen und sich in den illegalen Bereich begeben."<br />
Spätestens bei dieser Formulierung sollten lesekundige Doktoranden-Anwärter merken, dass sie sich auf einen Satire-Portal befinden, eines, das inzwischen durchaus zu gewisser Berühmtheit gelangen konnte, sammelten doch die Begründer hunderte ernstgemeinter Anfragen ein, die sie dann auch ungescheut veröffentlichten, anonymisiert zwar, aber doch geeignet die Bewerber nach Eulenspiegel-Art bloßzustellen. "Kunden" aus allen Berufssparten beantworteten den Kontaktbogen, in dem sie begründen sollten, was sie zum illegalen Doktortitelerwerb bewegte. Da ist ein Facharzt, der seinen "Dr." braucht, um sich auf eine Chefarztstelle zu bewerben, ein Ingenieur, der für eine geplante Beratungstätigkeit aus Reputationsgründen gern Doktor der Geisteswissenschaften wäre oder ein Versicherungskaufmann mit Realschulabschluss, der Abitur und Doktortitel gleich im Doppelpack einkaufen wollte.<br />
Dabei ist in den wenigstens Berufssparten zwingend ein Doktortitel nötig, um sich auf eine Stelle zu bewerben. 40 Prozent aller Naturwissenschaftler zwar benötigen auch außerhalb einer Tätigkeit in Forschung und Lehre diesen akademischen Titel, doch selbst Mediziner können ihren Beruf ausüben, ohne sich den Mühen einer Dissertation zu unterziehen. Wenn der Doktortitel trotzdem so begehrenswert erscheint, so deshalb, weil er nach Außen vermittelt, dass man in der Lage war, ein neues wissenschaftliches Forschungsthema in jahrelanger Arbeit so zu verfassen, dass man ein Hochschulgremium von dessen Qualität überzeugen konnte. Das bringt einem die Anerkennung des gesellschaftlichen Umfeldes und darüber hinaus tatsächlich finanzielle Vorteile im Beruf: Promovierte Bewerber erhalten im Durchschnitt erwiesenermaßen ein deutlich höheres Einstiegsgehalt als solche ohne Doktortitel.<br />
Nun bestehen durchaus Möglichkeiten, einen Doktortitel auch ohne entsprechende Dissertation zu ergattern. Nicht in allen Ländern besteht wie in Deutschland ein gesetzlicher Titelschutz akademischer Grade, nicht überall sind Bezeichnungen wie "Hochschule", "Universität" oder "Fachhochschule" gesetzlich geschützt, und so gibt es Internet-Anbieter, die Beziehungen zu Universitäten in der Schweiz, den USA, in Afrika oder in Ländern der ehemaligen Sowjetunion vermitteln, wo man gegen Zahlung entsprechender "Gebühren" den Doktor für ein x-beliebiges Geschreibsel erhält. Da man einen solchen Titel in Deutschland aber nicht tragen und ihn weder in den Personalausweis noch auf Visitenkarten oder ins Telefonverzeichnis eintragen lassen darf, könnte man sich eine ebenso gut eine Promotionsurkunde am eigenen PC ausdrucken.<br />
Etwas anders sieht es aus mit der "Ehrendoktor"-Würde. Einen Doktor "honoris causa", abgekürzt "h.c." verleihen Universitäten normalerweise aufgrund hervorragender Verdienste auf einem wissenschaftlichen Gebiet (und manchmal auch aus politischen Gründen, ohne dass eine direkte wissenschaftliche Leistung erkennbar wäre). Deutsche Universitäten gehen sehr sparsam mit der Verleihung einer solchen Würde um, auf die ein so Geehrter dann auch wirklich stolz sein kann. Die ehemalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan etwa, die ihren regulären Doktortitel aufgrund eines erwiesenen Plagiats abgeben musste, sie wurde kürzlich von der Universität Lübeck für ihre Verdienste rund um die finanzielle Rettung der Hochschule mit dem "Dr. med. h.c." bedacht. <br />
Eine Prüfung ist für die Ehrendoktorwürde nicht vorgesehen, handelt es sich dabei doch nicht um einen akademischen Titel, sondern eine "Ehrung für besondere Verdienste". Genau dieser Umstand macht es möglich, sich im Ausland ohne viele Umstände einen solchen Titel zu besorgen. Ein besonderer Verdienst kann schon darin bestehen, an eine sogenannte "Universität" eine kleine oder größere "Spende" zu überweisen. Und keine 50 Euro etwa kostet es, sich bei der amerikanischen "Miami Life Deve¬lop¬ment Church" (MLDC) einen "echten" Ehrendoktor ausstellen zu lassen (für den "Ehren-Professor" muss man an die 70 Euro aufbringen). Man wäre dann der Träger eines nicht akademischen sondern kirchlichen Ehrentitels.<br />
Einen entscheidenden Wehrmutstropfen allerdings muss man beim Tragen eines solchen Titels hinnehmen. Selbst wenn eine Überprüfung ergeben sollte, dass Institutionen wie die MLCD berechtigt wären, Ehrendoktorwürden zu vergeben, so muss, wer ihn öffentlich tragen will, stets genau angeben, in welchem Fachgebiet, an welcher Institution und in welchem Land man ihn erworben hat. Das deutsche Gesetz schreibt vor, Titel nur so zu führen, dass eine Verwechslung mit akademischen Graden ausgeschlossen ist. Und ob man als "Beate Musterfrau, Dr. h.c. of Immortality, MLDC Insti¬tute (USA)" großen Eindruck schinden kann, es dürfte höchst fraglich sein, ganz abgesehen davon, dass man Gefahr läuft, wie ein Lübecker Zauberkünstler und Hunderte anderer "Würdenträger", eine Anzeige wegen Titelmissbrauchs zu erhalten.<br />
Selbstverständlich begeht eine Straftat, wer sich von sogenannten "Promotionsberatern", sprich "Ghostwritern", eine Dissertation erstellen lässt. Dieser Weg hin zum Doktortitel ist außerdem wirklich kostspielig, müssen dabei ja nicht nur die Stellvertreter-Doktoranden bezahlt werden, sondern auch die Professoren, die bereit sind, bei einen solchen offensichtlichen Betrug mitzuspielen. Es existiert kein ordnungsmäßiges Promotionsverfahren, bei dem der Kandidat seinem Professor nicht persönlich bekannt ist und wo er nicht spätestens beim mündlichen Prüfungstermin, dem Rigorosum, einem Hochschulgremium Rede und Antwort zu stehen hat. <br />
Die Satire-Seite "titel-kaufen.de" verweist fröhlich auf die Alternative, sich alle relevanten Unterlagen von der Einschreibung an einer Universität, den Exposes bis hin zur fertigen Arbeit von Experten fälschen zu lassen. "Kein Mensch außer Ihnen wird von dem Ghostwriting Wind bekommen - vertrauen Sie uns - Ihnen bleibt ohnehin keine Wahl, da Fleiß, Ausdauer und Fairness nicht gerade zu Ihren Tugenden gehören." Theoretisch ist das durchaus möglich. Praktisch aber kann man sich damit hohe Geldstrafen und bis zu einem Jahr Gefängnis einhandeln. <br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-64669650793926281842014-08-07T03:05:00.000+02:002014-08-07T03:05:44.216+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Demenz - unvermeidlich?<br />
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"Schubs mich in die Weser, sobald es soweit ist!" Das sagte ein etwa 50jähriger Mann zu seiner Frau, in der Pause einer Rintelner Veranstaltung zum Thema "Demenz". Die Umstehenden nickten bestätigend und äußerten sich ähnlich: nichts könne schlimmer sein, als im Alter völlig zu verblöden; man müsse es irgendwie schaffen, sich vorher das Leben zu nehmen; Alzheimer sei so schrecklich, dass es richtig schwer falle, länger darüber nachzudenken. Zuvor hatte ein Mann im Publikum gefragt, ob es Möglichkeiten gäbe, sich gegen Demenz-Erkrankungen zu schützen. "Nein!", hieß die Antwort von Dr. Wilmut Wolf, dem Vorsitzenden der Alzheimergesellschaft Hameln. Der mit Abstand größte Risikofaktor für eine Demenz sei das Alter. "Und alt werden, das wollen wir doch alle."<br />
Wie seltsam dagegen, mit jemandem wie Ralf Ober zu sprechen, dem Leiter des Seniorenheimes vom Reichsbund Freier Schwestern in Rinteln, und mit der Pflegedienstleiterin Marina Heise. "Lieber Demenz als zum Beispiel ein Schlaganfall", sagt Ralf Ober. Und Martina Heise: "Wenn ich nun mal schwer erkranken muss im Alter, dann wähle ich die Demenz." In einem Umfeld, das sich auf diese Art der Erkrankung eingestellt habe, könne man als Mensch mit Demenz durchaus glücklich und zufrieden sein. "Ja, Orientierungsfähigkeit, Gedächtnis, Denkvermögen, das alles geht immer mehr verloren", so Ralf Ober. "Doch die Gefühle überleben bis zuletzt. Und dafür, dass es überwiegend gute Gefühle sind, kann man eine ganze Menge tun."<br />
Fast könnte man meinen, die beiden machten mit solchen Aussagen Werbung für ihr Seniorenheim, das zum allergrößten Teil demenzerkrankte Bewohner beherbergt, nicht anders übrigens als fast alle anderen Seniorenheime auch: Je älter die Bevölkerung insgesamt wird, desto häufiger werden Krankheiten wie Alzheimer, von denen in Deutschland gegenwärtig etwa 1,4 Millionen Menschen betroffen sind. Jedes Jahr kommen, so gibt es die deutsche Alzheimergesellschaft bekannt, 300.000 Neuerkrankungen dazu. Fast 16 Prozent aller über 80-jährigen, über 40 Prozent der über 90-jährigen sind betroffen. Liegt es vielleicht daran, dass Fachleute wie Ralf Ober und Marina Heise lieber gut Wetter machen als Angst zu schüren?<br />
Der Hamelner Dr. Wilmut Wolf, Internist im Ruhestand, der sich in seinem Berufsleben vornehmlich mit alten Patienten und deren besonderen Anliegen beschäftigte, er kann beides: Mit großer Nüchternheit über eine in der Tat schreckenerregende Krankheit referieren und zugleich dazu ermutigen, sich vor allem als Angehörige erkrankter Menschen umfassend über den Charakter der Demenz kundig zu machen. "Wer nicht weiß, dass es sich bei der Demenz um eine unwiderrufliche Erkrankung des Gehirns handelt, bei der Nervenzellen und die Verbindungen zwischen Nervenzellen zugrunde gehen, der läuft meistens in eine schlimme Falle, nämlich den Erkrankten verändern, gewissermaßen therapieren zu wollen, damit er sich wieder normal benehmen soll", sagt er. Das habe dann aufreibende, zur Verzweiflung treibende und völlig sinnlose Streitigkeiten zur Folge.<br />
Deshalb zeigt er Angehörigen, die in die Demenzsprechstunde der Alzheimer-Gesellschaft Hameln-Pyrmont kommen, zu allererst Aufnahmen eines erkrankten Gehirns, auf denen deutlich zu sehen ist, dass es weitgehend zerstört ist. Vor allem Koordinations- und Gedächtnisfähigkeiten sind von dieser Zerstörung betroffen. "Wenn ein Erkrankter Lebensmittel im Kleiderschrank deponiert, oder einfach scheinbar unverschämt vom Teller seines Nachbarn im Restaurant nascht, oder zum zehnten Mal fragt, ob man Zucker zum Kaffee wünsche, dann nützt es nichts, ihn genervt auf diese Schwächen hinzuweisen oder gar, ihm böse Absicht, zumindest kränkende Gleichgültigkeit zu unterstellen", sagt er. "Die Realität eines Demenzkranken ist nicht mehr dieselbe wie die von gesunden Menschen. Und sie finden auch nicht mehr dahin zurück."<br />
Dieses Wissen darum, dass es sich bei einer Demenz eher um die Folgen einer organischen Erkrankung handelt, denn um den Ausdruck eines individuellen Willens, dass man also nicht im Sinne einer gleichberechtigten Beziehung reagieren sollte, sondern im Bewusstsein, einem kranken Menschen gegenüberzustehen, ob das ein Trost ist? Wilmut Wolf immerhin bringt eine Reihe von Beispielen an, aus denen deutlich wird: Nur wer aus diesem Wissen heraus reagiert, hat eine Chance, etwas Gutes im Umgang mit erkrankten Menschen zu sehen. "Den Verwirrten auszuschimpfen, sich mit ihm zu streiten, ihm klarmachen zu wollen, dass er sich irrt, wird alles nur noch schlimmer machen", sagt er. "Menschen mit Demenz bewegen sich in einer Rätselwelt. Sie verstehen nicht, warum sie mit dem, was sie tun, ständig anecken. Was sie eigentlich suchen ist - Geborgenheit."<br />
Das bestätigen auch Ralf Ober und Marina Heise. "Bis vor vielleicht 20 Jahren galt ein im Nachhinein geradezu katastrophales Konzept für den Umgang mit demenzkranken Menschen, das sogenannte 'Realitäts-Orientierungstraining'", so der Seniorenheimleiter. Wie verloren sich ein Kranker fühlen muss, der "nach Hause" will, und dann erklärt man ihm immer wieder neu, er habe kein Zuhause mehr, seine Verwandten seien alle tot oder wollten ihn nun mal nicht sehen, das ergäbe ein sich geradezu unendlich wiederholendes Leid, so, als würde jemand täglich zum ersten Mal erfahren, dass er ganz allein dastehe in der Welt. "Dabei ist das 'Zuhause', nachdem die alten Menschen sich sehnen, sowieso meistens das längst vergangene Zuhause aus der Kindheit, eine Welt, in der es, zumindest in der Erinnerung, irgendwie stimmig und richtig zuging. Worum es geht: Ein derartiges Gefühl des Zuhauseseins zu vermitteln."<br />
Das Handwerkszeug dazu kann auch jeder Angehörige bis zum gewissen Grad erlernen. "Validation" heißt hier das Zauberwort. Ursprünglich bedeutet dieser Begriff, die Gültigkeit einer Aussage zu bestätigen, sie für "wert", also richtig und angemessen zu halten. Im Rahmen der Pflege von demenzkranken Menschen könnte man ihn mit dem Begriff "Wertschätzung" übersetzen, Wertschätzung dessen, was der Kranke zum Ausdruck bringt, verbunden mit dem Versuch, sich in seine Gefühlslage einzufühlen und auf diese Gefühle einzugehen. "Es geht darum, die Gefühle, die hinter einer Handlung stehen, als real anzusehen, wertzuschätzen, zu bestätigen, dass man sie anerkennt", sagt Martina Heise. "Das ist fast die einzige Ebene, auf der man dem kranken Gegenüber das Gefühl des Verstandenwerdens geben kann."<br />
Deshalb auch nehme die Biographiearbeit in der Pflege eine so wichtige Stellung ein. "Je mehr wir vom Leben eines Kranken wissen, desto besser können wir auf ihn eingehen, also auf die Kindheit zu sprechen kommen, die Eltern, den Ehemann und wie ein Paar sich kennenlernte. Es ist dann leichter, auf Gefühle wie Wut, Traurigkeit oder Sehnsucht zu reagieren, nämlich indem man die Realität der Gefühlswert bestätigt und dann zu etwas Positivem aus der Vergangenheit überlenkt", erklärt sie. Das Prinzip der "Validation" sei so erfolgreich, dass sie sich über die Demenzerkrankten selbst kaum Sorgen mache. "Viel schwerer ist es für die Angehörigen, diese Art der Wertschätzung durchzuhalten."<br />
So sieht es auch Dr. Wilmut Wolf. "Viele meinen zunächst, es sei geradezu verlogen, den dementen Menschen nicht in dem, was er sagt, ernst zu nehmen", meint er. "Manche reiben sich lieber in ewigem Streit auf, statt zu akzeptieren, dass man nicht mehr derselben Persönlichkeit wie immer gegenübersteht." Sein Rat für Angehörige: Hilfe suchen!<br />
Drei Möglichkeiten liegen da nahe: Sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und im Austausch mit anderen nicht nur hilfreiche Tipps zu erhalten, sondern vor allem zu erfahren, dass auch andere den manchmal ziemlich verrückten Alltag mit einem Demenzkranken kennen und durchstehen; einen der vielen ehrenamtlichen, speziell geschulten Seniorenbegleiter zu engagieren, und sich damit eine Aus- und Erholungszeit zu gestatten; und schließlich die Unterbringung in einem Heim einzuleiten. "Das ist weniger schlimm, als es sich zunächst anhört", sagt er. "Zuhause hat eben bei den meisten kaum noch etwas mit Geographie zu tun, sondern mit einer Umwelt, in der man nicht ständig an Grenzen stößt."<br />
Auch Ralf Ober und Pflegedienstleiterin Marina Heise halten einen guten Rat parat für alle, die Angst davor haben, selbst im Alter an Demenz zu erkranken. "Ich lege schon jetzt ein Biographiebuch an, als Hilfe für diejenigen, die mich einmal betreuen werden", sagt Marina Heise. Und Ralf Ober: "Niemand weiß, ob er selbst mal Alzheimer bekommt. Also sage ich: Lebe gut und so, dass wenigstens die Jahre vor der Krankheit schön waren."<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-84884024463264718682014-08-07T02:56:00.000+02:002014-08-07T02:56:57.446+02:00Von Cornelia Kurth<br />
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Das Jagen muss eine Herausforderung sein<br />
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Ein Reh äst still auf der Waldlichtung. Ab und zu hebt es den Kopf, das wunderschöne, zierliche Tier, dann vergnügt es sich weiter an Kräutern und Gras. Alles scheint so friedlich zu sein, bis plötzlich ein Schuss fällt und das Reh tödlich getroffen zusammenbricht. Tierfreunden kommt so ein Szenario einfach nur schrecklich vor: Hier das arglose Tier, dort der Jäger auf dem Hochstand, der es unvermittelt aus dem Leben reißt. "Jeder anständige Jäger befragt sein Gewissen, ob der Abschuss, den er vorhat, wirklich nötig ist", sagt Tiermediziner Professor Heinrich Stahlhut-Klipp aus Niedernwöhren, ehemaliger Kreisjägermeister Schaumburgs. "Aber ein bisschen grausam ist es immer." <br />
Trotzdem sollte man auch als mitfühlender Mensch nicht vorschnell urteilen: Das Bundesjagdgesetz fordert eine Tierschutzethik ein, von der in diesem Umfang beim Schlachtvieh in der Massentierhaltung kaum die Rede sein kann. "Wildfleisch von in Freiheit lebenden Tieren ist gesund und schmeckt hervorragend. Dennoch spielt es in unserer Ernährung keine große Rolle. Wir jagen ja heutzutage nicht mehr, um uns überlebenswichtige Nahrung zu beschaffen, sondern eher aus Umwelt-, Tier- und Landschaftsschutzgründen", so Heinrich Stahlhut-Klipp. Ob man es sich deshalb leisten kann, Jagdgesetze zu formulieren, die in einem erstaunlichen Maße das Wohl der Tiere des Waldes im Auge haben? <br />
So wäre es doch sehr praktisch, wenn man das Wild an Futterstellen locken und es dort ohne große Mühe abschießen dürfte, und der Jagderfolg wäre auch garantiert, dürfte man externe Lichtquellen benutzen, um die Tiere dadurch anzulocken und vor die Flinte zu bekommen. Noch in der ehemaligen DDR standen für ausgewählte Personen riesige, eingezäunte Jagdgehege zur Verfügung, in denen der Wildbestand künstlich hochgehalten wurde, damit prächtige Gesellschaftsjagden abgehalten werden konnten, bei denen auch noch der ungeübteste Schütze zum erfolgreichen Jäger wurde. "Sowas wäre im Rahmen unserer Jagdgesetze vollkommen absurd", sagt Heinrich Stahlhut-Klipp. "Die Zeiten, als man das Jagen wie früher an den großen Fürstenhäusern als reinen Sport betreiben durfte, die sind zum Glück sowieso vorbei."<br />
Er selbst, inzwischen 76 Jahre alt, nahm als Junge noch teil an den bäuerlichen Treibjagden auf Hasen und Kaninchen, wo die Kinder des Dorfes als Treiber eingesetzt wurden und zusammen mit Bauern und Jägern aus den gemeinschaftlichen Jagdbezirken ein großes Kesseltreiben veranstalteten. Die Kinder und Jugendlichen bekamen natürlich kein Gewehr in die Hand, dafür aber einen Stock, mit dem sie auf die Büsche schlugen, dabei "Has! Has!" ausrufend, damit die Hoppeltiere dann in Richtung der Schützen fliehen würden. Solche "Vorsteh-" und auch die "Kesseltreiben" lassen den einzelnen Hasen und Kaninchen kaum eine Chance zu entkommen und sie trugen dazu bei, den Bestand der Tiere erheblich zu vermindern. <br />
Früher allerdings ging es dabei nicht nur um einen Hasenbraten, sondern auch darum, Wildschäden an jungen Bäumen, auf den Feldern und in den Gärten zu vermeiden. Inzwischen würde bei einer Treibjagd nicht mehr viel herauskommen. "Die Struktur in der Feldmark hat sich total geändert", erklärt der ehemalige Kreisjägermeister. "Feldhasen brauchen eine gegliederte Landschaft, nicht die riesigen Raps- und Maisfelder, wo sie keine geeignete Nahrung finden." Wirklich gefährdet sei das Überleben der Feldhasen zwar nicht, aber es gäbe eigentlich "keinen vernünftigen Grund" mehr, diese Tiere zu massenhaft zu bejagen, ganz abgesehen davon, dass man auf keinen Fall mehr Kinder bei einer Treibjagd zulassen würde. "Ich habe die Treibjagden sowieso nie gemocht", erzählt Heinrich Stahlhut-Klipp. "Schon als Kind hatte ich das Gefühl, es geht dabei nicht gerecht zu und ich fragte mich: 'Warum machen wir das?'" <br />
Da erging es ihm nicht viel anders als dem Schriftsteller Ernst Wiechert (1887-1950), der in seinem autobiographischen Roman "Wälder und Menschen" davon erzählt, wie er in seiner Jugend als Sohn eines Förster, durch den Wald streifte, um zu jagen, was ihm vor die Flinte kam, erfüllt zunächst vom Stolz über jeden guten Schuss, bis sich wie von selbst eine Änderung in seinem Denken einstellte, ein Mitgefühl, das eigentlich schon in seiner Kindheit angelegt war, wo ihn ein Buch zutiefst beeindruckte, in dem er las, "wie dort ein Jäger einen Falken schießt, und der tote Vogel, herabgeschleudert aus seinem klagenden Schrei, stürzt in das Moos, und um diesen Sturz herum ist eine unsägliche Schwermut hoffnungsloser Liebe, trauriger Landschaft und unendlicher Sehnsucht."<br />
Natürlich muss gejagt werden, um einen Wildbestand im Gleichgewicht zu halten, der, gäbe es keine menschlichen Jäger, von Raubtieren wie Wolf, Luchs oder Bären reguliert würde. Doch gilt für die Jagd das Tierschutzgesetz, nachdem kein Tier ohne vernünftigem Grund getötet werden darf. "Und die reine Freude an der Jagd ist längst kein 'vernünftiger Grund' mehr", so Heinrich Stahlhut-Klipp. "Das Ziel muss immer die Beute sein und der Anspruch, diese dann auch zu verwerten." Die Grundlagen für das heute gültige Bundesjagdgesetz wurden bereits im Jahr 1848 geschaffen, als die Frankfurter Nationalversammlung einen Grundrechtskatalog formulierte in dem es auch darum ging, dass nicht mehr allgemein die Fürsten, sondern die jeweiligen Grundbesitzer das Recht zum Jagen besitzen sollten. 1929 dann wurde mit der Preußischen Tier- und Pflanzenschutzverordnung endgültig das festgeschrieben, was man unter dem Stichwort "Waidgerechtigkeit" zusammenfassen kann: Einheitliche Jagdgesetze, die auch international als vorbildlich gelten.<br />
"Waidgerechtigkeit, ja, das ist ein großes Wort, und ich staune immer noch, dass man diesen nicht einfach zu fassen Moralbegriff tatsächlich in ein Gesetz aufgenommen hat", meint Heinrich Stahlhut-Klipp. "Waidgerecht zu handeln, bedeutet, ein 'anständiger" Jäger zu sein, und natürlich wandelt sich die Auffassung dessen, was 'Anstand' bedeutet, mit der Zeit." Trotzdem kann man die Maxime der jägerlichen "Anständigkeit" durchaus auf den Punkt bringen: Dem Tier kein Leid zuzufügen. "Das klingt für den Laien vielleicht etwas eigenartiges", sagt er. "Schließlich schießen und töten wir ja." Doch habe der Anspruch, ein Tier nicht leiden zu lassen, eine ganze Reihe Verhaltensvorschriften zur Konsequenz, die zusammen tatsächlich eine "Ethik der Jagd" ergeben.<br />
An erster Stelle mag da stehen, dass man nur schießen soll, wenn man sich sicher ist, auch gut treffen zu können. "Ein 'mal sehen, ob es vielleicht klappt' kommt nicht in Frage!", so Helmut Stahlhut-Klipp. Dass man ein Tier dann vielleicht trotzdem nur verletzt, kann vorkommen, und auch dafür gibt es klare Regeln. Ohne ausgebildeten Jagdhund darf man sich beim Anstand auf Wildscheine, Rehe oder Rotwild gar nicht erst begeben, es sei denn, in Ausnahmefällen, man könnte sofort einen Schweißhund-Besitzer zur Hilfe rufen, mit dessen Unterstützung man sich auf die Suche nach dem verwundeten Tier macht, so lange, bis man es gefunden hat.<br />
Dabei ist es, trotz der eigentlich praktischen breiten Streuung, auch streng verboten, mit Schrottmunition auf das Rehwild zu schießen. Eigentlich soll jeder Schuss gleich tödlich sein, und damit das möglichst gut gewährleistet ist, gehen noch unerfahrene Jäger nicht allein auf die Jagd, ist der Zustand der Waffe regelmäßig zu prüfen, darf nicht mit Pistolen, Revolvern oder aus dem fahrenden Auto geschossen werden, und Fallen, gar Gift kommen eh nicht in Frage. Auf der anderen Seite darf die Jagd, so treffsicher es dank moderner Technik dabei zugehen könnte, niemals zum reinen Schießen auf lebendige Ziele verkommen. Auch muss jedes Tier vor dem Schuss "angesprochen" werden, das heißt, der Jäger muss beurteilt haben, ob es tatsächlich ein würdiges Ziel ist. Ist außerhalb der Schonzeit eine Ricke mit Kitz unterwegs, hat man immer zuerst das Kitz zu erledigen und dann das Muttertier. <br />
"Und schließlich", so Helmut Stahlhut-Klipp, "für einen anständigen Jäger muss das Jagen eine Herausforderung sein! Das Anpirschen gegen den Wind, das Überlisten, all das gehört dazu. Sonst könnten wir ja gleich in ein Gatter gehen und Schießbuden-Schießen abhalten." Sollte einem Jäger mal ein Fehler unterlaufen sein, etwa, dass er ein verwundetes Tier nicht finden konnte, oder dass er ein zu junges Wild erlegte, dann muss er es vor seinen Kollegen eingestehen. "Alles andere wäre unter der Würde." <br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-10426006503182417972013-03-13T00:03:00.002+01:002013-03-13T00:03:55.840+01:00Töten, leiden und sterben im PC-Spiel - Lara CroftVon Cornelia Kurth<br />
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Da ist eine junge Forscherin, fast noch ein Mädchen. Sie begibt sich hoffnungsfroh auf ihre erste große Reise, doch das Schiff geht unter und sie strandet allein auf einer abgelegenen Insel. Was dann beginnt, mag man unbedingt "Abenteuer" nennen, doch zugleich ist es ein so ungeheuer fordernder Kampf ums Überleben, dass man all das, was dem Mädchen geschieht und was es tut, um dem Tod zu entgehen, auch als "Martyrium" bezeichnen mag, der Weg eines "unschuldigen" Mädchens durch Schmerz, Blut, Leiden und Tränen hin zur abgehärteten Kämpferin, die viele als "Lara Croft" kennen. <br />
Die Rede ist vom PC-Spiel Tomb Raider, das gerade herauskam, weltweit hunderttausende Spieler in seinen Bann zieht und das (für etwas sensiblere Gemüter bis fast an die Grenze des Erträglichen) richtiggehend zelebriert, was in den meisten PC-Spielen im Mittelpunkt steht: das Kämpfen auf Leben und Tod, das Töten in unterschiedlichsten Variationen und auch das eigene Sterben, wenn man sich ungeschickt anstellte, eindrucksvoll in Szene gesetzt in umwerfender Grafik. Es ist einerseits so, als sähe man einen Film, andererseits aber steuert man als Spieler und Co-Regisseur des Geschehens die junge Heldin per Tastendruck und ist also unmittelbar dafür verantwortlich, ob sie sich gegen üble Banditen und Ungeheuer durchschlagen kann, oder ob sie in eine Schlucht stürzt, schwer verwundet wird, von Pfeilen durchbohrt, in Schlingen aufgehängt, von Spießen aufgespießt.<br />
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Und sie stöhnt und weint mit mädchenhafter Stimme, sie zittert und blutet, sie will erst nicht töten, muss es aber tun. Sie schneidet Kehlen durch und jagt ihre Gegner mit Granaten in die Luft, sie darf kein Mitleid kennen, dem Feind nie vertrauen, sie muss grausige Höhlen durchwandern, um neue Waffen zu finden und niemals gibt es einen Weg zurück, immer nur voran, der Gefahr und Mord und Totschlag entgegen. Einzige Atempause findet sie an ihrem einsamen Lager, am nächtlichen Lagerfeuer, wo sie neue Pläne schmiedet, ihre Waffen und Ausrüstung komplettiert und ihre Verzweiflung durch innere Abhärtung zu besiegen versucht. "Es ist ein ganz großartiges Spiel, das ich wie besessen in einem Stück durchspielte", sagt Maik Leipold, Fachberater auch in Sachen PC- und Konsolenspiele in der Rintelner Filiale des Technikmarktes "Expert". "Selten kann man sich so sehr und so mitgerissen mit einer Spielfigur und ihrer Entwicklung identifizieren."<br />
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Doch was passiert denn da? Was passiert überhaupt in solchen Spielen, wo man sich mit dem "Helden" in eine Welt begibt, in der man ständig kämpfen und töten muss, sei es mit Bogen und Schwert, sei es mit modernen Schusswaffen oder indem man gleich ganze Armeen gegeneinander aufhetzt. Menschen, die solche Spiele nicht spielen, sind oft einfach nur abgestoßen oder geschockt, wenn sie von diesen Gewaltorgien hören, nicht zuletzt Eltern, deren Teenagerkinder ihre Zeit mit Kriegsspielen oder Ego-Shootern verbringen und dabei unzählige Gegner auf mehr oder weniger brutale Weise in Jenseits befördern. "Tötet" man in einem auch nur irgendwie realistischem Sinn, wenn man die Feinde im Spiel abmetzelt? Ist die halbe Nation auf eine Weise verroht und abgebrüht, wie Lara Croft es am Ende ihres Weges ist?<br />
Fragt man so was in Spielerkreisen, wird das überwiegend und mit einem nachsichtigen Lachen entschieden verneint. "Wie soll man denn Pixelbilder töten?", heißt es, oder: "Das Ganze ist ein Spiel, nichts als ein Spiel, wie früher 'Cowboy und Indianer'", oder: "Ob man Moorhühner abschießt oder Pacman kleine süße Monster frisst, das ist doch auch nichts anderes".<br />
Jeder, der Erfahrung mit Computerspielen hat und sich mit dem, was er da treibt, auseinandersetzt, wird allerdings wissen, dass es ganz so einfach nicht ist. Natürlich kann man Pixel nicht töten, und wenn man seinen Helden gerade mit einem Zweihänder mitten unter die Banditen schickt, damit er ihnen den Garaus mache, ja selbst, wenn es einem gefiel, die unschuldige Einwohnerschaft eines Dorfes einfach so umzulegen, so hat man in Wirklichkeit nichts Böses getan, genauso wenig, wie ein Kind, das einem anderem zuruft: "Peng, du bist tot!" <br />
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Und doch gibt es ganz unterschiedliche Spiele, in denen das ewige Kämpfen und Töten sich emotional gesehen kaum miteinander vergleichen lässt. Ein Spieler, der den Ego-Shooter "Counter-Strike" oder das Kriegspiel "Call of Duty" spielt, er bewegt sich zwar durch (bürger-)kriegsähnliche Szenerien von manchmal überwältigender graphischer Realitäts-Dichte, doch sind beim Erledigen der Gegner, das belegen unzählige Selbstaussagen, kaum mehr Emotionen im Spiel, als würde er tatsächlich nur Moorhühner aus dem Weg räumen. Ein Jugendlicher dagegen, der im Alltagsleben-Simulationsspiel "Die Sims" eines seiner Geschöpfe ins Schwimmbecken schickt und dann die Leiter zum Aussteigen entfernt, er kann mit geradezu sadistischer Freude zusehen, wie etwa die Sims-Mutter schwächer und schwächer wird, bis sie ertrinkend untergeht.<br />
Auch Strategiespiele wie das beliebte "Warcraft", in dem man als Kriegsherr seine Armeen ins Feld führt, um gegnerische Armeen zu vernichten, sie verzeichnen zwar in jeder Runde Hunderte von Toten, doch rührt die Spieler dabei nur, ob sie gewinnen oder verlieren, nicht anders, als wenn ein Schachspieler seine Bauern opfert. In einem mittelalterlichen Rollenspiel wie "The Witcher" aber, wo man vor die Entscheidung gestellt wird, ob ein Gefangener gegen sein Flehen getötet wird, damit man andere retten kann, liegt einem die Last dieses Todes durchaus als Schuld auf der Seele. <br />
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"Es ist doch so, dass es kaum noch erfolgreiche Spiele gibt, in denen es nicht ums Töten geht", so Maik Leipold. "Ich denke schon, dass die Spiele dazu dienen, alltägliche Aggressionen abzubauen und sich einfach mal abzureagieren, ohne dabei anderen zu schaden oder Geschirr an die Wand zu werfen." Im klassischen deutschen Rollenspiel "Gothic" sagt der Held dann, wenn er mal wieder eines der Monster aus dem Wald besiegte, triumphierend: "Ein Mistvieh weniger!" und kreierte damit einen in der Szene höchst beliebten Insider-Spruch. "Auch "dir hau ich volles Pfund aufs Maul" ist so ein Spruch geworden, und keiner der Spieler vergisst, wie gut es tat, einem zunächst übermächtigen Pixel-Miesling dann tatsächlich eins aufs Maul zu geben, ohne dass er vorhatte, das demnächst auch im wirklichen Leben so zu handhaben.<br />
Es gibt allerdings auch Computerspiele, in denen das Blutvergießen nicht Mittel zum Zweck ist, wie in den Kriegs-, Strategie- und Rollenspielen, sondern ein Zweck an sich: Nur noch Morden von Figuren, die überhaupt nur dafür existieren, dass sie im wahnsinnigen Blutrausch auf möglichst realistisch-schaurige Weise abgeschlachtet werden. Die meisten davon stehen auf dem Index und dürfen nicht innerhalb des normalen Spiele-Angebots verkauft werden. "Aber auch so fragen viele Kunden nach wirklich harten Spielen", sagt Christian Then, Fachberater für PCs und Konsolen im "Media Markt" Hameln. "Je schlimmer und brutaler, desto besser". Maik Leipold bestätigt diese Tendenz. "Das liegt daran, dass die wenigsten Leute sich wirklich mit einer Geschichte identifizieren. Sie wollen einfach drauflos ballern. Die meisten Spiele werden ja online mit anderen Spielern gespielt, und dann amüsiert man sich, je mehr abgetrennte Glieder durch die Luft fliegen oder Blutfontänen spitzen." <br />
Die Grausamkeiten in "Tomb Raider" haben mit solchem Stumpfsinn allerdings wenig zu tun.<br />
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"Lara Croft erlebt eine Geschichte und wir erleben sie mit ihr", erklärt Leipold. "Man versteht nach diesem Spiel, wie sie zu der berühmten Figur werden konnte, die wir aus den Vorgängerspielen kennen. Es gibt nur ganz wenige Spiele, in denen auch die Spielfigur so viel mitmachen muss wie Lara. Das Leiden, die Hilflosigkeit des Mädchens, und wie sie sich daraus erhebt und wie das Töten für sie auf eine irgendwie tragische Weise etwas ganz Normales wird - mich hat das ungeheuer beeindruckt."<br />
Und nicht nur ihn, sondern unzählige Spieler auf der ganzen Welt. Als wenn dabei etwas archaisch Menschliches seinen Ausdruck findet, nämlich der Wunsch, aus anfänglicher und tief empfundener Unterlegenheit zum unbesiegbaren Helden zu werden, dabei gerechtfertigt durch Schweiß, Blut und Tränen. Bücher bestehen aus Buchstaben und Computerspiele aus Pixeln. Ob und wie intensiv man daraus eine Geschichte erwachsen lässt, aus der man seltsam gestärkt hervorgehen kann, liegt am Einzelnen. (Ich selbst übrigens habe mir nur Videos zum Spiel angesehen, mir geht hier die Identifikation mit Martyrium und Berserkertum zu weit, zu nah.)<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-52138803670622356262013-03-13T00:02:00.000+01:002013-03-13T00:02:18.519+01:00Feminismus - ein Schimpfwort?Von Cornelia Kurth<br />
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Achter Mai, der internationale Frauentag, er soll ein Anlass sein, herumzufragen, ob es noch Frauen gibt, die sich frei heraus als "Feministin" begreifen. Dabei zeigt sich schnell: Diese Umfrage gestaltet sich schwierig. Die übliche Antwort besteht in einer mal vorsichtigen, mal entschiedenen Distanzierung, meistens mit der Begründung: Na ja, so radikal und männerfeindlich bin ich nun nicht. Schließlich aber sind da doch zwei schon etwas ältere Frauenpersönlichkeiten, die eine aus Rinteln, die andere aus Hameln. "Klar bin ich Feministin, was soll ich denn sonst sein", sagt Theologin Karin Gerhardt (59), und Helga Altkrüger-Roller (67), Soziologin und Buchautorin, meint: "Natürlich, ich bin für die Frauen, also bin ich Feministin. Ich habe kein Problem mit diesem Begriff, auch wenn er von vielen Leuten nicht gerade im schmeichelhaften Sinn gebraucht wird." <br />
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Sie sei schon immer und wie von selbst Überzeugungstäterin gewesen, so Helga Altkrüger-Roller. "Das erste, was ich rund um den Feminismus aufnahm, war Simone de Beauvoir und ihr Buch 'Das andere Geschlecht'", sagt sie. "Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, die erschienen mir als Traumpaar, eine gleichberechtigte, offene Beziehung ohne Heirat, frei und voller gegenseitiger Achtung, ohne eine Institution dazwischen zu schalten." Sie selbst habe allerdings schon sehr früh geheiratet, weil nichts anderes übrigblieb, wenn ihr Freund mal bei ihr übernachten wollte. "Aus meiner ersten Studentenbutze musste ich ausziehen, weil der Vermieter das Auto meines Freundes in der Nähe der Wohnung entdeckt hatte - damals gab es ja noch den Kuppelei-Paragraphen. Wir wollten zusammensein, also mussten wir heiraten."<br />
Auch Karin Gerhardt fallen sofort Situationen aus ihrer Zeit als junge Erwachsene ein. "Als ich studieren wollte, hieß es ringsum: 'Mädchen und Abitur? Rausgeschmissenes Geld, die heiratet ja doch'. Und dann die Häme, der Spott, wenn Frauen den Führerschein machten, oder die süffisanten Bemerkungen, wenn ich während des Studiums in der Bücherei las und lernte: 'Dein Mann und deine Kinder kriegen wohl nichts mehr zu essen.' Als Frau bewegte man sich in einem Umfeld, wo es ständig zurückgespiegelt wurde, wenn man ganz harmlos die traditionelle Rolle durchbrach. Und wenn man 'emanzipiert' war, kam die Reaktion: 'Du hast wohl was gegen Männer'."<br />
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Helga Altkrüger-Roller studierte während der Zeit der Studentenbewegung in Frankfurt, bei Größen wie Horkheimer, Adorno, Mitscherlich, sie wählte Fächer wie Industriesoziologie, Sozialpsychologie, Politik, und hätte doch zuerst am liebsten Sport studiert, um dann Sportjournalistin zu werden. "Tja, das ging ja nun gar nicht", meint sie. "Die Vorstellung, dass eine Frau über die Bundesliga schreibt oder im Fernsehen kommentiert, die schien so absurd - das konnte ich vergessen." Sie erinnert daran, dass es nicht lange her ist, noch nicht mal 40 Jahre, dass der Ehemann seiner Frau untersagen konnte, erwerbstätig zu sein, weil bis 1977 noch eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe bestand, der Mann als Versorger, die Frau als Hausfrau. "In solchen Zeiten eine Frau ausgerechnet als Sportjournalistin, wo viele schon darum kämpfen mussten, überhaupt einen Job anzunehmen, abwegig."<br />
Karin Gerhardt hatte zuerst vor, Medizin zu studieren, doch wurde ihr schnell klar, dass sich der Arztberuf nicht mit den Aufgaben als Mutter und Ehefrau vereinbaren lassen würde. Als Theologiestudentin dann, die Pastorin werden wollte, war es schon Normalität, gefragt zu werden, ob Frauen sowas überhaupt können. "Wenn man bedenkt, dass es bis zum Jahr 1990 noch keine weiblichen Pastoren in Schaumburg-Lippe gab, dann wird einem auch bei solchen Rückblicken noch mal klar: Die Rechte für Frauen sind nicht vom Himmel gefallen, sie wurden hart erkämpft."<br />
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Beide Frauen sind nicht in dem Sinne Feministinnen, dass sie selbst für das Recht auf Abtreibung auf die Straße gegangen wären oder für "Gleichen Lohn für gleiche Arbeit" demonstriert hätten. Es waren eher die allgemein politischen Demonstrationen, an denen sie teilnahmen. Sie sind beide verheiratet, und wenn Helga Altkrüger-Roller keine Kinder hat, so sollte das keine direkte Verweigerung der Mutterrolle sein, es ergab sich so. "Ich weiß noch, wie mein Mann von seinen Kollegen angesprochen wurde, dass es so ungerecht sei: Wir als Doppelverdiener und sie als Familienväter, von deren Gehalt mehrere Menschen leben mussten. Und gerade auch die Mütter, o, viele feindeten Frauen wie mich an, berufstätig und ohne Kinder." Beide Frauen erzählen auch von Männern in ihrer Berufswelt, von denen sie großartig unterstützt und gefördert wurden.<br />
"Und doch war ich eine Ausnahme mit meinem Politikstudium, meinem Beruf als Soziologin", sagt Helga Altkrüger-Roller. Als sie vor Jahren ihr Buch "Abi 1966" schrieb und darin den Biographien ihrer ehemaligen Mitschülerinnen nachspürte, entdeckte sie, dass sie die Einzige war, die sich überhaupt irgendwie politisiert hatte. "Das lag sicher auch an meinem Vater, der mir viel Selbstbewusstsein vermittelte", meint sie. "Eigentlich sollte ich ja ein Junge werden, ein Helmut, aber später sagte mein Vater immer, Frauen seien die besseren Menschen. Das hörte ich schon gerne."<br />
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Dass die meisten Frauen, die an die 60 Jahre und älter sind, keinen Vollzeitberuf hatten und sich auch nicht so intensiv in einem politisch-gesellschaftlichen Umfeld bewegten, es lag daran, dass sich beides, Beruf und Karriere, für Frauen fast nie vereinbaren ließ. "Und wenn man dann noch an das damalige Scheidungsrecht denkt, das bis 1977 nach dem Schuldprinzip verlief, und eine Frau, die 'schuldig' geschieden wurde, quasi ohne Versorgung dastehen ließ - es ist eigentlich kaum zu fassen", so Karin Gerhardt. "Hausfrau und Mutter zu werden bedeutete lange Zeit, sich in totale wirtschaftliche Abhängigkeit zum Ehemann zu begeben, ach, und leider bedeutet es heute ja schon fast wieder dasselbe." <br />
Nachdem das Scheidungsrecht erneut reformiert wurde, gibt es keine "Versorger-Ehe" mehr, keine wirkliche Absicherung mehr für den Fall, dass ein Paar sich nach 20 Jahren Ehe mit drei Kindern scheiden lässt. "Bisher ist es ja doch meistens noch die Frau, die beruflich zurücksteckt, sich um Kinder und Haushalt kümmert und dadurch viel weniger verdient als der Mann. Zu meinen, man könne einfach so mit voller Kraft in den Beruf zurückkehren, wenn man einmal draußen war, ist eine Illusion. Die Folge wird sein: Altersarmut für eine ganze Generation von geschiedenen Frauen, die kaum eine Chance haben, sich erträgliche Rentenbeiträge zu erarbeiten. Ich rate allen jungen Frauen: denkt an eure finanzielle Unabhängigkeit!"<br />
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Helga Altkrüger-Roller gehörte mit zu den ersten Frauen, die beschlossen, die Pille zu nehmen. "Es war ja so schwer, an Verhütungsmittel ranzukommen, und irgendwie schien es auch kaum Frauenärzte zu geben, ich kannte jedenfalls lange keinen", sagt sie. "O, als meine Mutter dann bei mir die Pillenschachtel fand, gab es einen Riesen-Aufstand. Meine Eltern fanden, man mache es damit den Männern einfach zu leicht. Dabei war die Pille natürlich die eigentliche Revolution im Umgang der Geschlechter. Die Möglichkeit der konsequenten Verhütung ebnete den Weg zur Gleichberechtigung."<br />
Wer mit Bewusstsein all die positiven Veränderungen reflektiere, der könne doch gar nichts anderes als Feministin sein, das sagen beide Frauen. "Viele verbinden den Feminismus mit einer entschiedenen Männerfeindlichkeit", so Helga Altkrüger-Roller. "Dabei geht es doch nur darum, dass die Hälfte des Himmels eben uns gehört." Und Karin Gerhardt: "Ich bin Feministin, weil Frauen in vieler Beziehung immer noch das 'andere Geschlecht' sind und weil wir nicht aus den Augen verlieren sollen, dass Frauen, vor allem weltweit betrachtet, noch so viel zu erkämpfen haben."<br />
Sie sei übrigens voller Dankbarkeit für die früheren "Emanzen", die bereits im vorletzten Jahrhundert für die Rechte der Frauen auf die Barrikaden gingen. Und Helga Altkrüger-Roller ist das sowieso, veröffentliche sie doch im letzten Jahr ein Buch voller Portraits "couragierter" Frauen aus Hameln und Umgebung. Heute, am Internationalen Frauentag, wird um 17 Uhr in den Räumen vom Hamelner "Radio aktiv", Deisterallee 3, aus diesem Buch vorgelesen und dazu eine Fotoausstellung eröffnet, die die zehn eindrucksvollen Frauenpersönlichkeiten präsentiert, deren Lebensgeschichten Helga Altkrüger-Roller nachspürte.<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-18110770469916998712013-03-12T23:58:00.002+01:002013-03-12T23:58:37.706+01:00Videothekensterben - längst vorbei!Von Cornelia Kurth<br />
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Einst gab es in Hameln an fast jeder Ecke eine Videothek, und auch im kleineren Rinteln waren es immerhin drei Unternehmen, die die Bürger mit auszuleihenden Filmen und Spielen versorgten. Inzwischen hat das große Videothekensterben so gut wie alle dahingerafft. In Hameln überlebte nur "Video-Buster", in Rinteln die "Mediawelt". Dabei ist es gewiss nicht so, dass sich die Menschen keine Filme mehr ansehen. Viele nur holen sie sich anders, übers Internet nämlich und noch dazu sehr häufig auf illegale Weise. "Ja, so ist es", sagt Jürgen Beete, Betriebsleiter bei Video-Buster. "Trotzdem läuft unser Geschäft so gut wie seit 2004 nicht mehr."<br />
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Er und der Rintelner Videothekeninhaber Peter Hofmann, sie leiten beide Traditionsvideotheken, die sie seit 30 Jahren durch den launischen Strom der Zeit führen und wo sie heute die Kinder derjenigen bedienen, die sich damals regelmäßig auf den Weg machten, um im Filmeangebot zu stöbern, damit es einen dieser Abende geben sollte, die auf jeden Fall gerettet waren, mit zwei oder gar drei Spielfilmen im Gepäck und dazu reichlich Süßigkeiten und Getränke. "Bei uns sind es oft Eltern und ihr jüngerer Nachwuchs, die Kinderfilme aussuchen oder jedenfalls Filme, die den Großen und den Kleinen, der ganzen Familie eben gefallen", so Peter Hofmann. "Die Jugendlichen, na ja, denen würde ich schon gern mal klarmachen, was sie da eigentlich tun, wenn sie sich ihre Filme einfach kostenlos im Internet ansehen."<br />
Anders nämlich als diejenigen, die sich an kostenlosen Pornos auf den einschlägigen Internetportalen bedienen, bewegen sich Spielfilm-Betrachter in einer rechtlichen Grauzone. Zwar ist es relativ problemlos möglich, selbst neueste Blockbuster auf entsprechenden Plattformen aufzurufen, doch diese Anbieter handeln kriminell. Sie verstoßen eklatant gegen Urheberrechte, und wer ihr Filmangebot nutzt, tut das ebenfalls. "Zwar wird es nicht strafrechtlich verfolgt, sich einen 'Stream' anzusehen, bei dem man den Film nur kurzfristig auf dem PC zwischenspeichert, aber es dürfte ja wohl keine Frage sein, dass man damit schlicht zum Dieb wird", sagt er. "Man wird nur nicht dabei erwischt, doch in meinen Augen handelt man nicht viel anders, als wenn man sich kostenlos in einem Supermarkt die Taschen füllt und dann einfach rausgeht, ohne zu zahlen."<br />
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An dieser Abzockmentalität können Videothekare wenig ändern, sie können sich nur darauf einstellen, ebenso, wie sie sich darauf einstellen mussten, dass ihre Erotikabteilungen, die hinter der Tür mit der Aufschrift "nur für Erwachsene" eine riesige Auswahl an Pornos jeden Kalibers bereitstellten, nun nicht mehr ein entscheidendes geschäftliches Standbein darstellen, sondern nur noch so nebenher laufen. Vor wenig mehr als zehn Jahren meinte Peter Hofmann, dass seine "Mediawelt" ohne die Erotikfilme zusammenbrechen würde. Heute ist die Anzahl der Pornos auf etwa ein Drittel zusammengeschrumpft, nicht anders als bei Jürgen Beetes "Video-Buster". Stattdessen setzt man stark auf den Service rund um familiäre "Gemütlichkeit".<br />
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Die Angestellten an der Theke können nicht nur wertvolle Beratungstipps geben, sie halten auch Popcorn, Süßes und Getränke bereit. Jürgen Beete punktet mit Verlockungen, die es sonst nirgends gibt, Schoko-Popcorn etwa oder spezielle amerikanische Süßigkeiten. "Wir sind nicht irgendeine anonyme Ausleihstelle, sondern binden unsere Kunden an 'ihre' Videothek", sagt er. Dazu gehört auch ein Internetauftritt, wo Filme vorgestellt, Neuheiten angekündigt, Hintergrundinfos geboten werden. "Natürlich nutzen auch wir die Onlinemöglichkeiten, um uns gut zu präsentieren. Nur so kann man am Markt bestehen."<br />
Dazu kommt die Ausweitung des Handels, wie es ihn vorher so nicht gab. Gebrauchte Filme werden sowohl in Hameln als auch in Rinteln zu günstigen Preisen angeboten, und man kauft auch seinerseits Gebrauchtware: "Viele Leute stellen ihre häusliche Videothek auf Blue-ray-Disks um und verkaufen uns ihre Dvds", so Beete. <br />
Was in den Videotheken auch oft genutzt wird: Die Möglichkeit, beschädigte Datenträger, zum Beispiel eine teure Navi-CD, reparieren zu lassen. "Insgesamt sehen wir unsere Chance darin, einen hervorragenden Service anzubieten", sagt Peter Hofmann. "Da geht es uns nicht anders als vielen anderen Geschäften auch, die mit dem Internet konkurrieren müssen. Service ist alles."<br />
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Das gilt ebenso für den Bereich der PC- und Konsolenspiele. Eine Zeitlang sah es dort nicht besser aus als bei den Filmen: Vor allem die jungen Leute raubten sich ihre Objekte des Begehrens aus dem Internet, "wie immer, ohne darüber nachzudenken, wie auf diese Weise eigentlich neue Spiele entstehen sollen, ohne ehrliche Käufer, die dafür bezahlen." Seit Spiele allerdings vermehrt über Online-Portale freigeschaltet oder von vornherein nur online gekauft werden müssen, dergestalt, dass man sich persönlich mit einem Account, einem Benutzerkonto, registrieren muss, seitdem leiht man sich wieder verstärkt Spiele aus, meistens, um sie so günstig antesten zu können und dann erst zu entscheiden, ob man die 40, 50, 60 Euro für den Kauf investieren will. Wer ein zuvor ausgeliehenes Spiel dann wirklich ersteht, dem wird die Miete auf den Preis angerechnet. <br />
Jürgen Beete und "Video-Buster" ziehen gerade aus dem Industriegebiet in die Hamelner Innenstadt um, in die Erichstraße, wo vorher die "Empire Videothek" ihren Sitz hatte. 50.000 Euro werden in Umbau und neue Software investiert. "Wir setzen weiterhin auf ein sehr differenziertes Angebot", so Beete. "Unser Kundenkreis besteht zum großen Teil aus Bildungsbürgern, die sich gerne Filme jenseits vom Mainstream kaufen oder ausleihen, oder auch Klassiker immer wieder ansehen wollen." Der Vorteil, den Videotheken da gegenüber Online-Anbietern haben: Sie können fast jeden Film bereitstellen, weil sie vertraglich nicht an ausgewählte Studios gebunden sind und sie tun das noch dazu oft viel preisgünstiger. "Wir kaufen gerade auch Filme aus dem Independentbereich an", sagt er, "und auch zum Beispiel einen alten Louis-de-Funès-Film findet man bei uns." <br />
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Gerade startet er ein Pilotprojekt in Hessisch-Oldendorf, wo es seit 2005 die Speed-Movie-Mediathek gibt, einen Automatenshop, aus dem man per Kartenzahlung Filme entleihen kann. Dieser Automat zieht aus der Langen Straße um in den Rewe-Markt vor Ort, damit noch mal ein anderer Kundenkreis angesprochen wird, Leute, die ihre Einkäufe erledigen und quasi im Vorbeigehen einen Film mitnehmen. "Das ist so ein kleines Gegenmodell zu den Service-Videotheken, doch in einem Ort ganz ohne Videothek besteht da durchaus eine Nachfrage."<br />
Tatsache ist: Die große Marktbereinigung hat denjenigen, die sich durchsetzen konnten, wieder ein breites Feld der Möglichkeiten eröffnet. Wenn es in der Öffentlichkeit so aussähe, als seien die existierenden Videotheken ständig in einen Kampf gegen den Untergang verwickelt, dann läge das in seinen Augen an einer Art Propaganda der Industrie, die nichts dagegen hätte, wenn Filme überhaupt nur noch übers Internet verkauft und verliehen würden, meint Jürgen Beete. "Denen wäre es nur recht, wenn es keine Videotheken mehr gäbe und dadurch ein Zwischenhändler wegfiele." <br />
Daran, dass solche Rechnungen ohne die Wirte gemacht werden, lassen die beiden Videothekare allerdings keinen Zweifel. "Wer jetzt noch eine Videothek führt und den Stammkundenkreis halten konnte, der ist nicht gefährdet, sondern er wächst", sagt Jürgen Beete. Und Peter Hofmann aus Rinteln:: "Existenzsorgen? Nein. Es läuft gut." <br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-25543363104166952452013-03-06T02:59:00.000+01:002013-03-12T23:59:35.259+01:00Wie man mit dem Rauchen aufhört - E-ZigaretteCornelia Kurth<br />
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Die Erkältung dauerte gar nicht so lange an. Nur der Husten, der mit ihr einherging, er blieb, o, selten habe ich so lange und so viel herumgehustet. Und dabei wagte ich nach eine Weile nicht mehr zu klagen oder irgendwo Mitleid einzuholen, denn: Die ganze Zeit rauchte ich weiter meine Zigaretten. Dass ich süchtig bin nach den "Wohltaten" des Nikotins - ich weiß es ja. Wie weit es damit aber erneut gekommen ist, wurde mir erst jetzt wieder wirklich klar. Nun naht das Jahresende und ich will, ich muss die Gelegenheit nutzen, mit dem Rauchen aufzuhören. Leider fällt mir sofort Mark Twains berühmt-ironischer Statement ein: "Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft."<br />
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Auch ich habe es schon mehrmals geschafft. Beim ersten Mal, vor langer, langer Zeit, gelang es durch meinen damaligen Freund, der den Rauchgeruch nicht mochte und drohte, mich nicht mehr zu küssen, wenn ich weiter rauche. Ich liebte ihn, also beugte ich mich dem Druck und entsagte meinen selbstgedrehten Zigaretten, die ich seit dem 16. Lebensjahr in immer weiter sich steigernder Anzahl geraucht hatte. Am ersten Tag litt ich zwar, doch ich tat es für die Liebe, und für das gute Gefühl, nicht mehr als abschreckendes Beispiel dazustehen für den in den 1980er Jahren überall groß auf Plakaten gedruckten Satz: "Wer küsst schon gerne einen Aschenbecher?" Es ist ja wirklich nicht schön, einem anderen Menschen Gerüche zuzumuten, die ihn ernsthaft belästigen.<br />
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Am zweiten Tag regte sich ein gewisser Trotz in mir: "Wenn er mich wirklich mag, wird er ja wohl das bisschen Rauchgeruch ertragen können!" Am dritten Tag war ich ernsthaft böse auf ihn und seine Intoleranz. Und als er sich an Tag vier darüber beschwerte, dass ich Knoblauch gegessen hatte, machte ich erstmal einen Spaziergang, besorgte mir was zu Rauchen, genoss, trotz schlechtem Gewissen, das anflutende Wohlgefühl und erkannte für alle Zukunft, dass äußerlicher Druck und Zwang zwar eine Methode sein mag, um mit dem Rauchen aufzuhören, doch keine, um das Wiederbeginnen zu verhindern.<br />
Weitere lange Jahre waren mein Tabak und ich unzertrennlich, bis ich eines Sommers in den Dänemarkferien mal ausnahmsweise ohne mein Rauchzeug eines Meeresspaziergang unternahm und feststellte, dass mir die Zigaretten gar nicht fehlten. Die Sonne, der Wind, die salzige Lust, das wunderbare Feriengefühl, all das machte meinen Suchtstoff Nikotin, diesen Endorphin-Produzenten, überflüssig. Unter dem mitternächtlichen Sternenhimmel versprach ich meiner Mutter, mit der zusammen ich den Vollmond betrachtete, von nun an dem Rauchen abzuschwören. <br />
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Tatsächlich hielt ich es noch zwei Ferienwochen durch. Doch auf der Rückfahrt, im Autobahnstau, stieg ein derartig bedrängendes Kribbeln und Flirren in mir hoch, dass ich die nächste Raststätte ansteuerte, um mir Zigaretten zu kaufen. Wieder zuhause, und den Anspannungen des Arbeitsalltages ausgesetzt, war der Mitternachtsschwur dann schnell endgültig gebrochen. Ich schämte mich meiner Schwäche, ja, doch war ich andererseits froh, die Tröstungen des Nikotins wieder entgegenzunehmen. Erkenntnis Nummer Zwei: Mit Rauchen aufzuhören, wenn ringsum die Welt in Ordnung ist, macht den Anfang leicht. Doch ohne wirklich Willenskräfte in sich versammelt zu haben, fordert die Sucht schnell erneut ihr recht.<br />
Mit Ende 30 stellte ich fest, dass ein Päckchen Tabak, aus dem ich an die 50 Zigaretten drehen konnte, keine zwei Tage mehr hielt. Meine Schwester sagte mir, sie habe Angst, ich könne jung an Lungenkrebs sterben, die Schwägerin machte sich über meine gewisse Kurzatmigkeit lustig, mein Bruder hatte es schon ein Jahr geschafft, nicht mehr zu rauchen, und ich stieß im Internet wie zufällig auf einen Artikel über Zigaretten aus einem "Knaster" genannten Tabak, der gar kein Tabak ist, sondern ein Gemisch aus unterschiedlichen Kräutern, die keinerlei Suchtstoffe enthalten und dadurch den Ausstieg aus der Nikotinabhängigkeit erleichtern sollen - man raucht nach der Methode "Trick 17 mit Selbstüberlistung".<br />
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Ich war begeistert, ja geradezu euphorisch. So könnte ich es schaffen! Ich würde mich des Nikotins entwöhnen, dabei aber wenigstens das orale Vergnügen des Rauch-Inhalierens beibehalten, und nach und nach dann wie von selbst auch das Kräuterzeugs mehr anrühren. Meine Mitbewohner könnten diese Begeisterung zwar nicht unbedingt teilen, da der "Knaster"-Qualm ungefähr so roch, als habe man einen Haufen feuchter Blätter angezündet, ich aber täuschte mich über das Verlangen nach Nikotin darüber hinweg, dass ich, sehr zum Amüsement der Verkäuferinnen im Teeladen, jede Menge unterschiedlicher Kräutertees einkaufte, um mir daraus Tabake zu mischen, die nicht mehr so nach Waldbrand riechen würden.<br />
Hart war es trotzdem, dieser Selbstüberlistungsentzug. Immer, wenn mich die Sehnsucht nach meiner Droge überkam, zündete ich den Kräuterstängel an, um nach dem zweiten Zug ja festzustellen, dass die erhoffte Wirkung ausblieb. Doch konnte ich mich damit über die Suchtanfälle hinüberretten und wirklich: Nach einigen Wochen gab es immer häufiger Tage, an denen ich gar nicht rauchte und schließlich wurde der Kräutertee wieder getrunken, der "Knaster" aber vertrocknete in der Schublade. Mein ganzer Lebenswandel revolutionierte sich. Ohne Zigaretten bedeutete mir der Wein kaum noch etwas, ohne einen abendlichen Wein, der mich zu schriftstellerischen Taten anregte, ging ich viel früher ins Bett, stand früher auf, sah gesünder aus, nahm etwa sieben Kilo zu und gewann die Erkenntnis, dass das Herausschleichen aus einer Sucht durchaus ein gangbarer Weg ist.<br />
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Warum ich dann doch wieder das Rauchen begann, ja es mir, nach fünf Jahren ohne Tabakgenuss, mühsam antrainierte (die ersten Zigaretten schmeckten scheußlich und kratzen fürchterlich im Hals) - ich weiß es nicht! Lag es daran, dass es mir so schien, als seien meine Artikel nicht mehr so inspiriert wie zuvor, oder daran, dass mich häufiger als in meiner Raucherzeit, melancholische Verstimmungen heimsuchten (nicht umsonst wohl neigen manche Menschen eher als andere dazu, sich aufmunternde Substanzen einverleiben zu wollen) - wie aus dem Nichts heraus jedenfalls kaufte ich mir eines Tages eine Schachtel Zigaretten, und kaum war ein Monat vorbei, gehörten die rauchlosen fünf Jahre in eine ferne Vergangenheit.<br />
"Wenn ich im Himmel nicht rauchen darf, gehe ich nicht hin", auch das schrieb Mark Twain. Eine Art Raucherhimmel eröffnete sich mir vor etwa einem Jahr, als ich von der E-Zigarette erfuhr, die eigentlich keine Zigarette ist, sondern eine per Akku betriebene "Dampfe", indem das Gerät mit dem Aussehen einer Zigarettenspitze aromatisierte, nikotinhaltige Flüssigkeiten in einen Dampf verwandelt, den zu inhalieren fast dasselbe Gefühl auslöst wie das Tabakrauchen, nur, dass man dabei auf die etwa 4000 Schadstoffe verzichtet, die bei der Tabakverbrennung entstehen. selbst die größten Kritiker der E-Zigarette mussten zugeben, dass das Dampfen unendlich viel weniger schädlich sei als das Rauchen. Vom ersten Zug an war ich glücklich und zufrieden, und meine Umgebung auch, da der Dampf nur leicht duftet und ganz schnell verfliegt.<br />
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Fröhlicher hatte ich noch nie einen Rauchstopp durchgezogen. Es war kein Entzug, es war ein Vergnügen. Kein Leid, keine Melancholie, kein Verzicht, dafür eine körperliche Erholung wie sie auch sonst eintritt, wenn man nicht mehr raucht - was Mark Twain wohl davon gehalten hätte? Und ob er eine Erklärung für mich hätte, warum ich nach fünf Monaten doch wieder eine Selbstgedrehte versuchte, nach noch eine und noch eine, und diese rasante Art, das Nikotin ins Gehirn zu schicken gegenüber dem langsameren Anfluten beim Dampfen so viel überzeugender erschien, dass die "Dampfe" dort landete, wo bereits der Knaster abgelagert wurde?<br />
Seit vielen Monaten rauche ich wieder. Seit zwei Wochen geht dieser Husten einfach nicht weg. In wenigen Tagen beginnt das Neue Jahr, in dem ich keine Zigaretten mehr rauchen will. Ich nehme keinen Tabak mit, wenn ich zu meiner Familie fahre, dafür aber, um es mir leichter zu machen, die E-Zigarette, die schon einmal so hilfreich sein konnte. Mark Twain sagt mir: "Eine Angewohnheit kann man nicht aus dem Fenster werfen. Man muss sie die Treppe hinunterprügeln, Stufe für Stufe." Sie ist schon fast unten angekommen.<br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-47587706703527176472013-03-06T02:55:00.001+01:002013-03-06T02:59:15.173+01:00Hypnose - wirkt sie wirklich?Cornelia Kurth<br />
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Liest man, was Anbieter von Hypnosetherapien an Dienstleistungen anzubieten haben, dann könnte man meinen, der Stein der Weisen für Medizin und Psychologie sei längst entdeckt: Schmerzen und Allergien verschwinden, Ängste aller Art lösen sich auf, Raucher werfen die Zigarette für immer weg und Menschen mit Übergewicht beginnen eine vernünftige Ernährungsweise. Wer sich so richtig wohl in seiner Haut fühlen will, brauchte sich anscheinend nur in die Hände eines Hypnotiseurs zu begeben und alles wäre gut. "Das ist durchaus was Wahres dran", meint Brigitte Stotzka, die in Hameln als "Hypnose-Coach" arbeitet. "Nur darf man nicht übersehen, dass dabei die eigentlichen Heilkräfte vom Hypnotisierten selbst ausgehen."<br />
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Ebenso wie ihre Kollegin Astrid Ladage aus Hessisch-Oldendorf wirbt sie unter anderem damit, dass Raucher, die ihr Laster ablegen wollen, fast immer bereits nach einer einzigen Sitzung von ihrer Sucht befreit seien und auch ein Jahr später nicht wieder zum Glimmstängel gegriffen hätten. "Das ist keine Zauberei", so Brigitte Stotzka. "Vor der eigentlichen Hypnose erfrage ich, vor welchem Hintergrund und in welchen Situationen das Rauchen für den Klienten bedeutsam ist, und ich sprechen mit ihm darüber, warum er aufhören will und was ihn an dieser Vorstellung glücklich macht. In den Suggestionstexten während der hypnotischen Trance knüpfe ich an diese positiven Dinge an. Das reicht in den allermeisten Fällen, um den Schalter umzulegen."<br />
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Astrid Ladage, die diesen Vorgang auf ähnliche Weise beschreibt, betont, dass es dabei selbstverständlich auf den festen Willen des Hypnotisanden ankäme. Wünsche jemand eine Hypnose, der sagt, seine Frau habe ihn geschickt, weil sie will, dass er endlich zum Nichtraucher wird, dann beginne sie gar nicht erst mit der Therapie. "Man kann in der Hypnose niemanden gegen seinen Willen beeinflussen und ihm quasi eine Lebensweise aufzwingen, mit der er gar nicht einverstanden ist. Der Wille zur Veränderung muss da sein - und das ist er meistens auch, denn sonst würden die Leute gar nicht erst meine Unterstützung suchen."<br />
Wesentlich aufwändiger zu ereichen sei es zum Beispiel, dass der Wunsch, sein Körpergewicht zu reduzieren, tatsächlich in die Realität umgesetzt werde. Auch in solchen Fällen würden Vorgespräche geführt, in denen sich herauskristallisiere, wofür das leidenschaftliche Essen ein Ersatz sei, etwa für vermisste Liebe oder fehlende Anerkennung, zur Bewältigung von Stresssituationen oder schlichtweg, um der Langeweile zu entgehen. "Es geht darum, herauszufinden, was jemand wirklich will, dann haben wir den positiven Ansatzpunkt für die hypnotische Suggestion", erklärt sie. <br />
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Während es allerdings in Bezug auf das Rauchen ausreiche, einen intensiv erlebten Schlusspunkt zu setzen, verlange das Abnehmen eine weitergehende Umstellung im Alltagsleben. "Vom Rauchen kann man sich wirklich verabschieden, vom Essen aber nicht", sagt auch Birgit Stotzka. "Mit dem Essen wird man jeden Tag neu konfrontiert, da muss man dann 'nachlegen' und durch weitere Sitzungen den Willen zur Lebensänderung stärken, wieder, indem man versucht, den unbewussten Gründen für die 'Fresssucht' auf die Spur zu kommen. In der Hypnose ist das kritische Bewusstsein weitgehend ausgeschaltet, man nähert sich dem Unbewussten an und entdeckt dann oft die wahren Ursachen für ein problematisches Verhalten. Erst dann besteht die Chance zur Änderung."<br />
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Sie bringt das etwas anders gelagerte Beispiel einer Frau an, die unter einer Obstallergie litt. In der hypnotischen Trance versetzte sich diese Frau zurück in eine verdrängte Vergangenheit, und in einem sorgsam geführten Frage- und Antwortspiel stellte sich heraus, dass die Allergie, trotz aller schweren körperlichen Symptome, eine erfundene war, vor vielen Jahren dafür eingesetzt, um auf diese Weise Aufmerksamkeit und Mitgefühl auf sich zu lenken. "Nur im Zustand der Trance konnte die Frau sich dem damaligen Geschehen ohne Angst und Peinlichkeitsgefühl stellen. Als das geschafft war, gab es keinen Grund mehr, an der Allergie weiterhin festzuhalten."<br />
Überhaupt gehe es bei der Hypnose meistens darum, aus eingefahrenen Mustern auszubrechen und damit das eigene Selbstbild zum Positiven hin zu verändern. Sie arbeite oftmals auch mit Kindern, sagt Astrid Ladage. Fast immer stünden da Schulängste und ein angeknackstes Selbstbewusstsein im Mittelpunkt. Ein kleines Mädchen hatte zwei Fünfen in Mathearbeiten geschrieben und nun schreckliche Angst vor der nächsten Arbeit. "Da half es bereits, während der Hypnose die Einschätzung 'ich kann einfach kein Mathe' durch suggestive Sätze zu verwandeln in ein 'ich kann es eben doch!'." <br />
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Nicht viel anders sei es bei einem neunjährigen Jungen unter ihren Klienten gewesen, der in der Schule gemobbt wurde und sich rundherum schwach und ängstlich fühlte. Er wollte, wie sich herausstellte, stark wie ein Tiger sein, und genau das war auch das Thema während der hypnotischen Trance: "Ich bin ein tigerstarkes Kind!", diese Erkenntnis konnte den Jungen erreichen, sobald das selbstkritische Bewusstsein mal eine Weile schweigen musste.<br />
Immer noch ist es für die Wissenschaft ein Rätsel, wie solche Suggestionen gelingen können (dass sie es oftmals tun, daran besteht kein Zweifel). Nur etwa zehn Prozent aller Menschen sind gar nicht oder erst nach vielen Versuchen hypnotisierbar, die allermeisten aber erreichen problemlos eine mittelgradige Hypnosetiefe, darüber besteht ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens. Gerade die mittlere Hypnosetiefe, in der noch ein kleiner Anteil des bewussten Ichs bestehen bleibt, eignet sich besonders gut für solche therapeutische Ansätze, in denen Hypnotiseur und Hypnotisand während der Trance Gespräche führen.<br />
Brigitte Stotzka und Astrid Ladage arbeiten, wie viele andere auch, nach dem Konzept des amerikanischen Psychiaters und Psychotherapeuten Milton Erickson (1901 - 1980), der als Pioneer der modernen Hypnosetherapie gilt. Anders als frühere Hypnotiseure, seien sie nun Ärzte oder "Künstler" gewesen, und anders, als es meistens bei den oft spektakulären heutigen Showhypnosen der Fall ist, rekrutiert die Ansatz von Milton Erickson auf die Aktivierung von Selbstheilungskräften, die in jedem Menschen vorhanden seien und wachgerufen werden müssten, damit sie ihre Wirkung entfalten. <br />
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Tatsächlich sind diese Kräfte bei vielen Menschen so stark, dass ein Arzt sie hypnotisieren und dann völlig ohne Betäubung operieren könnte (was auch regelmäßig so gemacht wurde, bevor die Narkose diese Art der Sedierung ablöste). Auch Brigitte Stotzka machte die Erfahrung, dass man eigene Ressourcen zur Schmerzbekämpfung aktivieren kann. Unter der Hypnose wurde bei ihr ein chronischer Scherz im Arm ausgeschaltet, was dann dazu führte, dass sie die nötige Gymnastik machen konnte, damit gefährliche Kalkablagerungen sich endlich lösten. "Da wurde mir ganz konkret bewusst, dass Schmerzen recht eigentlich im Kopf entstehen. In meinem Fall half es, das Schmerzgedächtnis zu löschen, um mir zu helfen."<br />
Nun sind Hypnose-Anbieter wie die beiden Frauen aus Hameln und Hessisch Oldendorf weder Mediziner noch Diplom-Psychologen. Sie dürfen und wollen diesen Anspruch auch nicht gar nicht erheben. Astrid Ladage war "Mentaltrainerin", bevor sie ihre Hypnoseausbildung absolvierte, Brigitte Stotzka arbeite in einer Hamelner Behörde, bis sie sich als zertifizierter "Hypnose-Coach" vor drei Jahren mit ihrer Praxis selbständig machte.<br />
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Trotzdem können auch sie sich auf die Feststellung des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie berufen, der im Jahr 2006 im Deutschen Ärzteblatt verkündete, dass die Hypnosetherapie bei Erwachsenen unter anderem für die psychischen und sozialen Aspekte bei somatischen Krankheiten und für die Lösung von Suchtproblemen wissenschaftlich anerkannt sei. Eine in dieser Verkündigung zitierte Studie von Professor Dirk Revenstorf (Uni Tübingen) belegt, dass fast die Hälfte der untersuchten Raucher, die ihrer Sucht unter Hypnose abschworen, auch noch nach einem Jahr abstinent geblieben waren.<br />
Das Hypnotisieren funktioniert übrigens nicht nur bei einem Gegenüber, man kann sich mit einigem Geschick auch selbst in die hypnotische Trance versetzen, eine sehr nützliche Fähigkeit, wie Astrid Ladage und Brigitte Stotzka bestätigen. "Morgens trinke ich nicht als erstes einen Kaffee, sondern ich sage mir: 'Dies wird ein wunderbarer Tag!'", so Brigitte Stotzka. "Meistens wird es das dann auch."<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-9312578953542298662013-03-06T02:53:00.003+01:002013-03-06T02:59:33.566+01:00Kinder sehen PornosCornelia Kurth<br />
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Dass die meisten Jugendlichen spätestens mit 13 oder 14 Jahren ihren ersten Porno gesehen haben, ist keine Frage. Jeder, der Zugang zum Internet hat und sich zum Beispiel auf Seiten mit den beliebten kleinen Flashgames umsieht, stößt dabei auf ziemlich drastische Bilder und auf Links, die zu weiteren einschlägigen Seiten führen. Außerdem braucht man nur neugierig das Stichwort "Porno" in eine Suchmaschine einzugeben und landet dann sofort bei kostenlos verfügbaren Videoclips mit Sex in allen nur denkbaren Spielarten. Doch obwohl von den Medien bereits der reißerische Begriff "Generation Porno" geprägt wurde, gibt es - anders als beim Thema "Mobbing" etwa - kaum Angebote in Schule, Jugendzentren oder Beratungsstellen, bei denen es explizit um den Umgang mit Pornos geht.<br />
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"Was ist denn an Pornos nun so schlimm?", das habe, ziemlich aufgeregt, ein Hauptschüler aus einer 9. Klasse gefragt während einer Veranstaltung, bei der es darum ging, wie man sich auf verantwortliche Weise im Internet bewegen sollte, erzählt Sozialpädagoge Moritz Becker (35), der regelmäßig die Schulen in den Landkreisen Schaumburg und Hameln/Pyrmont besucht, um mit den Schülern über das Internet zu sprechen und Fragen aller Art zu beantworten. Der Junge habe energisch auf einer Antwort bestanden, während die Klassenkameraden sich mit Wortmeldungen zurückhielten. Beckers Rückmeldung an den Schüler: "Das Problem besteht wohl darin, viele Pornos zu kennen und dabei noch gar keine eigenen Erfahrungen zu haben. Dann denkt man, was die Pornos zeigen, sei der normale Sex. Ist es aber nicht."<br />
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Wenn er so mit den Jugendlichen rede, breite sich immer spürbar Erleichterung aus, vor allem bei den Mädchen. "Kein Wunder", sagt er. "Die Jungs denken oft, sie müssten sich bei den Mädchen als Meister des Sex profilieren, während die Mädchen manchmal schlicht Angst davor haben, dass die Jungs Sachen von ihnen wollen, wie sie in den Pornos zu sehen sind." Theoretisch wüssten die meisten ja, dass ein Unterschied besteht zwischen Pornofilmen und der Wirklichkeit. "Aber sie sind trotzdem verunsichert. Die große Verfügbarkeit von Pornos geht leider einher mit einer gewissen Verklemmtheit der Erwachsenen, die sich um klärende Gespräche eher drücken."<br />
Tatsache ist - das erwiesen telefonische Anfragen bei Jugendinstitutionen des Landkreises - dass das Thema Porno, so präsent es einerseits im Leben Jugendlicher ist, andererseits kaum zur Sprache kommt. Weder beim Kinderschutzbund noch in den Jugendzentren steht es zur Debatte. "Ich wüsste nicht, dass jemals Eltern oder Kinder von sich aus auf das Thema 'Porno' gekommen wären", sagt etwa Claudia Frevert-Fricke aus der Beratungsstelle des Familienzentrums in Rinteln. Auch im Hamelner Kinder- und Jugendtreff bestand nie ein konkreter Anlass, über Erfahrungen und Fragen rund um den Pornokonsum zu sprechen, und Kreisjugendpfleger Claus Dieter Kauert weiß, dass die Jugendlichen, wenn überhaupt, beiläufig sagen, so schlimm sei es mit den Pornos gar nicht.<br />
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Eberhard Bachmann, Fachobmann für Biologie am Gymnasium Ernestinum in Rinteln erklärt, warum das Thema "Umgang mit Pornos" in den Schulen kaum eine Rolle spielt. "Die Korrektur pornographischer Inhalte steht schlicht nicht auf dem Lehrplan", sagt er. In den 6. Klassen gäbe es eine Unterrichtseinheit über den Zugang zum eigenen Körper. "Da einigen wir uns auf zuerst immer auf eine angemessene Sprache, auf eine sachliche Benennung der Körperteile - mit Gesprächen über Pornos hat das natürlich nichts zu tun, und wenn man das wollte, müsste man das zunächst mal mit den Eltern absprechen", so Bachmann. <br />
In der 9. Klasse dann gehe es vor allem um Methoden der Verhütung und durchaus auch um solche Fragen wie die, ob auch Frauen eine Ejakulation haben können. Pornos aber würden von den Schülern so gut wie nie von selbst angesprochen. "Ich muss sagen, dass wir an unserer Schule nichts von 'Generation Porno' merken, es gibt eigentliche keine Situation, in der man denken würde, dass hier mal etwas grundlegend richtiggestellt werden müsse."<br />
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Trotzdem besteht kein Zweifel daran - das zeigen auch Studien wie die Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2010 - dass kaum ein Jugendlicher nicht schon den drei Klicks hin zu einer Pornoseite im Internet gefolgt ist, und dass mindestens ein Drittel aller 15jährigen Jungen regelmäßig einmal bis mehrmals die Woche Pornos konsumieren. Die jüngeren oder gleichaltrigen Mädchen kennen ebenfalls Pornos, auch wenn man in den meisten Studien davon ausgeht, dass sie insgesamt wesentlich weniger interessiert seien als die Jungs. <br />
"Also, ich sehe mir auf jeden Fall manchmal Pornos an, und meine Freundinnen auch", sagt Maren (14), Realschülerin aus Bückeburg. "Es ist lustig, wir lachen uns dann schlapp und machen uns lustig über die Männer. Meine beste Freundin allerdings meint, dass sie gar nicht aufhören kann, Pornos zu gucken, dass sie irgendwas immer wieder dahin zieht. Das kann ich nicht verstehen."<br />
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Und Matthias (18) aus Rinteln erzählt: "Ich hab mit 12 meinen ersten Pornos nachts im Fernsehen angeguckt, und dann auch über Werbe-Clicks im Internet. Das waren eher Softpornos, ich fand das sehr interessant, ich war einfach total neugierig. Es ging dabei gar nicht so sehr um sexuelle Gefühle, das kam erst später, als ich schon älter war. Abgestoßen oder geschockt haben mich die Pornos eigentlich nie, auch nicht die harten Pornos, vielleicht deshalb, weil ich schon früh aufgeklärt war. Es gab ein paar Wochen, da sah ich mir sehr oft Pornofilme an, aber das war nur so eine Phase. Jetzt interessieren sie mich nicht mehr sonderlich."<br />
Auch Moritz Becker - er betreibt unter anderem die Internetseite "smiley.eV" des Vereins zur Förderung der Medienkompetenz" - er bekommt bei seinen Veranstaltungen mit, dass viele Jugendliche Pornos oft einfach absurd und komisch finden, wie eine Art Slapstick. Doch andererseits ergäben sich häufig gerade in den Pausengespräche ganz andere Unterhaltungen mit einzelnen Schülern. <br />
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Da muss er dann erklären, dass Analverkehr keineswegs ein sexueller Standard ist, den jeder Junge beherrschen müsse, sondern eine hohe Kunst für Menschen mit viel Erfahrung; dass auch er niemals im Leben zwei Stunden Dauersex und unzählige Orgasmen hintereinander durchstehen würde, die Filme würden zusammengeschnitten, die Darsteller Viagra nehmen, um sowas durchzuhalten; und dass seine Frau ihn garantiert schon längst in die Wüste geschickt hätte, wenn er mit ihr hätte Pornos nachstellen wollen. "Immer geht es darum, noch mal klar zu bestätigen, dass Pornos ein verzerrtes Bild der Realität darstellen, eine Fiktion, sexuelle Fantasien, und nicht ein Vorbild sind für das, was in der realen Sexualität Sache sein soll."<br />
Wo diese Unsicherheit vorherrsche und man nie einen Erwachsenen, den man als Vorbild anerkennt, richtig fragen könne, würde die natürliche Neugier auf alles Sexuelle ziemlich belastet, vor allem bei den Mädchen, wenn sie auf Pornos stoßen, in denen die Frauen willige, passive Objekte für rücksichtslose Geschlechtsakte darstellen, an denen in ihren Augen wenig Reizvolles ist. "Wer weiß, ob nicht die Zahlen, die belegen, dass der erste Geschlechtsverkehr gerade bei Mädchen immer später stattfindet, und auch das sich verstärkende Ideal, bis zur Ehe Jungfrau zu bleiben, ob das nicht aus einer Angst vor möglicherweise eher brutalem Sex heraus entsteht." Auch Jungs hätten durchaus Angst, weil sie nicht wissen, was die Mädchen wirklich wollen und ob sie gleich aufs Ganze gehen müssten, von dem sie doch noch keine echte Ahnung haben.<br />
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"Ich sehe schon eine Gefahr in dieser teilweise undurchschaubaren Mischung aus Fiktion und Realität", sagt er. "Pornos wirken im ersten Moment so echt wie die sogenannten Doku-Soaps oder Dieter Bohlens 'Deutschland sucht den Superstar'. Doch wenn man bewusst macht, dass Dieter Bohlen keineswegs aus dem Stehgreif seine gemeinen Witze produziert, sondern dass er Sprücheschreiber hat und Regisseure, die das Spektakel bis ins Letzte inszenieren, dann werden solche Dinge entthront. Man kann dann besser verstehen, wo einfach nur eine Rolle gespielt wird, die man doch in Wirklichkeit niemals übernehmen wollen würde."<br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-90747479175706227002013-03-06T02:52:00.000+01:002013-03-06T02:59:51.996+01:00Geistig Behinderte im Internet<b>"Ich wein, bin echt fertig"</b><br />
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Cornelia Kurth<br />
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Dass man als geistig behinderter Mensch ziemlich viel Lebensmut und Energie mitbringen muss, um in der Alltagskommunikation Nichtbehinderter mitmischen zu können, das beweist in Rinteln sehr schön Thomas Mehrens (34)(Name geändert), den fast jeder kennt, weil er seit seiner Jugend ständig in der Stadt unterwegs ist und die Vorübergehenden anspricht. Früher bekam er oft Ärger und wurde sogar von Teenagern verprügelt, doch er gab nicht auf und mit den Jahren kennt er jede Menge netter Leute, die freundlich mit ihm plaudern und auf seine Behinderung Rücksicht nehmen. Im Sommer hilft er sogar dabei, das Freibadgelände sauber zu halten. In vielen kleinen Städten läuft so eine Nebenbei-Integration nicht viel anders ab. Wie aber sieht es aus, wenn ein geistig behinderter Mensch im Internet mitreden will?<br />
Es gibt nicht viele Beispiele dafür. Zwar wird in unendlich vielen Internetforen unendlich viel kommuniziert, doch es ist trotzdem gar nicht so leicht, den Weg dorthin zu finden, wo man mit anderen Menschen diskutiert oder plaudert oder von ihnen Hilfe erbitten kann. Bundesweit gibt es durchaus Institutionen, in denen geistig Behinderte ans Internet herangeführt werden und dann wissen, wie sie Filme angucken, Musik hören oder die Seiten ihrer Stars aufrufen können. Doch in einem Forum Fragen zu stellen und sich an den ja immer schriftlich geführten Gesprächen zu beteiligen, mit Menschen, die man nicht sieht und nicht kennt, das ist ein Gebiet voller Stolpersteine.<br />
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Thomas Mehrens, als jemand, der das Lesen und Schreiben kaum beherrscht, hätte da gar keine Chance. Doch auch für Lernbehinderte, die einer einfachen Arbeit nachgehen, einfache Sätze lesen und schreiben können, ist das Mitreden in Internetforen sowas wie ein Minenfeld und es gehört großer Mut dazu, sich darauf einzulassen. Ihre unbeholfenen Fragen und Antworten werden von den anderen oft als Provokation verstanden, ihre Wortkargheit als Unhöflichkeit, durch die vielen Rechtschreibfehler machen sie sich ebenso angreifbar wie durch offensichtliches Nichtverstehen von komplizierteren Beiträgen. Und wenn man dann noch annimmt, sie seien nur ein "Troll", also jemand, der in einem Forum auftaucht, um dort mit Absicht alles durcheinander zu bringen, dann geht ganz schnell das Mobben los.<br />
Eine 43jährige Frau, nennen wir sie "Pina", ist eine der wenigen eindeutig geistig Behinderten, die sich in normale Foren trauen, und die dann auch sofort, gegen ihren Willen, in all diesen Foren wie aus dem Nichts heraus eine Art Aufruhr anrichtete. Pina meldete sich, wohl mit Hilfe eines Freundes, zunächst in solchen Foren an, wo erfahrene Leute Anfängern Fragen ums Programmieren beantworten. Pina will die Programmiersprache HTML erlernen, weil sie glaubt, sie brauche das, um eine Maschine, die sie bei ihrer Arbeit benutzt, richtig einzustellen. "Ich brauche Hilfe bei HTML, schnell", schreibt sie. Wenn die anderen sie fragen, was genau sie denn wissen will, schreibt sie zurück: "ja, das ich noch mehr kann". <br />
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So selten ist es, dass lernbehinderte Menschen in solchen Foren auftauchen, dass dort lange niemand auf die Idee kam, es könne jetzt wirklich mal der Fall sein. Man verwies Pina auf Interneteinführungen zum Programmieren, und sie antwortete: "Zu schwer". Man bot ihr Schritt-für-Schritt-Anleitungen an, doch sie verstand schon die einfachsten Grundzeichen nicht. Jemand produzierte extra ein kleines Video für sie und sie sagte nur, dass sie sowas nicht will, kein Danke, keine weiteren Erläuterungen, statt dessen wurden ihre Sätze immer kürzer, ihre Rechtschreibung immer chaotischer. <br />
Nicht lange, und erste User wurden wütend und beleidigend, während andere ihr genüsslich zum 50. Mal erläuterten, dass sie viel zu blöd sei, um jemals das Programmieren zu lernen. "Ich wein, bin echt fertig" schrieb sie dann, und erntete weitere boshafte Bemerkungen. In fast allen Foren, die sie aufsuchte, wurde sie schließlich gesperrt, auch dann, wenn es zunächst Moderatoren gab, die versuchen wollten, sie irgendwie zu integrieren. <br />
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"Genau solche Dinge würden uns große Sorgen machen", sagt Heilpädagogin Angela Wehrhahn, die in Hameln eine Lebenshilfe-Wohngruppe betreut. "Theoretisch könnte das Internet eine große Bereicherung sein für Menschen mit einer Lernbehinderung. Die meisten sind ja, ähnlich wie manche alte Menschen, nicht besonders mobil und haben nur eingeschränkte soziale Kontakte. Doch die Gefahr, dass das alles ein deprimierendes Misserfolgserlebnis wird, ist groß. Ohne einen Assistenten an der Seite würde ich keinem Lernbehinderten zuraten, an Gesprächen in einem Internet-Forum teilzunehmen."<br />
Einen Bewohner immerhin gibt es, der sich zusammen mit seiner Freundin im Sozialen Netzwerk Facebook angemeldet hat. Zu seinen "Freunden" dort zählen vor allem die Familie und auch Mitarbeiter aus der Lebenshilfe, die ihm außerdem halfen, alles so einzustellen, dass sich niemand, der nicht dazu eingeladen wurde, auf diese Seiten verirrt. "Wir überlegen, ob wir jeweils ein Facebook-Profil für unsere beiden Hamelner Wohngruppen anlegen", sagt Angela Wehrhahn. "Es wär schon toll, sich dieses Medium zu erobern, aber wir sind noch nicht so weit."<br />
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In der Rintelner Lebenshilfe sind ebenfalls einige Bewohner bei Facebook angemeldet. "Facebook lässt sich allerdings nicht mit einem Forum vergleichen", so Wohnheimleiter Marco Reinking. "Die allermeisten unserer Mitbewohner wären lebhaften Gesprächen mit all ihren Zwischentönen nicht gewachsen." Auf der Sozialen Plattform aber spielen sie die kleinen Online-Spiele, geben Statusmeldungen ab wie "schöner Tag heute", oder "habe schlechte Laune" und zeigen sich gegenseitig Musik- und Videoclips. Regelrechte Gespräche sind eher selten.<br />
Einzig Michael B. (31) hat keine Scheu, auch andere Kommunikationsformen des Internets zu nutzen. Er ist unter anderem in einem PC-Forum angemeldet und stellt dort Fragen, beantwortet auch die Fragen der anderen und fällt als intelligenter Autist nur manchmal dadurch auf, dass er sich knapp und sehr direkt ausdrückt, "manchmal etwas zu direkt", sagt er. "Aber ich erkläre den anderen, dass ich eine autistische Störung habe und dass meine Direktheit damit zusammenhängt und nicht unfreundlich sein soll. Also, ich habe eigentlich keine Probleme."<br />
Die lernbehinderte "Pina" schrieb ebenfalls in vielen Foren-Beiträgen, dass sie lernbehindert sei, doch meistens nützte ihr das wenig, um besser in die Gemeinschaften aufgenommen zu werden. Wo sie ein Thema eröffnete, tummelten sich viele Neugierige, denen es Spaß machte, sie zu provozieren, bis meistens die Forderung laut wurde, dass man sie aus dem Forum aussperren solle. <br />
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Dass es allerdings anders gehen kann, wenn sich Menschen finden, die jemanden wie Pina wirklich unterstützen, zeigt das letzte ihrer Foren, wo sie jetzt schon seit Anfang des Jahres dabei ist, ein großes Spieleforum, in dem es sowas wie eine Plauderecke gibt und wo ihr ermöglicht wurde, ein eigenes Thema zu eröffnen: "Plaudern mit Pina". Ständig halten engagierte Moderatoren ein Auge auf sämtliche Beiträge, ermahnen User, die sich daneben benehmen und erklären Pina, das nicht alles Böse gemeint ist, was bei ihr als Kränkung ankommt. <br />
Es ist erstaunlich, wie man in diesem Forum verfolgen kann, dass die ungewöhnliche Teilnehmerin allmählich akzeptiert wird. Wenn sie schreibt: "hört auf, zuviel Krach" versteht man inzwischen, dass sie meint, es würden zu unübersichtlich viele Beiträge in kurzer Zeit geschrieben; wenn sie auf die Frage, was ihr Lieblingssong sei antwortet: "sag ich nich, zu privat", ahnt man, dass jemand sie davor warnte, zu persönliche Dinge zu äußern. Immer mehr der anderen nehmen Rücksicht auf ihre Eigenarten und freuen sich, wenn Pina dann tatsächlich mal schreibt: "ihr seit nett". Inzwischen haben Provokateure längst das Interesse an ihr verloren, während einige andere regelmäßig kleine Bemerkungen in Pinas Thema hinterlassen. <br />
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So eine harmonische Fortsetzung des Abenteuers Internet eines geistig behinderten Menschen wird wohl aber die Ausnahme sein und verdankt sich einer Forenleitung, die bewusst die Herausforderung eines Integrationsversuches annehmen wollte. "Solange niemand auf die Teilnahme Lernbehinderter an der Internetkommunikation vorbereitet ist, ist es eher gut, wenn unsere Bewohner eine Scheu davor haben", so Angela Wehrhahn. "Die Ängstlichkeit ist auch ein Schutz davor, sogar in der Anonymität des Internets wieder zu den Ausgegrenzten zu gehören."<br />
Im Übrigen begrüßt die Bundesvereinigung der Lebenshilfe das Bemühen der Bundesregierung, zumindest Internetseiten des Bundes auch für geistig behinderte Menschen möglichst "barrierefrei" zu gestalten, mit Zugängen, wo das Prinzip einer möglichst einfachen Sprache umgesetzt wird, indem man komplexe Begriffe und lange Sätze vermeidet und Zusammenhänge durch Grafiken verdeutlicht. In der Kommunikation von Mensch zu Mensch allerdings sind noch ganz andere Barrieren zu überwinden, von beiden Seiten her.<br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-61144262502232367212013-03-06T02:46:00.000+01:002013-03-06T03:00:03.220+01:00Die Hexenverfolgung in RintelnCornelia Kurth<br />
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Der 30jährige Krieg und die große Pest, sie hatten im 17. Jahrhundert dazu geführt, dass es in Rinteln kaum mehr als 1100 Einwohner gab, die Kinder mitgezählt. Was für ein bedrückender Gedanke, dass von diesen wenigen Bürgern nach und nach insgesamt 36 Frauen und drei Männer zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden, weil es als erwiesen galt, dass sie auf hexerische Weise mit dem Teufel im Bunde standen. "Das war immer ein Riesenspektakel", sagt Angelika Bödecker, die selbst eine Art Hexe ist, allerdings nur im Spiel, wenn sie Rinteln-Besucher auf eine historische Stadtführung mitnimmt. "Mitleid für die Verurteilten gab es kaum, auch nicht angesichts der grausamen Hinrichtungsart. Die Hexen waren böse, taten Böses, und das Böse musste vernichtet werden."<br />
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Bevor die "Hexen" an einen Pfahl auf dem Scheiterhaufen gebunden den öffentlichen Feuertod erleiden mussten, oft von Schmährufen der Zuschauer begleitet, hatten sie einen langen Leidensweg zu durchschreiten. Das letzte Stück davon führte sie durch die Gassen der Stadt, wenn sie aus dem Hexengefängnis unter der hinteren Treppe des Rathauses hervorgeholt und auf einen Karren verladen wurden, der nach oben hin geschlossen war, damit sie nicht in letzter Sekunde entflohen - Hexen können ja, das wussten alle, fliegen. Aus der Stadt heraus über die hölzerne Weserbrücke ratterte der von Henker und Bevölkerung begleitete Karren, um entweder am heutigen Weseranger Halt zu machen, oder am ehemaligen "Galgenfeld", wo jetzt das Betonwerk Scheidt angesiedelt ist.<br />
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Geistlicher Trost war für die Frauen kaum zu haben. Zwar gab des damals den protestantischen Magister Wilhelmi, Prediger in der Nikolaikirche, der die Angeklagten in ihrem Gefängnis aufsuchte. Wer aber auf Beistand gehofft hatte, sah sich einem Mann gegenüber, den die gestrengen Juristen von der Universität "Ernestina" beauftragt hatten, Geständnisse anzubringen, speziell von Angeklagten, die bisher der Folter widerstanden hatten. Ohne ein Geständnis durfte niemand hingerichtet werden, soweit war die Rechtsprechung immerhin. Magister Wilhelmi konnte sich rühmen, schließlich immer ein Geständnis zu erlangen.<br />
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Und wer weiß, vielleicht war das noch besser für die Angeklagten, als wieder und wieder dem "Peinlichen Halsgericht" übergeben zu werden, der Folter, die oben im Rathaussaal vom Henker und seinen Knechten durchgeführt wurde, und die von Mal zu Mal heftiger ausfiel, stellte sie doch in den Augen der Gerichtsbarkeit ein "Mittel zur Wahrheitsfindung" dar, ganz so, wie es in Schriften wie dem "Hexenhammer" dargelegt wurde und wie es auch der damals berühmte Jura-Professor und Hexentheoretiker Hermann Goehausen von der "Ernestina" lehrte und in seinen Schriften vertrat. Sterben sollten die Gefolterten nicht, auch wenn das manchmal aus Versehen geschah. Sie sollten endlich gestehen, damit die Angelegenheit mit dem Feuer zuendegebracht werden konnte.<br />
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Dass man sich so sicher war, die Frauen, um die es ging, seien wirklich Hexen, so sehr sie es auch leugneten, es hing auch damit zusammen, dass es in Rinteln damals noch die "Wasserprobe" gab (auch wenn die von der katholischen Kirche bereits im 13. Jahrhundert verboten worden war). Der maßgebliche Professor Goehausen nämlich war der Überzeugung, dass die "kalte Wasserprobe" legitim und zuverlässig sei, dergestalt, dass eine der Hexerei verdächtige Person, überkreuz an Händen und Füßen zusammengebunden und dann ins Wasser geworfen, nicht untergehen werde, wenn sie wirklich eine Hexe war. Wasser ist rein und werde nichts Unreines aufnehmen, so die zugrundeliegende Auffassung.<br />
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Zwar galt das Ergebnis der Wasserprobe nicht als endgültiger Beweis, wohl aber als hartes Indiz im Prozess. Lange hieß es, die beiden Teiche nahe der Arensburg seien "Hexenteiche" gewesen, doch konnte Angelika Bödecker, die sich intensiv mit der Quellenlage beschäftigte, keinen Beleg dafür finden und meint, die Wasserproben seien wohl einfach an der Weser durchgeführt worden. Tatsache ist: Die wenigsten Frauen gingen tatsächlich unter. Das lag zum einen daran, dass sie mehrere dicke Röcke übereinander trugen, deren Luftschichten sie über Wasser hielten, zum anderen auch an dem Umstand, dass die Henker nur dann für seine Arbeit bezahlt wurden, wenn sich die Frau als Hexe erwies. <br />
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So nutzen sie meistens nur ein kurzes Seil, an dem die Frauen wieder herausgezogen wurden, und sie beeilten sich damit, falls jemand unterzugehen drohte. Ebenso wenig wie bei der Folter, sollte die Angeklagten bereits bei der Wasserprobe sterben. Doch nicht immer gelang es, die Untergegangenen rechtzeitig vor dem Ertrinken an Land zu ziehen. Oben an der Schaumburg steht ein alter Baum, die sogenannte "Hexenlinde". Man kann sie als eine Art Denkmal ansehen, zur Erinnerung an eine junge Frau, die dort, bevor sie auf die Probe gestellt werden sollte, einen Lindenzweig in die Erde steckte mit den Worten: "So wahr diese Linde grünen wird, so wahr bin ich keine Hexe". Die Frau ertrank, was für ihre Unschuld sprach, und tatsächlich ergrünte im nächsten Jahr auch ein neues Lindenbäumlein. Wenigstens hatte sie ein "ehrliches" Begräbnis bekommen, etwas, das Kriminellen verweigert wurde.<br />
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Aus heutiger Sicht kann man nur staunen, wie irrational die Beweisführungen in den Hexenprozessen abliefen, staunen auch deshalb, weil praktisch jede Frau in die Situation kommen konnte, der Hexerei beschuldigt zu werden. 125 dokumentierte Beschuldigungen gibt es aus der Rintelner Zeit des 17. Jahrhunderts, wackeren Bürgermeistern war es zu verdanken, dass es nur bei einem Drittel von ihnen dann wirklich zu einer Anklage kam. Neun erhaltene Protokolle geben einen Einblick, welchen Anwürfen sich angebliche Hexen zu stellen hatten: Eine Lucie Kunschopper zum Beispiel, der man vorwarf, ihr eigenes Kind mit einem Apfel vergiftet zu haben, soll außerdem auch Kühe und Schweine in der Nachbarschaft vergiftet und sich schließlich mit Absicht die Zunge abgebissen haben, damit sie den Teufel nicht verrate. Je mehr Bürger befragt werden, desto mehr Vergehen sammeln sich an, die, wenn sie sich nicht unmittelbar beweisen ließen, eben schon 15 oder 20 Jahre zurücklagen. Lucie Kunschopper hatte keine Chance und starb unter der Folter.<br />
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Wer die Folter nun aber bis zu dem so gut wie nie ausbleibenden Geständnis überlebte, mit Wunden, die vom Henker höchstpersönlich verbunden und gepflegt wurden, dem stand nun das "Galgenfeld" bevor. Hinweg mussten die Hexen, da gab es keine Gnade. Bestenfalls erbarmte sich ein Henker oder ließ sich von Angehörigen bestechen, dass er die arme Frau am Pfahl erwürgte, bevor sie ein Opfer der Flammen wurde. Ein anderer Tod als der auf dem Scheiterhaufen wäre nicht in Frage gekommen, um das Böse wirksam zu vernichten. Die Asche der Verbrannten wurde auf dem Feld verstreut, auf dass nichts und niemand an sie erinnern würde. Wenigstens das ist den Richtern und den Henkern nicht gelungen.<br />
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Zur Ehrenrettung Rinteln sei noch angemerkt, dass der Buchdrucker Peter Lucius im Jahr 1631 das wohl berühmteste Buch gegen die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung druckte, Friedrich von Spees "Cautio criminalis". Unter der Folter, so heißt es darin, würde jeder, gar der König selbst, zugeben, dass er mit dem Teufel im Bunde sei. Diese aufklärerische Schrift diente auch anderen Gegnern der Hexenprozesse als Argumentationsbasis und veranlasste eine Reihe von deutschen Fürsten, die Hexenjagden einzustellen zu lassen.<br />
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Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-1294781350458607002013-03-06T00:09:00.000+01:002013-03-06T03:00:17.335+01:00EU contra E-ZigaretteCornelia Kurth<br />
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Helmut Gerth hat in seinem Rintelner Fachgeschäft für Vorwerk-Staubsauger einen kleinen Shop eingerichtet, wo er elektronische Zigaretten verkauft und die dazugehörigen Liquids, die in den E-Zigaretten verdampft werden. Das ist sein zweites geschäftliches Standbein. "Ich fürchte allerdings, dieses Bein wird mir wohl bald abgehackt werden", sagt er. Demnächst soll die Neue Europäische Tabakproduktrichtlinie abgesegnet werden, und wenn das geschieht, ist es vorbei mit dem 'Dampfen' und für Händler wie mich."<br />
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Was ihn daran besonders wütend macht, ist die Begründung für die geplante Gesetzesänderung in Bezug auf die E-Zigarette. "Man bringt das Argument gesundheitlicher Fürsorge - im Übrigen ist die EU gar nicht zuständig für Fragen der Gesundheitspolitik - und ignoriert dabei, dass längst in renommierten Studien belegt wurde: Der Dampf einer E-Zigarette ist nur einen winzigen Bruchteil so schädlich wie der Rauch von verbranntem Tabak." In sein Geschäft kämen fast ausschließlich Kunden, die eine Alternative zum Rauchen suchen, nicht selten sogar auf Empfehlung ihres Arztes. "Ich kenne keinen Nichtraucher, der plötzlich Lust bekommen hätte, mit dem Dampfen anzufangen."<br />
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Nun sieht die neue Tabakproduktrichtlinie in erster Linie Verschärfungen rund um den Tabakkonsum vor. Zigarettenpackungen sollen mit Schreckensbildern versehen, aromatisierende Zusatzstoffe wie Menthol, Bezeichnungen wie "light" oder die dünnen "Slim"-Zigaretten verboten werden. Ein kleiner Absatz aber widmet sich auch den E-Zigaretten, ungeachtet der Tatsache, dass sie gar keinen Tabak enthalten, nur den im Labor hergestellten Wirkstoff Nikotin. Genau das Nikotin, nach dem die allermeisten "Dampfer" verlangen und das in unterschiedlichen hoher Konzentration in den aromatisierten Verdampfungsflüssigkeiten enthalten ist, soll nun reglementiert werden.<br />
"Während Raucher weiter rauchen dürfen und sich damit neben dem Nikotin auch krebserregendes Kohlenmonoxid, Teer und die Sucht steigernde Zusatzstoffe zuführen, soll der Nikotingehalt der Liquids so weit reduziert werden, dass er nicht mehr den gewünschten Effekt auslöst", so Helmut Gerth. "Das ist doch total widersinnig!" Die große Mehrzahl der Dampfer wollen eine Nikotinkonzentration zwischen elf und 18 Milligramm pro Milliliter. Vorgesehen ist jetzt eine Obergrenze von vier Milligramm, wobei eine Verbrauchseinheit nie mehr als zwei Milligramm Nikotin enthalten darf - alles abwegig für jemanden, der vom Rauchen aufs Dampfen umgestiegen ist.<br />
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Auch Bernd Niewelt, Rintelner Fach- und Onlinehändler für Bedarf rund um die E-Zigarette, kann nur den Kopf schütteln. "Da gibt es nun eine Alternative zum Rauchen, eine eigentlich großartige Erfindung für alle, die auf Nikotin nicht verzichten können oder wollen, und dann soll das einfach kaputtgeschlagen werden? Das wäre in meinen Augen Wahnsinn. Mit Gesundheitspolitik hat das überhaupt nichts zu tun, es geht da ganz einfach nur ums Geld." Er selbst kümmere sich schon gar nicht mehr um das, was angestellt werde, um die E-Zigarette vom Markt zu fegen. "Ich gehe einfach optimistisch davon aus, dass sich der gesunde Menschenverstand und die Vernunft durchsetzen werden. Schließlich musste das E-Zigarettenverbot in NRW ja auch per Gerichtsbeschluss wieder zurückgenommen werden."<br />
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Von allen Rauchern, die versuchen aufzuhören, sind gerade mal drei, höchstens fünf Prozent nach einem Jahr noch rauchfrei, so sagt es die Statistik. Die Erfolgsquoten sehen zwar besser aus für diejenigen, die nicht aufgeben und sich auf therapeutische Rauchentwöhnungsprogramme einlassen. Die Deutsche Krebsgesellschaft aber veröffentlicht auf ihren Internetseiten Zahlen, nach denen etwa ein Viertel der erwachsenen Deutschen regelmäßig rauchen, davon 30 Prozent über 20 Zigaretten pro Tag und etwa 2,5 Prozent mehr als 40 Zigaretten täglich. "Lungenkrebspatienten gehören fast immer zu diesen schwer abhängigen Rauchern", heißt es da. (Davon, dass der Dampf der E-Zigarette erwiesenermaßen keinerlei krebserregende Stoffe enthält, steht nichts auf der Seite.)<br />
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Angesichts solcher Fakten im Gesetzesentwurf damit zu argumentieren, die E-Zigarette müsse quasi verboten werden, weil sie nicht vom Nikotin wegführe, das sei einfach nur deprimierend, so Helmut Gerth. "Höher konzentrierte Nikotin-Liquids sollen die äußerst kostspielige Prüfung zum Arzneimittel bestehen müssen und dann nur noch als Mini-Einheiten in Apotheken verkauft werden", sagt er. "Dabei weiß man doch längst, dass nikotinhaltige Entwöhnungsmittel kaum zum endgültigen Rauchstopp führen. Seltsames 'Arzneimittel'". <br />
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Anders als Online-Fachhändler Bernd Niewelt, der einfach nicht glauben will, dass derart "dreiste" EU-Lobbypolitik sich in den der Gesetzesverabschiedung noch anstehenden Überprüfungen durchsetzen wird, hat sich Helmut Gerth vorsichtshalber schon auf eine Zukunft ohne sein zweites geschäftliches Standbein E-Zigarette vorbereitet. Er wird eine weitere hochwertige Staubsaugermarke in sein Programm aufnehmen. "Mir tun all die vielen kleinen Händler leid, die dann in den Abgrund gerissen werden", sagt er. "Und auch die Dampfer, von denen der größte Teil erneut zur Tabakzigarette greifen wird, mit all den harten gesundheitlichen Konsequenzen."<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-50975805464508720382013-03-05T22:13:00.000+01:002013-03-06T03:00:30.637+01:00Sie möchte ein Kind, er will ein BootCornelia Kurth<br />
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In den nächsten Tagen erscheint ein Buch, so rührend verrückt, dass es gute Chancen haben dürfte, ein Verkaufserfolg zu werden. Sein Titel: „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen…“. Der Inhalt: Auszüge aus Teenager-Tagebüchern. Die Herausgeberinnen: Zwei etwa 30-jährige Frauen aus Hamburg, die selbst unendlich viele Tagebücher vollkritzelten und vor zwei Jahren auf die Idee kamen, regelmäßig zu einem „Diary Slam“ aufzurufen, zu Veranstaltungen also, bei denen man sein altes Tagebuch mitbringt und daraus mutig vor vielen Zuhörern vorliest, um zum Sieger des Abends zu werden.<br />
Wer das wagt, der muss mit der damaligen Zeit emotional abgeschlossen haben, sagen die Autorinnen. Es sei nämlich unvermeidbar, dass gerade die gefühlvollsten Passagen zu wahren Lachstürmen im Publikum führen.<br />
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Ella Carina Werner, eine der beiden Buchautorinnen und „Erfinderinnen“ des Diary-Slam (Slam heißt so viel wie „Schlagabtausch“) stammt aus Bad Oeynhausen, und wer schon einmal dabei war, wenn sie selbst aus ihren alten Tagebüchern liest, weiß eine ganze Menge über das Mädchen aus der Provinz, das sie damals war. Darüber, dass ihr Vater Psychologe und ihre Mutter Bauchtänzerin war, steht zwar nichts in ihren Notizen, dafür aber umso mehr über einen „René Kübel“.<br />
Im Mai 1995 heißt es: „O man, René Kübel, ich habe dich so lieb. Du bist nicht schön, aber für mich gibt es niemand Faszinierenderen als dich.“ Wenig später: „Kübelchen, du bist ja so süß!“ Kurz darauf: „René Kübel, ich bin so verrückt nach dir!“ Und dann: „Bin mit Kübel zusammen. Schade, dass wir nicht so gut über Gefühle und Probleme reden können – er hat von beidem nicht viel.“<br />
Blick nach Hamburg: Hier findet der „Diary-Slam“ statt. In der Kneipe „Aalhaus“, eine typische, gemütliche Eckkneipe mit Holztischen und schummrigem Licht, in der sich nun über 100 Menschen dicht an dicht drängeln, in der Hoffnung, dass sich unter ihnen einige befinden, die ihr Tagebuch dabeihaben und sich auf die kleine Bühne wagen. Schließlich melden sich fünf Frauen – Männer sind eher selten unter den Vorlesern – und der Moderator bestimmt noch eine zweiköpfige Jury, die am Ende entscheiden soll, wer ein niedliches kleines Tagebuch gewinnt.<br />
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Zur Einstimmung stellt sich Nadine Wedel, die zweite Herausgeberin des Tagebuch-Buches an Mikrofon. „Es sind ja Geschichten, die niemals für ein Publikum gedacht waren“, sagt sie. „Aber die meisten von uns fühlen sich ja liebend gerne in den großen Leidensdruck der anderen ein.“<br />
Ihr erster Eintrag als Fünfzehnjährige: „Ich habe mich in Marco verliebt. Ich wollte nicht, aber was soll ich tun, ich habe keine Macht über meine Gefühle.“ Immerhin stellt sie dann doch eine ganz rationale Liste dessen auf, was in der nächsten Zeit für sie besonders wichtig sein soll: „1. Wirtschaftsschule. 2. Marko. 3. Gesundheit.“ Schon hier klatscht das Publikum, und tatsächlich wird es auch im weiteren Verlauf des Abends immer wieder einfach umwerfend sein, auf wie manchmal überschwängliche, manchmal unbeholfene, immer entwaffnend ehrliche Weise die damaligen Tagebuchschreiberinnen zu fassen versuchten, was in und mit ihnen geschieht.<br />
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Da ist zum Beispiel Astrid, heute eine 63-jährige Lehrerin, damals eine 21-jährige junge Frau, die schrieb: „Mein Tagebuch soll mir helfen, mich im Zwiegespräch mit mir besser kennenzulernen.“ Der zweite Eintrag dann: „Oh – ich habe lange nichts geschrieben, dabei liegt zwischen dem ersten und dem heutigen Datum meine Hochzeit.“ Man ahnt schon, dass es diese Ehe nicht weit bringen wird: „Jürgen sagt, ich sei bewegungsfaul, stimmt ja, aber er sagt es vorwurfsvoll und ohne Verständnis.“ Und dann: „Wir waren bei der Einzel-Eheberatung. Ergebnis in Stichworten – ich möchte ein Kind, Jürgen ein Boot.“<br />
Astrid liest das ganz gelassen vor, den Publikumsjubel nimmt sie ruhig entgegen. Dabei findet sie selbst diese Auszüge gar nicht so lustig. Sie hatte in der Zeitung einen Bericht über das „Diary Slam“ gelesen und daraufhin, klassisch, auf dem Dachboden nach dem Karton mit alten Tagebüchern gesucht. „Es war seltsam und spannend, diese Geschichte wieder an mich ranzulassen“, sagt sie später im Gespräch. „Ich war doch ziemlich bewegt und dachte, es sei eine gute Möglichkeit, einfach hier vorzulesen und es dann endgültig hinter mir zu lassen.“ Im Tagebuch sah das so aus: „Endlich leben und ich selbst sein! In vier Tagen Spirale raus und in sechs Tagen Scheidung einreichen!“<br />
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Sigrid, Jahrgang 1960, begann mit 13 Jahren das erste Tagebuch und hat inzwischen eine ganze Bibliothek davon angesammelt. Das Buch, aus dem sie liest, trägt den Namen „Conni“ und wird wie ein echtes Gesprächsgegenüber persönlich angesprochen, als säße sie mit der liebsten Freundin beim Tee. Mit 14, als Konfirmandin, verachtet sie die Erwachsenen in der Kirche. „Ihnen ist ihre Überzeugung egal, sie haben ja eh nichts anderes und Kirche gehört bei ihnen dazu wie Geschirrspülen oder Schweinefüttern.“ Sie selbst fühlt sich wie „eine alte, hässliche, verbrauchte Ehefrau“, was sie nicht daran hindert, sich entschieden mit „Claudia, der Wahrheitsrechtlerin“ zu kloppen, weil die nämlich ihre Freundin als „Hure“ beschimpfte, ein im Jahr 1974 beinahe unglaubliches Schimpfwort.<br />
Alle, die auf die Bühne treten und lesen, werden von der Sympathie des Publikums wie auf Händen getragen. Es gibt Lachen und Beifall, Zurufe und Bitten um Zugaben. Jeder Kleinkünstler könnte sich über solch eine Wirkung glücklich schätzen. <br />
Im Vorwort zum Buch „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen…“, erklären Ella Carina Werner und Nadine Wedel es so: „Das Tagebuch muss raus aus der Schublade, rein ins Rampenlicht. Denn es hat alles, was ein guter Text braucht: Helden und Antihelden, wüste Plots und steile Pointen, Bösewichte und Sündenböcke, Liebesdramen, Tragödien, Happy Ends und jede Menge Identifikationspotenzial.“<br />
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Bisher hat so ein Diary Slam deutschlandweit nur in wenigen großen Städten stattgefunden. Dafür gab es in Hameln-Pyrmont und Schaumburg immerhin bereits recht erfolgreiche „Poetry Slams“, also Wettstreite wer, oft auch spontan, das beste Gedicht vorzutragen hat. Uta Fahrenkamp, Buchhändlerin in Rinteln, sie könnte sich vorstellen, bei der Organisation eines „Diary Slams“ dabei zu sein. „Meine eigenen Tagebücher habe ich allerdings alle verbrannt“, sagt sie. „Wie schade, denn jetzt wünschte ich doch, ich könnte mich am Vorlesen beteiligen.“<br />
Es sei ziemlich häufig der Fall, dass man im Erwachsenenalter seine Jugendtagebücher vernichte, so Ella Carina Werner. Bevor man nicht wirklich über die Irrungen und Wirrungen der Jugend hinausgewachsen ist, sollte man sie also vorsichtshalber noch in ihrem Versteck lassen.<br />
Wer aber wagt, auf den Dachboden oder in den Keller zu steigen, in Schubladen und Kartons nach alten Aufzeichnungen zu wühlen, muss sich darauf gefasst machen, dass sein Lesestoff in den darauf folgenden Tagen nur noch aus der selbst verfassten „Literatur“ bestehen wird. Mit Glück lächelt man dann über das Ich, das man einst war oder sein wollte, und wer weiß, vielleicht ergibt sich daraus dann die Verlockung, Ausschnitte daraus in einem Schaumburger Diary-Slam zu präsentieren.<br />
Vor dem eigentlichen „Slam“ braucht man keine Angst zu haben. Dass es Sigrid ist, die in Hamburg das Tagebuch gewinnt, es interessiert kaum, weil einfach alle, die vorlesen, den anderen damit ein wunderbares Geschenk machen.<br />
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Was aber alle gerne wissen wollen, ist, wie die Sache zwischen Ella Carina und René Kübel ausging. Nun, anscheinend verlief sie sich, wie so manche weitere ihrer vielfältigen Jungsleidenschaften auch. Die letzte Meldung zum Thema: „Ich möchte voll gerne mit René schlafen. Ich fühle mich jetzt reif und verantwortungsvoll und bin voll geil auf ihn. Nur krieg’ ich die Pille erst in einem Monat, aber da fahre ich erst mal sechs Wochen nach Frankreich.“ Ach ja.<br />
Das Buch „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen….“ erscheint im Scherz-Verlag, kostet knapp 15 Euro und vereint auf 300 gebundenen Seiten Auszüge aus etwa 80 Jugendtagebüchern, eine rundherum erheiternde Lektüre, erst recht, weil auch solche Sätze drin stehen: „Allmählich wird mir mulmig. Wenn jemals einer dieses Buch findet! Ich verteidige es bis in mein Grab. Geschworen.“ (Ellen, 12 Jahre)<br />
Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-7965542113646079632012-12-06T14:36:00.002+01:002013-03-06T03:00:43.391+01:00Ich brauche eine Brille!Cornelia Kurth<br />
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Eine schreckliche Nacht und eine Nacht der Erkenntnis zugleich, diese Autofahrt über unbekannte Straßen durch regennasse Dunkelheit, in der ich am Steuer sitze und begreife, dass ich eine ziemlich große Gefahr für meine Mitmenschen darstelle: Ich sehe nichts! Die Lichter der entgegenkommenden Wagen blenden, die Straßenbegrenzungsstreifen lassen sich kaum von Asphaltreparaturen unterscheiden und die Buchstaben der richtungweisenden Verkehrsschilder werden erst lesbar, wenn ich schon fast dran vorbei bin. 50 Jahre lang kam ich ohne sie aus, doch nun ist es so weit: Ich brauche eine Brille! <br />
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„Du bist doch nicht über Nacht halb blind geworden“, sagt meine Freundin Barbara. „Hast du denn vorher gar nichts bemerkt?“ Gemütlich sitzt sie mir gegenüber auf dem Sofa und hat sich gerade geduldig die Erzählung meiner unheimlichen Autofahrt angehört: Wie ich zu einem Termin in einem der abgelegenen Örtchen bei Porta Westfalica unterwegs war, einer Gegend, in der ich mich eh immer verfahre. Wie ich schon in der Dämmerung merkte, dass ich vom Gas gehen muss, um die Straßenschilder rechtzeitig zu erkennen. Wie es anfing zu nieseln und jeder Lichtschein von draußen sich so an den Wassertropfen auf der Scheibe brach, dass ich nur noch verschwommene Lichter sah. Wie ich etwas Angst vor der Rückfahrt bekam. „Das soll zum ersten Mal so gewesen sein?“ <br />
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Barbara hat gut reden und fragen. Während ich mich über diesen oder jenen körperlichen Mangel immer damit hinwegtrösten konnte, dass immerhin meine Augen überdurchschnittlich gut seien, ja, über 100 Prozent Sehkraft waren es damals beim Führerschein-Sehtest gewesen, trägt Barbara seit ihrem fünften Lebensjahr eine Brille. Sie kennt es gar nicht anders. Es irritiert sie nicht, dass eines ihrer Sinnesorgane nur mit technischer Unterstützung seinen vollen Dienst leistet. Niemals würde sie aus heiterem Himmel heraus mit einer größeren Verschlechterung ihrer Sehkraft konfrontiert sein, weil es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, regelmäßig zum Augenarzt zu gehen und die Werte überprüfen zu lassen. „Eigentlich sollte jeder spätestens ab dem 40. Lebensjahr alle zwei Jahre einen Sehtest machen lassen“, sagt sie. <br />
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Jetzt fällt mir ein, dass ich vor etwa fünf Jahren tatsächlich bei einem Augenoptiker gewesen war. Damals hatte ich erstmals festgestellt, dass ich Kleingedrucktes nicht mehr ohne eine gewisse Anstrengung lesen konnte. Nichts Besonderes, nein, es war nur so, dass ich, die ich immer alles lese, was mir unter die Augen kommt und mir auch in der Badewanne die Zeit damit vertreibe zu entziffern, was in winziger Schrift auf den Tuben und Flaschen der Shampoos, Spülungen und Badeöle aufgedruckt ist, eines Tages an die Grenzen der Entzifferungsmöglichkeiten stieß. Ich hätte die Duschgel-Tube so weit von den Augen weg halten müssen, um die Schrift scharf zu sehen, dass die Entfernung für die Mini-Buchstaben einfach zu groß wurde. <br />
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Der Augenoptiker, den ich wie beiläufig – „ich komme hier grad so vorbei“ – um einen Sehtest bat, er meinte: „Sie haben noch fast 100 Prozent, aber das wird sich schon aus Altersgründen bald ändern. Wollen Sie sich mal unter den Lesebrillen umsehen?“ Nein! Das wollte ich nicht. Ich kann prima sehen! Wen interessiert schon das Kleingedruckte auf Badutensilien? Der Optiker lachte und meinte: „Ganz wie Sie wollen. Spätestens in drei Jahren sehen wir uns wieder!“ Dem war aber nicht so. Stattdessen kaufte ich mir drei Jahre später eine Billigbrille im Drogeriemarkt. Nur mal so, zum Ausprobieren. Ich bin ein winziges Bisschen weitsichtig, nicht der Rede wert. Statt die eher unbequeme Brille zu nutzen, lese ich Bücher am ausgestreckten Arm. <br />
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Nun allerdings geht es darum, dass auch meine Weitsicht deutlich nachlässt. Und wie ich es in dieser Regennacht spürte, ist das, anders als die Kurzsichtigkeit, nicht mehr meine Privatsache. Ich gefährde auch andere Menschen mit meinen Sichtproblemen im Verkehr. <br />
Je mehr ich mich dieser Tatsache stelle, desto mehr Situationen fallen mir jetzt doch ein, in denen ich Unsicherheit beim nächtlichen Autofahren spürte: Vor zwei Jahren das leichte Schneetreiben während einer Fahrt durch das Ausfallstraßengewirr von Hameln, wo ich nur selten unterwegs bin. Hätte mein junger Beifahrer nicht für mich die Schilder gelesen und mich rechts, links dirigiert, ich wäre verzweifelt. Oder – vor einem Jahr – die große Unsicherheit auf einer Autofahrt durchs dunkle Kalletal, als dort überall die Straßen repariert wurden und neue Schilder Umwege über kleine Dörfer auswiesen: Wie habe ich mich da verfahren, weil ich die Aufschriften nicht schnell genug erkennen konnte. <br />
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Barbara schüttelt den Kopf und kann es nicht fassen. „Was nur hat dich daran gehindert, zum Augenarzt zu gehen?“ – Vielleicht der Umstand, das ich eben noch nie beim Augenarzt gewesen war? <br />
Meine Freundin ist über zehn Jahre jünger als ich. Anders als in meiner Grundschulzeit, gab es an ihrer Schule einen Sehtest für alle Kinder, bei dem sich herausstellte, dass sie die Buchstaben an der Tafel nur mit einer Brille klar erkennen würde. Barbara fand das durchaus spannend, zumal ihre beste Freundin bereits eine Brille trug und auch ihre Eltern von jeher Brillenträger waren. „Ich fühlte mich dadurch nicht irgendwie schwach, sondern eher erwachsener“, meint sie. O – ich erinnere mich: Auch meine beste Freundin trug eine Brille, als einzige in der Klasse. Mindestens einmal in der Woche wurde sie von spöttischen Mitschülern eingekreist, die um sie herum sprangen und „Brillenschlange, Brillenschlange“ skandierten. <br />
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Und dann meine Eltern, die, so wie ich, bis zum Alter von etwa 50 Jahren höchstens mal Sonnenbrillen trugen, bis mein Vater dann vom Flohmarkt kam und eine kleine, alte Drahtbrille mitbrachte, die er von da an zum Lesen aufsetzte. Es schien nur ein Spaß zu sein, eine spielerische Freude an der Antiquität. Dabei war es durchaus ernst. Immer mehr solcher altmodischen Brillen fand er auf seinen Streifzügen, Brillen in verschiedenen Stärken, damit er stets das Richtige parat hätte. Erst 15 Jahre später ließ er sich ein Brillenrezept vom Arzt ausstellen. Meine Mutter, die lange stolz darauf gewesen war, mit Mitte 50 noch prima ohne Brille auszukommen, sie erhielt dann doch eine Lesebrille, ein eher unschönes Ding, durch dessen Gläser ihre Augen seltsam vergrößert wirkten. Nichts, um das man sie beneidet hätte. <br />
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„Wie kann man nur so verdreht sein und sich so haben?“ fragt Barbara. Was sie beträfe, sie empfände nichts als Dankbarkeit ihrer Brille gegenüber. „Ja – Dankbarkeit!“, betont sie. „Ohne Brille wäre ich verloren.“ Sie nimmt die Brille mit dem schmalen dunklen Rahmen ab und guckt brillenlos aus ihrer Sofaecke rüber in meine Sofaecke. „Wenn ich nicht wüsste, dass du es bist, ich könnte nur raten“. Dann setzt sie die Brille wieder auf, und ich registriere erstmals, wie gut sie ihr steht, wirklich, fast wie ein Schmuckstück. Hätte es für meine Eltern damals diese leichten Brillen aus dünn geschliffenem Glas oder Kunststoff mit dieser unendlichen Vielfalt an unterschiedlichen Modellen gegeben, sie hätten sich sicher nicht so angestellt. <br />
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Auch bei mir ist jetzt Schluss mit der Anstellerei, ein Termin beim Augenarzt wird gemacht und beim Sehtest stellt sich heraus, dass tatsächlich eine deutliche Sehschwäche vorliegt, auf dem einen Auge mehr als auf dem anderen und sowohl, was das Sehen in der Nähe als auch in die Ferne betrifft. Der Augenoptiker, der mir voraussagte, dass ich ihn bald wieder besuchen würde, er hatte nicht mit meiner Ignoranz gerechnet, sein Geschäft wurde bereits vor einiger Zeit geschlossen, so dass ich mich beim Brillenkauf nicht demütig an ihn wenden kann. Ich wähle den ersten besten und muss nun noch zwei Tage warten, bis die Gläser für mich ankommen. <br />
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Inzwischen stoße ich auf die kürzlich veröffentlichte Allensbach-Studie zum Thema Brillen mit Zahlen aus dem Jahr 2011 und kann nur staunen. Ich glaubte, als Brillenträgerin nun zu einer Minderheit zu gehören, dabei ist es genau umgekehrt. Fast zwei Drittel aller erwachsenen Bundesbürger, insgesamt etwas mehr als 40 Millionen Deutsche, tragen eine Brille, die meisten von ihnen täglich, die anderen gelegentlich, zum Beispiel beim Lesen oder Autofahren. Diese hohen Zahlen haben sich unter anderem den Sehtests zu verdanken, die seit den 1970er Jahren mit steigender Flächendeckung an Kindern und Jugendlichen vorgenommen werden. (1952 waren nur 43 Prozent der Deutschen Brillenträger, überwiegend Menschen im Alter von über 60 Jahren). Barbara beglückwünscht mich zu meiner Entscheidung. „Du wirst bald noch viel weniger allein sein als du bisher meintest“, sagt sie, die die Allensbach-Studie ebenfalls kennt. „Allein sind nur diejenigen Leute über 60, die keine Brille brauchen. Das sind nämlich nur ganze sechs Prozent.“ Mir ist das längst egal. Ich erwarte meine Brille und die nächste Gelegenheit zu einer Autofahrt durch Dunkelheit und Nieselregen. In dieser spätwinterlichen Schmuddelwetterzeit werde ich wohl nicht lange warten müssen – und dann hoffentlich alles mit ganz neuen Augen sehen. (Artikel 25.2.2012)Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-23240688708121597782012-12-06T14:29:00.000+01:002013-03-06T03:01:23.425+01:00Liebe oder SodomieCornelia Kurth<br />
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Dass Menschen liebevolle, zärtliche Beziehungen zu Tieren haben, ist eine Selbstverständlichkeit. Der Hund schläft mit im eigenen Bett, das Pferd wird dick auf die Schnauze geküsst, die Katze hingebungsvoll gekrault und für nicht wenige sind Tiere einfach die besseren Menschen. Abscheu und Empörung allerdings löst es aus, wenn jemand Tiere sexuell begehrt. Verboten war Sex mit Tieren bisher allerdings nicht. <br />
Als im Jahr 1969 der berüchtigte Paragraf 175 abgeschafft wurde, stand nicht nur die Homosexualität nicht mehr unter Strafe, sondern auch die „Sodomie“, die sogenannte „Unzucht mit Tieren“, wurde aus dem Strafkatalog entfernt. Jetzt allerdings will der Bundestag das Tierschutzgesetz novellieren, was unter anderem bedeutet, dass sexuelle Handlungen an Tieren mit Bußgeldern bis zu einer Höhe von 25 000 Euro belegt werden können. <br />
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Der Deutsche Tierschutzbund ist „zufrieden“, die „Grünen“ fordern weitergehende Änderungen, die auch Gefängnisstrafen für zoosexuelle Handlungen vorsehen, eine Mehrheit für die Gesetzesänderung, die Mitte Dezember beschlossen werden soll, gilt als sicher, und nur eine kleine Gruppe von Menschen, die sich selbst als „zoophil“ bezeichnen, ist geschockt darüber, dass ihre ohnehin geächtete „sexuelle Hingezogenheit zu Tieren“ nun auch offiziell wieder unter Strafe stehen soll. „Zoophilie“ gilt allgemein als „Paraphilie“, als eine gestörte, von der gesellschaftlichen Norm abweichende Sexualpräferenz. Keine Frage, so scheint es, dass die Würde der Tiere höher anzusetzen ist als das Begehren von Menschen mit einer „abartigen“ Sexualität, und dass es dabei belanglos ist, was die Betroffenen zur neuen Regelung zu sagen haben.<br />
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Trotzdem lohnt sich ein genauerer Blick auf die Zusammenhänge. Nicht umsonst meint zum Beispiel der Schaumburger Amtstierarzt Dr. Ulf Güber, seit 20 Jahren im Fachbereich Tierschutz des Veterinäramtes beim Landkreis tätig, die Novellierung des Tierschutzgesetzes sei eine „undankbare Materie“. Zwei nicht unproblematische Aspekte kommen da nämlich zusammen.<br />
Zum einen sind alle Handlungen, die Tieren einen „erheblichen Schaden“ zufügen, bereits jetzt verboten. Wer ein Tier quält oder ihm Verletzungen zufügt, macht sich auf jeden Fall strafbar, ebenso, wer zoosexuelles pornografisches Material verbreitet. Für die Verfolgung von „Pferderippern“, Sadisten, Menschen, die ein Tier mit ihren sexuellen Handlungen verletzen, oder solchen, die sich einem nicht in ihrem Besitz befindlichen Tier mit sexuellen Absichten nähern, benötigt man keine Gesetzesänderung.<br />
Zum anderen nehmen Menschen in wirtschaftlichen und medizinischen Zusammenhängen ständig „sexuelle Handlungen“ an Tieren vor. Pferde, Schafe, Kühe – für fast alle Nutztiere gibt es keine „artgerechte“ Sexualität mehr. Die meisten Tiere werden kastriert, während ausgewählten männlichen Zuchttieren durch Menschenstimulation möglichst viel ihres kostbaren Samens entlockt wird, um die weiblichen Tiere damit künstlich zu befruchten. In der tierärztlichen Hochschule Hannover lernen Studenten, wie man etwa Hunde masturbiert, unter anderen, weil das gewonnene Ejakulat für fortpflanzungstechnische Untersuchungen benötigt wird.<br />
„Deshalb heißt es im Text des Gesetzentwurfes ja auch, dass es um solche sexuellen Handlungen gehen soll, die der ,Befriedigung des menschlichen Sexualtriebes‘ dienen“, erklärt der Amtstierarzt. „Es soll verhindert werden, dass Tieren aus egoistischen Gründen ein artwidriges Verhalten aufgedrängt wird.“ Ob Tiere einen seelischen Schaden erleiden, wenn sie zum aktiven oder passiven Sex mit Menschen eingesetzt würden, das sei allerdings schwer zu sagen. „Tatsache bleibt: Nur sexuell fehlgeprägte Tiere würden von sich aus auf einen Menschen zugehen.“ Ihm fällt ein von Hand aufgezogener Schimpanse ein, den er während seiner Ausbildung in einem Zoo kennenlernte und der, statt die brünstige Schimpansin in seinem Gehege zu beachten, entschieden nur an blonden Frauen unter den Zoobesuchern interessiert war. „Solche Tiere tun einem einfach nur leid.“<br />
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Claudia Daum, Tierärztin in Obernkirchen, sieht das nicht anders. „Sex mit Tieren ist eindeutig ein Missbrauch des Tieres“, sagt sie. „Bestenfalls lässt es sich die Sache gefallen, es hat davon nichts. Primaten wie Schimpansen können zwar auf Menschen geprägt werden, auch wenn ich von jedem sexuellen Kontakt schon aus eigenen Sicherheitsgründen abraten würde – doch bei Hunden zum Beispiel ist so eine Prägung gar nicht möglich. Wo Rüden auf ein menschliches Bein aufreiten, wollen sie keinen Sex, sondern sie behaupten damit ihre Dominanz, ebenso wie Kühe, die auf Geschlechtsgenossinnen aufreiten.“ Nun gibt es zoophil ausgerichtete Menschen, die sich sicher sind, dass eine Art Liebesbeziehung zu einem Tier möglich ist. In einem Internetforum, wo über politische und gesellschaftliche Fragen und aktuell auch über die Novellierung des Tierschutzgesetzes diskutiert wird, gibt sich einer der Teilnehmer als „zoosexuell“ zu erkennen, und versucht, den anderen zu erklären, was es für ihn damit auf sich hat.<br />
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Er sei verliebt in eine Stute, erzählt er. Die stünde zusammen mit einem Hengst auf der Weide seines Reitvereines, dessen Annäherungen sie aber auch im rossigen Zustand verschmähe, da er ihr zu ruppig sei. Er dagegen habe sie umworben, sie spazierengeführt, Karotten spendiert, zärtlich gestreichelt, und als er wagte, sich ihr sexuell zu nähern, sei sie nicht zurückgewichen, geschweige denn habe sie sich mit Ausschlagen gewehrt, sondern sie habe es sich ruhig gefallenlassen. Er liebe dieses freundliche Tier, und auch, wenn ihm klar sei, dass die Stute diese Liebe nicht gleichberechtigt zurückgeben könne, so wolle er eine echte Beziehung. Es habe doch etwas zu bedeuten, dass sie ihn dem Hengst gegenüber bevorzuge.<br />
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„Das ist alles Unsinn“, meint Claudia Daum. „Hier projiziert jemand Gefühle auf ein Tier, die mit dem Gefühlsleben des Tieres nicht das Geringste zu tun haben.“ Amtstierarzt Ulf Güber betont ebenfalls, dass Haustiere oft mit Projektionen von menschlichen Beziehungsmustern überfrachtet werden, die an deren eigenen Bedürfnissen vorbeigingen. „Man kann sein Tier knuddeln, mit ihm schmusen, aber sobald das zu einer geschlechtlichen Beziehung wird, muss ich dem Gesetzentwurf zustimmen.“ Ziemlich empört kritisiert er eine Folge der Sendung „Bauer sucht Frau“, wo gezeigt wurde, wie der Bauer einem Huhn, das sich vor ihn niederduckt, kurzerhand den Daumen einführt. Er habe ja keinen Hahn auf dem Hof, so die Erklärung des Bauern, während er auf die Henne zeigt, die sich schüttelt, als habe sie gerade einen „Hahnentritt“ erhalten.<br />
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Aus der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Reproduktionstechnische Einheit, heißt es auf die Anfrage, ob sexuelle Handlungen an Tieren grundsätzlich zu einer seelischen Beeinträchtigung der betroffenen Tiere führten, zum Beispiel der Hunde, die man durch gezielte Bewegungen mit der menschlichen Hand zum Samenerguss führe, man wolle sich zu diesem Thema nicht äußern. Man selbst würde sachlich und fachlich und unter Ausnutzung ihrer natürlichen Verhaltensweisen mit den Tieren umgehen, mit eigentlichen sexuellen Handlungen habe das nichts zu tun.<br />
Wie unscharf da allerdings die Grenzen sind, kann man aus der Erzählung einer Kollegin von Tierärztin Claudia Daum entnehmen. Die berichtete ihr, wie eine Studentin, die sich einem Hund gegenüber recht ungeschickt anstellte, vom entnervten Dozenten gefragt wurde, ob sie denn keinen Freund habe.<br />
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Bleibt also weiterhin die Frage, ob solche sexuellen Handlungen, die zu keinem sichtbaren Schaden der Tiere führen, explizit verboten werden müssen, während man andererseits Hunden Kostüme anziehen, Vögel in Käfigen halten oder Pferde zu Dressurpferden erziehen darf. Kritiker des Novellierungsvorhabens wenden ein, dass es nicht angehen könne, die Anpassung an gesellschaftliche Normen per Gesetz erzwingen zu wollen, und selbst Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, zeigt sich skeptisch darüber, ob die Gesetzesänderung wirklich für große Fortschritte im Tierschutz sorge.<br />
„Es ist noch jahrelang erlaubt, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. In der landwirtschaftlichen Tierhaltung werden weiterhin Qualzucht und Brandzeichen zugelassen. Auch Tierversuche an Menschenaffen bleiben legal“, sagte er kürzlich in einem Interview für die Süddeutsche Zeitung. Die Bundesregierung habe in Sachen Tierschutz versagt und hefte sich nun mit dem Verbot der Zoophilie einen Orden an, den sie nicht verdiene.<br />
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Dr. Ulf Güber gibt, als Befürworter der geplanten Gesetzesänderung, immerhin zu bedenken, dass hier zwar die Würde des Tieres im Vordergrund stehe, die Menschenwürde dabei aber nicht vernachlässigt werden dürfe. „Zoosexualität findet wohl fast immer im stillen Kämmerlein statt“, sagt er. „Es kann wohl kaum angehen, dass man ab sofort in die Privatsphäre von Menschen eindringen darf, um festzustellen, ob da was Verbotenes in Bezug auf Tiere stattfindet, was sich durch tierärztliche Untersuchungen nicht feststellen ließe.“Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-60186965026488949292011-02-01T02:26:00.001+01:002013-03-06T03:01:52.464+01:00Was macht eigentlich Dr. Dirk Neumann vom Tierpark Kalletal?Cornelia Kurth<br />
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Sein Leben lang hatte er mit Wölfen zu tun, Dr. Dirk Neumann (61), der ehemalige Leiter des Tierparks Kalletal. Seine europaweit einzigartige Wolfsschule war in ganz Deutschland berühmt und viele Besucher aus dem Schaumburger und dem Lipper Land erlebten hautnah mit, wie er im Jahr 1995 eine Gruppe kanadischer Wolfsbabys mit der Flasche aufzog, wie sie ihre ersten Gehversuche vor seinem Büro im Kalletaler Tierpark machten, dann in einem großen Wildgehege herumtollten und schließlich zur "Schule" gingen, quirlige Kerle, die lernten, wie man zur Freude des Publikums Kunststücke vorführt, und die dabei langsam erwachsen wurden. <br />
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Inzwischen existiert der kleine Tierpark nicht mehr. Dort, wo neben den Wölfen auch Tiger, Bären, die lustige Truppe der Paviane, australische Dingos und die beiden Schimpansen Fritz und Friederike lebten, erstreckt sich nun eine Ruinenlandschaft aus verlassen Käfigen und verwildertem Gelände. Es war ein echtes Drama, das Ende des Tierparks, der im Sommer 2009 verkauft worden war an einen Besitzer, dem dann aber die Erlaubnis zur Haltung von Wildtieren abgesprochen wurde. <br />
Dirk Neumann war schon nicht mehr persönlich dabei, als seine ehemaligen Schützlinge in unterschiedliche Auffangstationen vermittelt wurden, nachdem zuvor die Gefahr bestanden hatte, dass sie alle eingeschläfert werden müssten. Kein Zoo interessiert sich ja für alte Tiere, die keinen Zuchtstammbaum aufzuweisen haben. Nur durch den Einsatz verschiedener Tierschutzorganisatoren und vor allem des Veterinäramtes gelang es dann doch, allen Bewohnern des Tierparks ein neues Zuhause zu verschaffen.<br />
Ob noch einer der Wölfe aus seiner Wolfsschule lebt, der Tierarzt weiß es nicht. Die Wolfsgeschwister waren ja mit ihrem Alter von inzwischen 14 Jahren bereits richtige "Opas", als er sie am Nikolaustag 2008 zum allerletzten Mal in die "Schule" rief, dem umzäunten Gehege inmitten ihres riesigen Auslaufs. Noch einmal sprang Blacky, der Leitwolf, auf Neumanns Schultern, balancierte Wum über einen Holzbalken, gab Mammut, der "Küsschenwolf", ihm einen Kuss auf den Mund. Dann wurde die Wolfsschule geschlossen.<br />
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Nur noch drei der gelehrigen Tiere lebten, als die Geschäfte des Tierparks im Frühjahr 2010 abgewickelt wurden. Mit viel Glück gelang es, sie in eine walisische Auffangstation zu verbringen, wo sie nun ihr Gnadenbrot erhalten. Auch ihre ehemaligen Mitbewohner aus dem Kalletaler Tierpark leben nur noch zum Teil in Deutschland, die Dingos zum Beispiel in Sachsenhagen, die Bären Ida und Katja im Bärenwald Müritz. <br />
Die Tiger kamen in eine niederländische Auffangstation, ebenso wie die alten Schimpansen Fritz und Friederike. Diese beiden Menschenaffen, starke Persönlichkeiten, die in den letzten Jahren eine enge Bindung zu ihrem ehrenamtlichen Tierpfleger Jan Hoberg aufgebaut hatten, sie litten sehr unter dem Stress des Umzuges aus der vertrauten Umgebung. Ein Dokumentarfilm von spiegel.tv zeigt eindrucksvoll, wie genau sie wahrnahmen, dass sich alles um sie herum verändert. Fritz und Friederike waren die letzten Tiere, die den Tierpark Kalletal verließen.<br />
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Und der Wolfslehrer, wie geht es ihm? "O - ich genieße meinen Ruhestand durchaus", meint er. "Es war schon so lange abzusehen, dass die Besitzer des Tierparks ihn nicht mehr halten konnten und mir die Pacht kündigen würden. Ich bin froh, dass es nun ein Ende gefunden hat." <br />
Er wandere oft stundenlang mit seinem Hund durch die Natur, besuche ab und zu die Zoos in der Umgebung und vor allem arbeite er an seinen Vorträgen über Wölfe und die Wolfsschule. Auf der Internetseite "www.wolfsschule.de" kann man solche Vorträge buchen. Und dabei springen sogar Wölfe herum, Blacky, Wum, Shy, Mammut und die anderen. Glücklicherweise gibt es einen Film, der ihr Wolfsschulleben dokumentiert. Ganz und gar zu Ende ist es mit der Wolfsschule also nicht.Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-50960209415966217602011-02-01T02:02:00.007+01:002013-03-06T03:02:17.686+01:00Sportstammtisch Rinteln - die wirklich "Alten Herren"<p class="MsoNormal">Sportstammtisch Rinteln - die wirklich "Alten Herren"<br />
</p><p class="MsoNormal">Von Cornelia Kurth<br />
</p><p class="MsoNormal">Was für eine vergnügte Runde alter Herren, die sich da im "Stadt Kassel" versammelt. Zwölf Männer um die 75, einige sogar weit über 80 Jahre alt, die so vertraut miteinander scherzen, als seien sie Brüder aus einer Großfamilie. Und sind sie es nicht auch? Fußballbrüder - ja! Jeder von ihnen ist engverbunden mit dem SC Rinteln, die meisten seit ihrer frühen Jugend, kurz nach Kriegsende: Spieler, Schiedsrichter und natürlich Gerd Witte, einstiger Wirt des "Goldenen Sterns", der langjährigen Vereinskneipe des SC. Seit 25 Jahren treffen sie sich zum Seniorenstammtisch, heute ist es das 300. Mal. Und natürlich haben sie allerlei zu erzählen vom Fußball in Rinteln, wie er sich nach dem Stillstand im Krieg und nach den Hochwassern, die den Platz am Steinanger verwüstet hatten, wieder zu einem Spiel entwickelte, das die Jungs der Stadt in seinen Bann zog.</p><p class="MsoNormal"></p><p class="MsoNormal">Dabei war das Fußballspiel bei vielen Eltern ganz und gar nicht beliebt. Wie oft gingen die kostbaren Hosen dabei kaputt, und was noch schlimmer war: Die Schuhe! Echte Fußballschuhe hatte sowieso fast niemand. Woher auch sollte man sie bekommen in der Nachkriegszeit. Es konnte sich ja schon glücklich schätzen, wer überhaupt ein paar solide Schuhe besaß. "Ich hatte eines, ein einziges Paar", erzählt Rolf Wedemeyer (75). "Und weil das so wertvoll war, durfte ich nicht mitspielen. Meine Mutter kontrollierte genau, ob sich irgendein Fußballabdruck darauf finden ließ. Wenn ja, bekam ich richtig Ärger!" </p><p class="MsoNormal">Herbert Eckel, genannt "der Schöne", um ihn von seinem Bruder Günter zu unterscheiden, der "Eckel der Jüngere" hieß, er ließ sich die beim Fußball ramponierten Schuhe heimlich von seinem Onkel reparieren. Der schlug kleine Holzpflöcke ein, wenn sich die Sohle mal wieder gelöst hatte. "Aber irgendwann sagte er: 'Neffe - es passt kein neues Loch mehr rein!", so Herbert Eckel. "Tja, da gab es dann eine Zwangspause." Rolf Wedemeyer stand überhaupt nur am Spielfeldrand und sah sehnsüchtig zu. "Lern lieber Klavier!", meinte seine Mutter. "Da hast du später was davon!" Das hatte er auch. Neben der Arbeit in seinem Getränkelager spielte er jahrzehntelang auf den Festen in der Umgebung als Musiker auf.</p><p class="MsoNormal">Für Heinz Hesse, damals Schiedsrichter, danach 17 Jahre lang Obmann im Spielausschuss und dann tätig im Obersten Verbandssportgericht, war die Sache mit den Schuhen nicht so das Problem. Er musste die Autorität aufbringen, die jungen, übermütigen Spieler zur Raison zu rufen. "Wieso denn, was ist denn?" heißt es lachend in der Stammtisch-Runde. "Kein Einziger von uns hat je eine Rote Karte bekommen! Und auch keine Gelbe!" Na ja - wie hätte das auch sein sollen? </p><p class="MsoNormal">Niemand, der vor 1970 Fußball spielte, fing sich jemals eine Rote oder Gelbe Karte ein. Diese praktische und unmissverständliche Art der Verwarnung gibt es erst, seit bei der WM 1966 das größte Chaos entstand, weil ein Spieler so tat, als habe er den Platzverweis des Schiedsrichters nicht gehört und einfach auf dem Spielfeld blieb. Vor der anschließenden Neuregelung sprachen die Schiedsrichter ihre Verwarnungen immer nur mündlich aus. "Im schlimmsten Fall schrie das halbe Publikum: "Ab nach Hause!'", sagt Heinz Hesse. </p><p class="MsoNormal">Wurde ein Spieler so verletzt, dass er nicht mehr mitspielen konnte, war das ein doppeltes Ärgernis für die Mannschaft, denn es durfte kein Ersatz eingewechselt werden. "Wir waren manchmal nur noch neun Spieler auf dem Platz", erzählt Herbert Eckel. "Wenn eine Seite nur noch sieben Spieler hatte, wurde das Spiel abgebrochen." An so eine Situation kann sich aber keiner erinnern. "Wir haben alles in allem fair gespielt", betonen sie. "Schließlich sahen wir alle uns ja ständig wieder!"</p><p class="MsoNormal">Nach jedem Spiel auf dem Platz am Steinanger liefen sie in ihren verschwitzten Trikots und mit dem wertvollen Fußball unterm Arm durch den Blumenwall zurück in die Stadt, zum Marktplatz, in den "Goldenen Stern" (jetzt die "Marktwirtschaft"), wo Vereinswirt Gert Witte die Rintelner und die Gegnermannschaft empfing. Während sie sich im Saal umziehen und vor den dort aufgestellten Waschschüsseln waschen konnten, tischte der Wirt die leckeren Mettbrötchen aus der Schlachterei Lehmeier auf. Die hatte Karl-Heinz Lehmeier, der bis zu seinem Tod ebenfalls zum Stammtisch gehörte, immer großzügig gespendet, mit einer der vielen Gründe, warum er später zum Ehrenvorsitzenden ernannt und der "Karl-Heinz Lehmeier"-Preis gestiftet wurde.</p><p class="MsoNormal">Die Vereinskneipe war lange gleichzeitig auch das Vereinsbüro, mit dem Wirt als Organisator, immer die Zigarette in der einen, den Telefonhörer in der anderen Hand. Er ist rund zehn Jahre älter als die anderen Stammtischler, kam erst 1948 Jahre aus der englischen Kriegsgefangenschaft zurück und trat dann gleich in die 1. Herrenmannschaft ein. "Na - Fußball haben wir da auch gespielt, und wie! Und wahrscheinlichen mit einem besseren Ball als Leute hier, von den Engländern gestiftet, immerhin." Klar ist, dass die ersten Nachkriegsfußbälle nichts anderes als aus Stofffetzen zusammengebastelte Filzkugeln waren.</p><p class="MsoNormal">Die Geschichten schwirren herum im "Stadt Kassel" - und je mehr Bier und Schnaps das Geburtstagskind Albert Wippermann (78) ausgibt, desto mehr necken sich die Stammtischbrüder. "So machen wir es immer", sagt Albert Wippermann, der fast drei Jahrzehnte als Kreiskassierer und als Kassenwart für den SC Rinteln agierte, nachdem er zuvor als gefährlicher Gegenspieler dem TuS Engern angehört hatte (die besseren Mettbrötchen in Rinteln hätten es ihm damals angetan, witzeln die anderen, deshalb der Vereins-Wechsel). "Wer Geburtstag hat, gibt ein Essen aus und Getränke so lange, bis er dem Wirt das Zeichen 'Daumen runter' gibt. Von da an zahlt jeder für sich selbst." Noch lächelt er vergnügt zu Ernst Brand herüber, dem "Stadt Kassel"-Wirt. Der sitzt auch mit am Stammtisch, aus Solidarität, denn im Rintelner Verein hat er nie mitgespielt (aber in Grupenhagen). "Wäre auch gar nicht gegangen - so große Fußballschuhe für seine Größe 48 hätten wir nicht auftreiben können", sagt Horst Ladage neben ihm.</p><p class="MsoNormal">Horst Ladage (74) - "ein guter Mann, ein überragender Mann", wie Rolf Wedemeyer unter Zustimmung aller betont - er spielte bereits mit 17 Jahren in Rintelns erster Herrenmannschaft, schoss zahllose Tore und ließ sich in seiner 20jährigen aktiven Zeit treu niemals von anderen Vereinen abwerben. "Nun ja - damals war es noch eine Ehre, für Rot-Weiß zu spielen", meint er grinsend. "Heutzutage allerdings...". <span style=""> </span>Ja - über den aktuellen Zustand des SCR machen sich alle gerne lustig. "Oder sagen wir so", ruft Rolf Wedemeyer dazwischen: "Früher haben wir uns immer über die Spiele des SC unterhalten - jetzt reden wir nur noch allgemein über die Bundesliga..."</p><p class="MsoNormal">Im Übrigens ist gar nicht immer nur Fußball das Thema in der Stammtischrunde. Seit 1992 gibt es eine eigene Radfahrertruppe, die sich einmal im Jahr aufs Rad schwingt und lange Touren durch Deutschland macht, am liebsten entlang der Flüsse. Klaus Ide, der Jüngste am Stammtisch, tüftelt diese Radtouren aus und ist liebenswürdigerweise darauf bedacht, sie nicht allzu hoch in die Berge zu führen. In diesem Jahr, wenn der SCR seinen 100. Geburtstag feiert, machen sich die Radfahrer zum 20. Mal auf die Reise.</p><p class="MsoNormal">Fußball spielen sie alle ja schon lange nicht mehr. Herbert Eckel hörte auf, als sein kriegsverletzter Vater ihn darum bat, an den Wochenenden auf seinen Taubenschlag aufzupassen. Der einbeinige Mann schaffte es nicht mehr, die Leiter zum Dach hochzusteigen. "Natürlich habe ich meinem Vater gehorcht, alles andere wäre undenkbar gewesen", meint Eckel. "Aber mit den Vereinsspielen war es dann vorbei." Bei den anderen waren es entweder die Berufsausbildung, die zuviel Energie in Anspruch nahm, oder die Heirat, wie zum Beispiel bei Gert Witte. "Ja, du, Horst, du hast gut reden", ruft er zu Horst Ladage herüber, der so lange als Spieler dabei war. "Du bist ja auch noch Junggeselle!"</p><p class="MsoNormal">Vor 25 Jahren, als sich der Stammtisch anlässlich des 75. Vereinsjubiläums des SC Rinteln zusammenfand, kamen über 30 ehemalige Spieler. "Seitdem ging es nur noch bergab", sagt Rolf Wedemeyer. Obwohl alle zum 300. Stammtisch versammelten mindestens zehn Jahre jünger wirken, als sie es in Wirklichkeit sind, die Zeit schreitet voran. Krankheit, auch Tod dezimierte die brüderliche Runde, Neuzugänge, wie etwa derjenige von Ernst Brand, der eintrat, als sein Lokal zur Stammwirtschaft erwählt wurde, sind sehr selten. "Vielleicht sollten wir nicht mehr so viel trinken, dann werden wir alle hundert Jahre alt", gibt Albert Wippermann zu bedenken, der heute alles ausgibt. Den Daumen runter hält er trotzdem nicht.</p>Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-5525522216342213482011-02-01T02:01:00.003+01:002011-02-01T02:19:08.155+01:00<p class="MsoNormal">Fängt man was? Fängt man nichts?</p> <p class="MsoNormal"> </p> <p class="MsoNormal">Im Sommer sieht man sie eigentlich immer irgendwo am Weserufer, die gemütlichen Angler, wie sie sich ein kleines Lager eingerichtet haben und geduldig die Angel ins Wasser halten. Auch an den Kiesseen sind sie für Spaziergänger ein vertrautes Bild. Meistens schleicht man sich an ihnen vorbei, weil man Angler ja nicht ansprechen soll: Zuviel Unruhe am Ufer vertreibt die Fische, heißt es (was so gar nicht stimmt). Was aber machen die Angelfreunde im Winter? Hat man da überhaupt die Chance, einen Fang zu machen?</p> <p class="MsoNormal">"Klar, natürlich, durchaus", sagen da alte Anglerhasen wie Karl Tiedermann, der Vorsitzende des Fischereivereins in Rinteln, oder Wilhelm Wehrhahn aus dem Vorstand vom Sportfischerverein Hameln. Aber man hört doch heraus, dass die Sache nicht ganz einfach sein würde. Im eiskalten Weserwasser schwimmen die Fische nur träge umher. Ihr Stoffwechsel ist heruntergeschraubt, ihr Nahrungsbedarf daher gering, und man muss schon viel Glück und Geschick haben, um sie an ihren bevorzugten Stellen - dort, wo das Wasser möglichst ruhig steht - aufzuspüren und mit Made oder Regenwurm heranzulocken. </p> <p class="MsoNormal">"Nach dem Krieg, ja, da haben wir selbstverständlich auch im Winter geangelt. Wir brauchten was zu Essen und was zum Tauschen", erzählt Wilhelm Wehrhahn, der damals 12 Jahre alt war und mit der Angelei dazu beitrug, dass es seiner Familie in der schweren Zeit besser ging. "Plötzen, Brassen und die jetzt sehr seltene Zärbe, die konnte man immer fangen, weil sie nicht in Winterruhestellung gehen. Und auf den überschwemmten Wiesen, da, wo unter dem Wasser Grasbewuchs war, da hatten wir fein raus, wie wir die Fische kriegten, die sich aus dem starken Strom zurückzogen."</p> <p class="MsoNormal">Wenn das Wasser ansteigt, so hoch, wie es auch jetzt gerade der Fall ist, und der Fluss voller besonders kaltem Schmelzwasser ist, dann allerdings werden die Fische "maulig". Die wechselwarmen Tiere benötigen in solchen Zeiten nur ein Zehntel an Nahrung, sie trudeln in kleinen Rudeln nahe am Boden umher und man sieht sie auch nicht im verschlammten Wasser. Nur echten Könnern gelingt es, sie an stilleren Stellen mit winzigen Maden und etwas Sägemehlstreu neugierig zu machen und an den Haken zu holen. </p> <p class="MsoNormal">"Früher habe ich immer auch im Winter geangelt", sagt Karl Tiedermann. "Aber das tue ich mir schon seit 20 Jahren nicht mehr an!" Die Kälte, matschige Ufer, an denen man leicht abrutschen kann und die Aussicht, dass man vielleicht ganz ohne Fang nach Hause kommt, nee, muss nicht sein. "Die Weser führt ja auch viel weniger Fisch als vor Jahrzehnten", meint er. "Dabei ist sie noch ein relativ sauberes Gewässer. Ob Sommer oder Winter, es ist kein Vergleich mehr zu den alten Zeiten."</p> <p class="MsoNormal">Trotzdem steht er gerade an der hoch und schnell vorüberschießenden Weser, im stillgelegten Kreishafen, auf der langgestreckten Landspitze, die man über das Grundstück des Fischereivereines erreicht. Tage zuvor hatte er im Verein herumgefragt, wer wohl - Winter hin oder her - eine kleine Angeltour unternehmen und Barsch, Rotauge oder Rotfeder jagen würde. Sämtliche erfahrenen Weserfischer hatten lächelnd abgelehnt. Aber Sascha Kluck und seine Frau Doris sagten zu, ein junges Paar aus Rinteln, das seit drei Jahren mit aller Leidenschaft der Angelei zugetan ist. </p> <p class="MsoNormal">Gut gelaunt stapfen die beiden in Gummistiefeln über das nasse Gras bis ans Weserufer heran. Es ist ein unglaublich schöner Samstagvormittag. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, Enten lassen sich den Fluss heruntertreiben, fliegen wieder aufwärts und treiben erneut herab. Wie still es ist hier am alten Hafen, wo zwischen Landzunge und Hafenmauer das Wasser ruhiger steht. "Sieh da, ein Haubentaucher", sagt Doris Kluck. "Und er taucht. Das bedeutet, dass er was zu fressen findet." </p> <p class="MsoNormal">Gelassen holen sie ihre Angeln hervor und öffnen eine kleine Schachtel voller Pinkys, den winzigen, weißen Maden, die man nur mit Feingefühl an den Haken anbringen kann. Heute wird mit "Pose" geangelt, mit einer Art bunten Boje, die unter Wasser gezogen wird, sollte ein Fisch anbeißen. Große Fangchancen rechnen sich auch die beiden nicht aus, aber was soll's: "Man geht ja immer so los: Fängt man was? Fängt man nichts?", sagt Doris. "Ich angle auch im Winter gern. Es ist nie verlorene Zeit, es ist immer nur schön, so in der Natur zu stehen, dazu zu gehören, auch am Morgen, wenn der Nebel hochsteigt, oder wenn die Eisvögel sich laut beschweren, dass wir in ihr Revier eindringen."</p> <p class="MsoNormal">Auch Sascha Kluck wirkt einfach glücklich, selbst als schon über eine Stunde vergangen ist und höchstens vorbeitreibende Wasserpflanzen die Pose mal zum Zucken brachten. Karl Tiedermann, der auf einen Sprung vorbeikommt, kann es sich ein grinsendes "Na - noch nichts im Eimer?" nicht verkneifen. Da lacht Sascha nur: "Es wäre ja gar nicht gut, wenn wir jeden Tag mit fetter Beute heimkämen. Die Jagd muss doch spannend bleiben!" Er zieht die Schnur raus und guckt nach, ob die Pinkys noch leben. Die Fische werden durch den Geruch des Köders angelockt, und die richtige Duftnote hat der nur, wenn die Pinkys nicht schon tot und kalt herunterhängen. </p> <p class="MsoNormal">Seltsam, dass es Spaß macht, die kleine bunte Pose zu beobachten, auch wenn jetzt selbst ein Laie ahnt, dass es wohl nichts werden wird mit Rotauge oder Plötze an der Angel. Leise surrt die Angelschnur, wenn sie eingeholt und wieder ausgeworfen wird. Wohlwollend betrachtet Karl Tiedermann dabei das Hightech-Rüstzeug des Anglerpärchens. "Wenn ich an meine erste Angel denke", sagt er. "Das war ein Haselstock, auf den ich, damit er biegsamer reagiert, eine Speiche vom Regenschirm montiert hatte. Die Schnur? Ein Bindfaden! Und für den Haken <span style=""> </span>nahm ich einfach eine umgebogene Stecknadel."</p> <p class="MsoNormal">Da hatte es der Hamelner Wilhelm Wehrhahn damals leichter. Nach dem Krieg gab es in der Stadt zwei Geschäfte für Anglerbedarf, und da er und sein Großvater so gute Kunden waren, bekamen sie dort die raren Haken und Posen. "Eigentlich ist es Wahnsinn, dass man heutzutage viele tausend Euro ausgibt für die Ausrüstung", sagt er. "Aber die Zeiten, dass man an einem Tag auch mit viel einfacherem Rüstzeug 40 oder 50 Pfund Fisch aus der Weser holen konnte, die sind einfach dabei." Und dann kommt er auf sein liebstes Hass-Thema zu sprechen, das auch Karl Tiedermann jederzeit auf der Zunge liegt: den Fischräubervogel Kormoran.</p> <p class="MsoNormal">Dieser alte Streit zwischen Naturschutz und Anglerglück. Die Kormorane, fast ausgerottet, bevor sie auf die Rote Liste gesetzt wurden, haben sich in ihren Beständen so gut erholt, dass sie den Fischern immer nur ein Ärgernis sind. Wenn es nach ihnen ginge, dann dürften die Raubvögel wieder abgeschossen werden, so große Konkurrenz sind sie geworden. "An der Aue, der Exter und natürlich an den Fischteichen räubern sie ungehindert", so Tiedermann. "Aber man darf ja nichts sagen...". Wilhelm Wehrhahn sieht das ähnlich: "Wir Angelfischer freuen uns geradezu über das Eis auf den Teichen - dann kommen die Kormorane nicht an die Fische ran!"</p> <p class="MsoNormal">Eisfischen - ja, auch das ist im Winter ein Thema. Wehrhahn und Tiedermann haben in ihrem Leben genug Erfahrung damit gesammelt, wie man den Schnee vom Eis entfernt, den Eisbohrer ansetzt, um ein 30 Zentimeter breites Loch zu bohren und dann mit ganz feinem Geschirr darauf hofft, dass sich neugierige Fische von dem unerwarteten Licht und den ins Wasser gestreuten Maden anlocken lassen. Um nicht all zu sehr zu frieren, trug Wehrhahn immer eine Lammfellunterhose und an den Füßen dicke Filzstiefel. Sascha und Doris können da nicht mitreden. Im Rintelner Fischereiverein ist das Eisangeln als zu gefährlich schon lange verboten.</p> <p class="MsoNormal">Die beiden sind immer noch wohlgemut. Tatkräftig packen sie ihr Zeug zusammen und stapfen über die matschige Landzunge zurück bis in den Hafen, wo sie es noch einmal direkt an der Kaimauer versuchen wollen, dort, wo sich auch die ganze Zeit der Haubentaucher herumtreibt. "Mich packt jetzt doch der Ehrgeiz!" meint Doris Kluck. </p> <p class="MsoNormal">Ihr Mann hat unterwegs einen Regenwurm gefunden, den er in zwei Teile teilt - für jeden eine Hälfte. "Irgendwie hat man beim Angeln immer was zu tun", sagt er. "Als wir damit anfingen, dachten wir, wir würden nun die großen, persönlichen Gespräche führen. Aber nein - es gibt Anglertage, da reden wir keine fünf Sätze miteinander." Wenn die beiden ehrlich sind, dann ist es genau das, was sie am Angeln so lieben: Dieser Abstand vom Alltag, wo Doris bei der Arbeit auf der Intensivstation ist und Sascha im Lärm seiner Tischlerei steht. </p> <p class="MsoNormal">Fast drei Stunden sind jetzt vergangen an diesem sonnig-kalten Vormittag. "Man findet ja kein Ende!", sagt Doris. "Das ist immer so!" Läge nicht ein Treffen mit den Vereinskollegen an, die beiden hätten vielleicht bis zum Abend dagestanden, geduldig ihre Köder ausgeworfen, den Vogelschwärmen am hohen Himmel nachgeblickt und sich einfach in der Zeit treiben lassen. Gefangen haben sie nichts an diesem Wintertag. Trotzdem sehen sie rundherum zufrieden aus. </p> <p class="MsoNormal"> </p>Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-34548864859788108322011-01-16T22:49:00.000+01:002011-01-16T22:50:37.680+01:00Yoga - Mantras und der Weg zum eigenen Selbst im "Yoga Vidya" - irgendwie<!--[if gte mso 9]><xml> <w:worddocument> <w:view>Normal</w:View> <w:zoom>0</w:Zoom> <w:hyphenationzone>21</w:HyphenationZone> <w:punctuationkerning/> <w:validateagainstschemas/> <w:saveifxmlinvalid>false</w:SaveIfXMLInvalid> <w:ignoremixedcontent>false</w:IgnoreMixedContent> <w:alwaysshowplaceholdertext>false</w:AlwaysShowPlaceholderText> <w:compatibility> <w:breakwrappedtables/> <w:snaptogridincell/> <w:wraptextwithpunct/> <w:useasianbreakrules/> <w:dontgrowautofit/> </w:Compatibility> <w:browserlevel>MicrosoftInternetExplorer4</w:BrowserLevel> </w:WordDocument> </xml><![endif]--><!--[if gte mso 9]><xml> <w:latentstyles deflockedstate="false" latentstylecount="156"> </w:LatentStyles> </xml><![endif]--><!--[if gte mso 10]> <style> /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:"Normale Tabelle"; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-parent:""; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin:0cm; mso-para-margin-bottom:.0001pt; mso-pagination:widow-orphan; font-size:10.0pt; font-family:"Times New Roman"; mso-ansi-language:#0400; mso-fareast-language:#0400; mso-bidi-language:#0400;} </style> <![endif]--> <p class="MsoNormal">Von Cornelia Kurth</p> <p class="MsoNormal"> "Mantras gesungen? Du? Das ist wohl ein Witz!" Ja, so reagieren meine Freunde, wenn ich es ihnen erzähle. Aber es ist wahr: Ich sang Mantras, zusammen mit vielen anderen Leuten, die mit mir im Kreis saßen, angeleitet von einem kleinen rundlichen Lehrer, der dabei ein altes Schifferharmonium spielte. "Shiva Shiva Shambho": Es bewegte mich sehr - wider Erwarten. Zuvor nämlich hatte ich mich ziemlich verloren gefühlt in "Europas größtem Zentrum für Yoga, Ayurveda und Meditation" in Bad Meinberg, dem "Yoga Vidya", das wir am Tag der offenen Tür besuchten. Mein Begleiter war gleich geflohen, als ihm in der Eingangshalle des siebenstöckigen Gebäudekomplexes der intensive Duft von indischen Räucherstäbchen entgegenschlug, während ich mich durch labyrinthartige Gänge und vorbei an Räumen mit unverständlichen indischen Namen zu einem Einführungskurs ins Hatha-Yoga begab.</p> <p class="MsoNormal"> </p> <p class="MsoNormal">Seit einiger Zeit gehe ich ins Fitnessstudio, radle dort brav eine halbe Stunde, ziehe ein paar Gewichte und versuche mich an Dehnungsübungen, bei denen ich mir immer neu unsicher bin, ob ich es überhaupt richtig mache. Könnte da nicht Yoga eine sinnvolle Ergänzung sein? Es war die Redaktion, die mich auf die kleine Reise ins idyllische Städtchen Bad Meinberg sandte, im Grunde hatte ich keine Wahl. Aber ich war neugierig, durchaus. Ich gab mir Mühe, offen zu sein und mich nicht beeinflussen zu lassen von den sarkastischen Bemerkungen meines Begleiters, den ich während der einstündigen Autofahrt durchs schöne Extertal zu überreden versuchte, sich mit mir gemeinsam auf das einigermaßen unbekannte Terrain zu begeben. "Gesundheitswahn vermischt mit spiritueller Spinnerei, damit kannst du mich jagen", grummelte er. "Aber deine Rückenprobleme", wandte ich ein. "Dieses Hatha-Yoga soll gerade für den verspannten Rücken wahre Wunder wirken. Sogar die Krankenkassen sehen das so." Nichts zu machen - er zog es vor, sich die Zeit mit einem Spaziergang zu vertreiben.</p> <p class="MsoNormal"> Sheila, so heißt die Yogalehrerin, eine riesengroße blonde, schon ältere Frau, die zu spät kommt, weil sie den Kursbeginn in falscher Erinnerung hatte. Fröhlich begrüßt sie uns erwartungsvolle Teilnehmer mit den Worten: "Eigentlich bedeutet Yoga auch Pünktlichkeit, na ja ..." Die zehn Teilnehmer lächeln gnädig und ich entdecke, dass Sheila total abgewetzte weiße Socken trägt. Komisch, sie weiß doch, dass man vor dem Übungssaal seine Schuhe ausziehen muss. Und wie sie umständlich rumtüdelt mit dem Overheadprojektor. Soll Yoga nicht innere Ruhe und Konzentration fördern? </p> <p class="MsoNormal">Während Sheila erklärt, dass der göttliche Kern des Yoga das Universum in uns und damit unser eigentliches Selbst berührt, stelle ich fest, wie unglaublich bequem diese Yogakissen doch sind. Gefüllt mit Körnern, passen sie sich den Körperformen so perfekt an, dass ich schon jetzt sicher bin, wenigstens eine klare Erkenntnis aus meinem heutigen Erlebnis davontragen zu können: Ich will so ein Kissen, unbedingt. Meine Pobacken brauchen nämlich Schonung seit der Fahrerei auf dem Fitnessrad. Selten saß ich so entspannt und bequem wie jetzt hier auf dem Fußboden. </p> <p class="MsoNormal">Die Yogalehrerin allerdings wirkt gar nicht entspannt. Nach und nach merkt sie, dass ihr Einführungsvortrag nicht so gut ankommt, weil er allzu allgemein vom Yoga handelt: Über die fünf Säulen, bestehend aus Yogastellungen, Atemübungen, Entspannung, richtige Ernährungsweise und Meditation, und über die Chakren, die sieben Hauptenergiezentren des Körpers, welche durch die Yogastellungen "gereinigt" werden. "Ihr kennt ja die Chakren?", fragt sie, und jeder nickt. </p> <p class="MsoNormal">Einige der Teilnehmer sind offenbar bereits erfahrene Yogis, die gerne etwas Genaueres über das Hatha-Yoga erfahren würden. Mir dagegen schwirren Begriffe wie "Asanas" (körperliche Übungen), "Pranayama" (Atemübungen) und "Hatha" (Anstrengung, Kraft) um die Ohren. Sheila stellt gerade fest, dass sie die Reihenfolge der zwölf Yogastellungen durcheinandergebracht hat. Ein Mann und eine Frau verlassen still den Raum. Aber da verpassen sie was, denn nun führt Sheila uns einen Kopfstand vor, zur Reinigung des Kronen-Chakras. Auf die Unterarme gestützt, den Kopf auf den Boden, hebt sie die Beine erst bis zur Körpermitte und dann ganz nach oben. "Das kann man locker zehn Minuten durchhalten", meint sie etwas außer Atem und mit rot angelaufenem Gesicht. Nicht sehr überzeugend. </p> <p class="MsoNormal">Ach - ich weiß, es ist ungerecht, sich lustig zu machen über jemanden, der wohl keinen so guten Tag hat. Das "Yoga Vidya"-Zentrum zieht jährlich Tausende von Gästen an, die sich auf dem großen Gelände oft auch einmieten, um an Yogaseminaren teilzunehmen, sich zum Yogalehrer ausbilden zu lassen oder den Vorträgen berühmter Lehrer zu lauschen. Das Haus besitzt einen ausgezeichneten Ruf, wird als gemeinnütziger Verein geführt und trägt mit seinen deutschlandweit insgesamt 60 Yogazentren dazu bei, die uralte indische Lehre über Entspannung und Meditation auch in Europa lebendig zu erhalten.</p> <p class="MsoNormal">Trotzdem würde ich das Zentrum jetzt am liebsten verlassen. Yoga ist eben nichts für mich, ich bin zu rational eingestellt und meinetwegen auch nicht wirklich geöffnet für etwas so sehr einer anderen, ungewöhnlich spirituellen Kultur Verhaftetes. Mag sein, dass Übungen wie der "Fisch", der "Flug" oder die "Krähe" mein Herz- und Kehlchakra kräftigen - ich will jetzt irgendwo einen Kaffee trinken. Den gibt es aber nicht im "Yoga Vidya". Dafür aber Brennnessel- und Salbeitee und - warmes Ingwerwasser. Das schmeckt frisch, leicht scharf und insgesamt so köstlich, dass neue Energie in mir aufsteigt. "Ich gehe in die 7. Ebene!", sagt eine Frau neben mir. Und ihre Freundin: "Ja, ich auch, die 7. Ebene ist die tollste von allen!"</p> <p class="MsoNormal">In dieser 7. Ebene, ganz oben im pyramidenförmigen Bau des Hauses findet das Mantra-Singen statt, das Kirtan. Ein junger Mann, eher klein, eher unsportlich, eher etwas finster wirkend, fährt im Fahrstuhl mit nach oben. Dass gerade er der Kirtan-Lehrer sein würde, hätte ich niemals gedacht. Der Raum ist voller Menschen jeden Alters, einige haben sich in weiße Decken eingewickelt. Ein Büchlein mit Liedtexten liegt aus und ich lese geheimnisvolle, zum Teil 4000 Jahre alte Texte, Gebete, die sich an indische Gottheiten richten, allen voran den drei höchsten, Brahma, den Schöpfer, Wishnu, den Bewahrer, Shiwa, den Zerstörer. </p> <p class="MsoNormal">Om - das berühmte Om, der Urlaut, Klang der Klänge, mit ihm eröffnet Lehrer Marcel den Workshop. Vor ihm steht ein rechteckiger Kasten, ein kleines Harmonium, das mit einer Luftklappe per Hand angetrieben wird. "In der Bibel heißt es: 'Am Anfang steht das Wort'", sagt Marcel. "Im Yoga aber: 'Am Anfang steht der Klang'!" Er beginnt, und seine angenehme, warme Stimme löscht sofort alle Zweifel aus. Wir alle summen den Ton mit, die Schwingungen erfüllen Kehle und Kopf, und als der Lehrer anschließend noch ein kleines Mantra singt, da klingt es eigenartig vertraut, wie ein mittelalterlicher Mönchsgesang.</p> <p class="MsoNormal">Mantras werden immer und immer wiederholt, so lange, bis alle Gedanken aus dem Kopf vertrieben sind, man nur noch den Klang im Körper verspürt und eine Ahnung davon entsteht, was es bedeuteten würde, den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt zu verlassen und vereint zu sein mit dem großen Klang des Universums, dem Brahman, von dem wir alle ein Teil sind. </p> <p class="MsoNormal">"Devi, Devi, Jagan Mohini", das singen wir, begleitet von der vollen Lehrerstimme und den melancholischen Tönen des Harmoniums. Es ist wie eine Liturgie, die ruhig immer weitergehen kann, so sanft ist der Gesang, so weich die Worte. Man müsse nicht wissen, was sie bedeuten, erklärt Marcel, die Schwingungen seien es, denen man sich hingeben solle. Sie entsprächen den Grundschwingungen des Universums, deshalb sei es so einfach, mitzuschwingen und den Kopf von störenden Alltagsgedanken zu befreien. "Oh Göttin, Göttin, die Du die ganze Welt bezauberst", das ist die Übersetzung des Textes. Auch schön.</p> <p class="MsoNormal">Schwingt ein Mantra langsam doch aus, dann es ist so, als wenn eine<span style=""> </span>angenehme Massage zu Ende geht. Man erwacht wie aus einem kleinen Traum. Zwischen den einzelnen Liedern spricht Marcel über das Yoga, den Hinduismus und darüber, wie sich die zahllosen Götter Indiens letztlich doch in einem einzigen Göttlichen, dem Brahman, zusammenfinden. Auf dem Weg zum Gruppenraum war ich an Zimmern vorbeigekommen, aus denen Mantra-Klänge herausdrangen, und ich hatte still gelacht. Jetzt sehe ich ein, dass dort einfach meditiert wurde. "Unzählige Wege führen zur Selbsterkenntnis", meint Marcel. Ich bin froh, dass mich ein Zufallsweg in seinen Workshop geführt hat.</p> <p class="MsoNormal">Mein Begleiter erwartete mich schon vor dem "Yoga Vidya"-Haus, erstaunt, dass ich ihm so gut gelaunt entgegenkam. Auch er war guter Laune, hatte er doch stundenlang die winterliche Hügellandschaft rund um das kleine Bad Meinberg durchwandert. "Und - woran hast du gedacht?", frage ich. "An nichts", sagt er. "Irgendwie macht das Wandern den Kopf so frei." Marcel hat schon recht: Es führen wirklich viele Wege zur inneren Harmonie. Man muss sie nur finden.</p>Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-535816561483743746.post-12374909725076792652011-01-16T22:46:00.000+01:002011-01-16T22:47:32.230+01:00Hagen Stehr - Thunfische und eine Revolution in der Zucht<!--[if gte mso 9]><xml> <w:worddocument> <w:view>Normal</w:View> <w:zoom>0</w:Zoom> <w:hyphenationzone>21</w:HyphenationZone> <w:punctuationkerning/> <w:validateagainstschemas/> <w:saveifxmlinvalid>false</w:SaveIfXMLInvalid> <w:ignoremixedcontent>false</w:IgnoreMixedContent> <w:alwaysshowplaceholdertext>false</w:AlwaysShowPlaceholderText> <w:compatibility> <w:breakwrappedtables/> <w:snaptogridincell/> <w:wraptextwithpunct/> <w:useasianbreakrules/> <w:dontgrowautofit/> </w:Compatibility> <w:browserlevel>MicrosoftInternetExplorer4</w:BrowserLevel> </w:WordDocument> </xml><![endif]--><!--[if gte mso 9]><xml> <w:latentstyles deflockedstate="false" latentstylecount="156"> </w:LatentStyles> </xml><![endif]--><!--[if gte mso 10]> <style> /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:"Normale Tabelle"; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-parent:""; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin:0cm; mso-para-margin-bottom:.0001pt; mso-pagination:widow-orphan; font-size:10.0pt; font-family:"Times New Roman"; mso-ansi-language:#0400; mso-fareast-language:#0400; mso-bidi-language:#0400;} </style> <![endif]--> <p class="MsoNormal">Von Cornelia Kurth<br /></p> <p class="MsoNormal">Zwei Bücher liegen immer am Bett des australischen Thunfischzüchters und Multimillionärs Hagen Stehr. Das eine ist die Bibel. "Die lese ich in den guten Tagen", sagt er. "Aus Dankbarkeit!" Das andere ist eines, von dem er meint, er sei der einzige Mensch in ganz Australien, der es überhaupt besitzt, nämlich die Memoiren des Generals George S. Patton, dem schillernden Helden des Zweiten Weltkriegs, der durch Mut und eiserne Disziplin entscheidend zum Sieg der Alliierten beitrug. "Der Mann hat etwas geschafft, genau wie ich. Wenn es mir schlecht geht, dann macht er mir Mut."</p> <p class="MsoNormal"> In den letzten Monaten hatte er durchaus Anlass, im Buch des Generals zu blättern. "Heute ein guter Plan ist besser als morgen ein perfekter Plan", oder "Tapfer ist, wer von seiner Furcht keine Notiz nimmt" - solche Zitate passen gut, wenn man wie Hagen Stehr inzwischen 50 Millionen Dollar investiert hat in ein Projekt, das, davon ist er überzeugt, die Zukunft des Fischereigewerbes absichern wird, ohne dabei die Meere weiterhin auszuplündern. Er züchtet den Southern Bluefin Thuna. Das ist der vor allem bei den Japanern geradezu fanatisch begehrte und vom Überfischen in seiner Existenz bedrohte Blauflossen-Thunfisch. Ihn in der Gefangenschaft zum Laichen zu bringen und die Jungfische dann auch noch erfolgreich zu ihrem gewaltigen Körpergewicht von etwa 200 Kilo aufzupäppeln galt lange als vollkommen unmöglich, ist der Bluefin Thuna doch ein praktisch unzähmbarer Wanderfisch, der auf seinen Reisen durch den südlichen Atlantik, den indischen Ozean und den Pazifik in rasender Geschwindigkeit Zehntausende Kilometer zurücklegt, bevor er die Geschlechtsreife erlangt.</p> <p class="MsoNormal">"Uns blieb aber gar nichts anderes übrig, als unser Zuchtprojekt in Angriff zu nehmen", so Stehr. "Die Fangquoten wurden so drastisch reduziert, dass wir sonst vor dem Ruin stehen würden." Davon abgesehen geht Stehr davon aus, dass spätestens ab dem Jahr 2050 sowieso kein traditioneller Fischfang mehr möglich sein wird. "Die Nachfrage steigt stetig an, die Bestände aber gehen bei allen Fischarten radikal zurück. Wo soll der ganze Fisch für die Menschen herkommen?"</p> <p class="MsoNormal">Als er vor 50 Jahren als junger Mann in Australien anlandete, im Fischerstädtchen Port Lincoln, musste er sich um solche Fragen nicht die geringste Sorge machen. Da war es eher Hagen Stehrs Familie in Deutschland, die äußerst besorgt war und nicht darauf zu hoffen wagte, dass aus ihrem Sprössling jemals etwas werden würde. Oft wussten seine Angehörigen nicht einmal, ob er überhaupt noch zu den Lebenden zählte. </p> <p class="MsoNormal">Der Junge war nämlich mit 17 Jahren aus seinem Zuhause in Salzgitter abgehauen, um in Brake bei Bremen auf die Kadettenschule zu gehen und dann in die Welt zu ziehen, auf einem Walfangschiff mit Reiseziel Antarktis. Zusammen mit Freunden machte er sich auf den Weg nach Amsterdam, wo die große Walfangflotte lag. "Doch wir kamen zu spät und hatten dann den dummen Gedanken, bei der Fremdenlegion anzuheuern", erzählt er. Über Marseille wurden sie nach Nordafrika verschifft, um nach einer 16-monatigen Grundausbildung für die Franzosen in Algerien zu kämpfen. </p> <p class="MsoNormal">Das war alles ganz undurchdacht, eigentlich ein einziger Wahnsinn. Als sich 1960 unter den jungen Leuten herumsprach, dass die Franzosen sich in Geheimverhandlungen mit der algerischen Regierung befanden, setzten sie sich von der Fremdenlegion ab, zwar versehen mit einer kennzeichnenden Tätowierung, aber ohne Papiere, die sie zurücklassen mussten. Hagen Stehr war nun ein Staatenloser, der durch die Länder zog und immer wieder auf Schiffen anheuerte, die er nach kurzer Zeit verließ. Länger als 30 Tage durfte er sich ohne Reisepass nirgends aufhalten und schließlich fasste ihn die australische Polizei in Port Lincoln und setzte ihn ins Gefängnis. Das war sein Glück.</p> <p class="MsoNormal">Die Australier suchten tatkräftige junge Leute. Unter der Bedingung, in den nächsten sechs Monaten nicht durch Alkoholgenuss aufzufallen, bekam er endlich wieder einen Ausweis. Eigentlich wollte der Weltumsegler gar nicht in dem gerade mal 14.000 Einwohner zählenden, verschlafenen Städtchen bleiben. Doch nahm man den Seemann gerne in die damals aufstrebende Thunfischfängerei auf. Und dann war da noch Anna, eine Gerichtsangestellte, die seine Frau wurde. "O - das alles ist schon ein halbes Jahrhundert her und ich bin immer noch hier, am besten Ort der Welt mit dem besten aller Berufe und der besten aller Frauen."</p> <p class="MsoNormal">Durch den Handel mit Fanglizenzen kam er zu Geld und kaufte sich sein erstes eigenes Schiff, dem das zweite und dritte folgte, bis er eine eigene Flotte zusammengestellt hatte, mit der er sich kampfeslustig in die Konkurrenz zu den anderen drei Fischereiunternehmen am Ort stützte. Zu Beginn der 1990er Jahre, als die Fischausbeute deutlich zurückging und die ersten Fangquoten für den Thunfisch festgesetzt wurden, schlossen sich die Unternehmer zusammen, sprachen die Fangrouten untereinander ab und suchten nach neuen Wegen, um der Nachfrage aus Japan gerecht werden zu können. Millionenschwere Investitionen würden sich lohnen, das war klar. Je knapper der Blauflossen-Thuna wurde, in desto schwindelerregendere Höhen stiegen die Preise für das feste, würzige Fleisch, aus dem in japanischen Restaurants Sushi- und Sashimi-Delikatessen bereitet werden. </p> <p class="MsoNormal">Hagen Stehrs neue Methode, nämlich Jungfische zu fangen, in riesigen Netzen vor die Küste zu schleppen und dort bis zum Schlachtgewicht zu füttern, erwies sich zwar als sehr nützlich, um weiterhin wertvolles Fleisch anbieten zu können - es wurde immer schwerer, prächtige Exemplare durch reinen Fischfang zu gewinnen - doch führte diese Art des Farmens natürlich nicht zu einer Verbesserung der Populationsdichte. Wofür er aber vom Time Magazin zum Entwickler der zweitwichtigsten Erfindung des Jahres 2009 ernannt wurde, war sein Anlage, in der er hochgezüchtete Blauflossen-Thunfische zum Laichen bringt.</p> <p class="MsoNormal">Dazu verfrachtet er die mit ihren fünf Lebensjahren nun geschlechtsreif gewordenen 200-Kilo-Kolosse per Hubschrauber an Land in ein 40 Meter langes und fünf Meter tiefes Bassin, das für die Tiere die ganze Welt bedeutet. Im Riesenbecken durchleben sie ihre Reise durch die Ozeane, sie schwimmen durch Wasser mit unterschiedlichen Temperaturen und Salzgehalten unter einem den Tageszeiten und wechselnden Sternbildern angepassten Himmel und ahnen nicht, dass es ein Computer ist, der ihnen vorgaukelt, sie bewegten sich mitten im Meer. Tatsächlich laichten die Fische Millionen und Abermillionen Eier. "Wir sind jetzt im dritten Jahr dabei", so Stehr. "Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass der Kreis geschlossen wird und unserer Nachwuchs seinerseits wieder Eier legt."</p> <p class="MsoNormal">Er ist dabei so optimistisch wie es ein geborener Selfmademan nur sein kann. "Ich halte es da mit meinem General Patton", sagt er. "Das Wort "cannot" ist aus meinem Vokabular ausradiert."</p> <p class="MsoNormal">Viele Preise hat er im Laufe seines Lebens erhalten, darunter einen, die den einst Staatenlosen besonders erfreut, die "Order of Australia"-Medaille, die ihn als "Australien Offizier" auszeichnet. Im April nun nahm er die Ehrendoktorwürde der Australischen University of the<span style=""> </span>Sunshine Coast entgegen. "Ich habe ja nicht viel an Ausbildung absolviert", meint er. "Aber man sieht wohl, dass solche Dinge sind nicht wichtig sind, wenn man an sich selbst glauben kann."</p>Cornelia Kurthhttp://www.blogger.com/profile/10343036437652966087noreply@blogger.com0