Donnerstag, 7. August 2014

Von Cornelia Kurth

Das Jagen muss eine Herausforderung sein

Ein Reh äst still auf der Waldlichtung. Ab und zu hebt es den Kopf, das wunderschöne, zierliche Tier, dann vergnügt es sich weiter an Kräutern und Gras. Alles scheint so friedlich zu sein, bis plötzlich ein Schuss fällt und das Reh tödlich getroffen zusammenbricht. Tierfreunden kommt so ein Szenario einfach nur schrecklich vor: Hier das arglose Tier, dort der Jäger auf dem Hochstand, der es unvermittelt aus dem Leben reißt. "Jeder anständige Jäger befragt sein Gewissen, ob der Abschuss, den er vorhat, wirklich nötig ist", sagt Tiermediziner Professor Heinrich Stahlhut-Klipp aus Niedernwöhren, ehemaliger Kreisjägermeister Schaumburgs. "Aber ein bisschen grausam ist es immer."
Trotzdem sollte man auch als mitfühlender Mensch nicht vorschnell urteilen: Das Bundesjagdgesetz fordert eine Tierschutzethik ein, von der in diesem Umfang beim Schlachtvieh in der Massentierhaltung kaum die Rede sein kann. "Wildfleisch von in Freiheit lebenden Tieren ist gesund und schmeckt hervorragend. Dennoch spielt es in unserer Ernährung keine große Rolle. Wir jagen ja heutzutage nicht mehr, um uns überlebenswichtige Nahrung zu beschaffen, sondern eher aus Umwelt-, Tier- und Landschaftsschutzgründen", so Heinrich Stahlhut-Klipp. Ob man es sich deshalb leisten kann, Jagdgesetze zu formulieren, die in einem erstaunlichen Maße das Wohl der Tiere des Waldes im Auge haben?
So wäre es doch sehr praktisch, wenn man das Wild an Futterstellen locken und es dort ohne große Mühe abschießen dürfte, und der Jagderfolg wäre auch garantiert, dürfte man externe Lichtquellen benutzen, um die Tiere dadurch anzulocken und vor die Flinte zu bekommen. Noch in der ehemaligen DDR standen für ausgewählte Personen riesige, eingezäunte Jagdgehege zur Verfügung, in denen der Wildbestand künstlich hochgehalten wurde, damit prächtige Gesellschaftsjagden abgehalten werden konnten, bei denen auch noch der ungeübteste Schütze zum erfolgreichen Jäger wurde. "Sowas wäre im Rahmen unserer Jagdgesetze vollkommen absurd", sagt Heinrich Stahlhut-Klipp. "Die Zeiten, als man das Jagen wie früher an den großen Fürstenhäusern als reinen Sport betreiben durfte, die sind zum Glück sowieso vorbei."
Er selbst, inzwischen 76 Jahre alt, nahm als Junge noch teil an den bäuerlichen Treibjagden auf Hasen und Kaninchen, wo die Kinder des Dorfes als Treiber eingesetzt wurden und zusammen mit Bauern und Jägern aus den gemeinschaftlichen Jagdbezirken ein großes Kesseltreiben veranstalteten. Die Kinder und Jugendlichen bekamen natürlich kein Gewehr in die Hand, dafür aber einen Stock, mit dem sie auf die Büsche schlugen, dabei "Has! Has!" ausrufend, damit die Hoppeltiere dann in Richtung der Schützen fliehen würden. Solche "Vorsteh-" und auch die "Kesseltreiben" lassen den einzelnen Hasen und Kaninchen kaum eine Chance zu entkommen und sie trugen dazu bei, den Bestand der Tiere erheblich zu vermindern.
Früher allerdings ging es dabei nicht nur um einen Hasenbraten, sondern auch darum, Wildschäden an jungen Bäumen, auf den Feldern und in den Gärten zu vermeiden. Inzwischen würde bei einer Treibjagd nicht mehr viel herauskommen. "Die Struktur in der Feldmark hat sich total geändert", erklärt der ehemalige Kreisjägermeister. "Feldhasen brauchen eine gegliederte Landschaft, nicht die riesigen Raps- und Maisfelder, wo sie keine geeignete Nahrung finden." Wirklich gefährdet sei das Überleben der Feldhasen zwar nicht, aber es gäbe eigentlich "keinen vernünftigen Grund" mehr, diese Tiere zu massenhaft zu bejagen, ganz abgesehen davon, dass man auf keinen Fall mehr Kinder bei einer Treibjagd zulassen würde. "Ich habe die Treibjagden sowieso nie gemocht", erzählt Heinrich Stahlhut-Klipp. "Schon als Kind hatte ich das Gefühl, es geht dabei nicht gerecht zu und ich fragte mich: 'Warum machen wir das?'"
Da erging es ihm nicht viel anders als dem Schriftsteller Ernst Wiechert (1887-1950), der in seinem autobiographischen Roman "Wälder und Menschen" davon erzählt, wie er in seiner Jugend als Sohn eines Förster, durch den Wald streifte, um zu jagen, was ihm vor die Flinte kam, erfüllt zunächst vom Stolz über jeden guten Schuss, bis sich wie von selbst eine Änderung in seinem Denken einstellte, ein Mitgefühl, das eigentlich schon in seiner Kindheit angelegt war, wo ihn ein Buch zutiefst beeindruckte, in dem er las, "wie dort ein Jäger einen Falken schießt, und der tote Vogel, herabgeschleudert aus seinem klagenden Schrei, stürzt in das Moos, und um diesen Sturz herum ist eine unsägliche Schwermut hoffnungsloser Liebe, trauriger Landschaft und unendlicher Sehnsucht."
Natürlich muss gejagt werden, um einen Wildbestand im Gleichgewicht zu halten, der, gäbe es keine menschlichen Jäger, von Raubtieren wie Wolf, Luchs oder Bären reguliert würde. Doch gilt für die Jagd das Tierschutzgesetz, nachdem kein Tier ohne vernünftigem Grund getötet werden darf. "Und die reine Freude an der Jagd ist längst kein 'vernünftiger Grund' mehr", so Heinrich Stahlhut-Klipp. "Das Ziel muss immer die Beute sein und der Anspruch, diese dann auch zu verwerten." Die Grundlagen für das heute gültige Bundesjagdgesetz wurden bereits im Jahr 1848 geschaffen, als die Frankfurter Nationalversammlung einen Grundrechtskatalog formulierte in dem es auch darum ging, dass nicht mehr allgemein die Fürsten, sondern die jeweiligen Grundbesitzer das Recht zum Jagen besitzen sollten. 1929 dann wurde mit der Preußischen Tier- und Pflanzenschutzverordnung endgültig das festgeschrieben, was man unter dem Stichwort "Waidgerechtigkeit" zusammenfassen kann: Einheitliche Jagdgesetze, die auch international als vorbildlich gelten.
"Waidgerechtigkeit, ja, das ist ein großes Wort, und ich staune immer noch, dass man diesen nicht einfach zu fassen Moralbegriff tatsächlich in ein Gesetz aufgenommen hat", meint Heinrich Stahlhut-Klipp. "Waidgerecht zu handeln, bedeutet, ein 'anständiger" Jäger zu sein, und natürlich wandelt sich die Auffassung dessen, was 'Anstand' bedeutet, mit der Zeit." Trotzdem kann man die Maxime der jägerlichen "Anständigkeit" durchaus auf den Punkt bringen: Dem Tier kein Leid zuzufügen. "Das klingt für den Laien vielleicht etwas eigenartiges", sagt er. "Schließlich schießen und töten wir ja." Doch habe der Anspruch, ein Tier nicht leiden zu lassen, eine ganze Reihe Verhaltensvorschriften zur Konsequenz, die zusammen tatsächlich eine "Ethik der Jagd" ergeben.
An erster Stelle mag da stehen, dass man nur schießen soll, wenn man sich sicher ist, auch gut treffen zu können. "Ein 'mal sehen, ob es vielleicht klappt' kommt nicht in Frage!", so Helmut Stahlhut-Klipp. Dass man ein Tier dann vielleicht trotzdem nur verletzt, kann vorkommen, und auch dafür gibt es klare Regeln. Ohne ausgebildeten Jagdhund darf man sich beim Anstand auf Wildscheine, Rehe oder Rotwild gar nicht erst begeben, es sei denn, in Ausnahmefällen, man könnte sofort einen Schweißhund-Besitzer zur Hilfe rufen, mit dessen Unterstützung man sich auf die Suche nach dem verwundeten Tier macht, so lange, bis man es gefunden hat.
Dabei ist es, trotz der eigentlich praktischen breiten Streuung, auch streng verboten, mit Schrottmunition auf das Rehwild zu schießen. Eigentlich soll jeder Schuss gleich tödlich sein, und damit das möglichst gut gewährleistet ist, gehen noch unerfahrene Jäger nicht allein auf die Jagd, ist der Zustand der Waffe regelmäßig zu prüfen, darf nicht mit Pistolen, Revolvern oder aus dem fahrenden Auto geschossen werden, und Fallen, gar Gift kommen eh nicht in Frage. Auf der anderen Seite darf die Jagd, so treffsicher es dank moderner Technik dabei zugehen könnte, niemals zum reinen Schießen auf lebendige Ziele verkommen. Auch muss jedes Tier vor dem Schuss "angesprochen" werden, das heißt, der Jäger muss beurteilt haben, ob es tatsächlich ein würdiges Ziel ist. Ist außerhalb der Schonzeit eine Ricke mit Kitz unterwegs, hat man immer zuerst das Kitz zu erledigen und dann das Muttertier.
"Und schließlich", so Helmut Stahlhut-Klipp, "für einen anständigen Jäger muss das Jagen eine Herausforderung sein! Das Anpirschen gegen den Wind, das Überlisten, all das gehört dazu. Sonst könnten wir ja gleich in ein Gatter gehen und Schießbuden-Schießen abhalten." Sollte einem Jäger mal ein Fehler unterlaufen sein, etwa, dass er ein verwundetes Tier nicht finden konnte, oder dass er ein zu junges Wild erlegte, dann muss er es vor seinen Kollegen eingestehen. "Alles andere wäre unter der Würde."


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