Mittwoch, 13. März 2013

Töten, leiden und sterben im PC-Spiel - Lara Croft

Von Cornelia Kurth


Da ist eine junge Forscherin, fast noch ein Mädchen. Sie begibt sich hoffnungsfroh auf ihre erste große Reise, doch das Schiff geht unter und sie strandet allein auf einer abgelegenen Insel. Was dann beginnt, mag man unbedingt "Abenteuer" nennen, doch zugleich ist es ein so ungeheuer fordernder Kampf ums Überleben, dass man all das, was dem Mädchen geschieht und was es tut, um dem Tod zu entgehen, auch als "Martyrium" bezeichnen mag, der Weg eines "unschuldigen" Mädchens durch Schmerz, Blut, Leiden und Tränen hin zur abgehärteten Kämpferin, die viele als "Lara Croft" kennen.
Die Rede ist vom PC-Spiel Tomb Raider, das gerade herauskam, weltweit hunderttausende Spieler in seinen Bann zieht und das (für etwas sensiblere Gemüter bis fast an die Grenze des Erträglichen) richtiggehend zelebriert, was in den meisten PC-Spielen im Mittelpunkt steht: das Kämpfen auf Leben und Tod, das Töten in unterschiedlichsten Variationen und auch das eigene Sterben, wenn man sich ungeschickt anstellte, eindrucksvoll in Szene gesetzt in umwerfender Grafik. Es ist einerseits so, als sähe man einen Film, andererseits aber steuert man als Spieler und Co-Regisseur des Geschehens die junge Heldin per Tastendruck und ist also unmittelbar dafür verantwortlich, ob sie sich gegen üble Banditen und Ungeheuer durchschlagen kann, oder ob sie in eine Schlucht stürzt, schwer verwundet wird, von Pfeilen durchbohrt, in Schlingen aufgehängt, von Spießen aufgespießt.

Und sie stöhnt und weint mit mädchenhafter Stimme, sie zittert und blutet, sie will erst nicht töten, muss es aber tun. Sie schneidet Kehlen durch und jagt ihre Gegner mit Granaten in die Luft, sie darf kein Mitleid kennen, dem Feind nie vertrauen, sie muss grausige Höhlen durchwandern, um neue Waffen zu finden und niemals gibt es einen Weg zurück, immer nur voran, der Gefahr und Mord und Totschlag entgegen. Einzige Atempause findet sie an ihrem einsamen Lager, am nächtlichen Lagerfeuer, wo sie neue Pläne schmiedet, ihre Waffen und Ausrüstung komplettiert und ihre Verzweiflung durch innere Abhärtung zu besiegen versucht. "Es ist ein ganz großartiges Spiel, das ich wie besessen in einem Stück durchspielte", sagt Maik Leipold, Fachberater auch in Sachen PC- und Konsolenspiele in der Rintelner Filiale des Technikmarktes "Expert". "Selten kann man sich so sehr und so mitgerissen mit einer Spielfigur und ihrer Entwicklung identifizieren."

Doch was passiert denn da? Was passiert überhaupt in solchen Spielen, wo man sich mit dem "Helden" in eine Welt begibt, in der man ständig kämpfen und töten muss, sei es mit Bogen und Schwert, sei es mit modernen Schusswaffen oder indem man gleich ganze Armeen gegeneinander aufhetzt. Menschen, die solche Spiele nicht spielen, sind oft einfach nur abgestoßen oder geschockt, wenn sie von diesen Gewaltorgien hören, nicht zuletzt Eltern, deren Teenagerkinder ihre Zeit mit Kriegsspielen oder Ego-Shootern verbringen und dabei unzählige Gegner auf mehr oder weniger brutale Weise in Jenseits befördern. "Tötet" man in einem auch nur irgendwie realistischem Sinn, wenn man die Feinde im Spiel abmetzelt? Ist die halbe Nation auf eine Weise verroht und abgebrüht, wie Lara Croft es am Ende ihres Weges ist?
Fragt man so was in Spielerkreisen, wird das überwiegend und mit einem nachsichtigen Lachen entschieden verneint. "Wie soll man denn Pixelbilder töten?", heißt es, oder: "Das Ganze ist ein Spiel, nichts als ein Spiel, wie früher 'Cowboy und Indianer'", oder: "Ob man Moorhühner abschießt oder Pacman kleine süße Monster frisst, das ist doch auch nichts anderes".
Jeder, der Erfahrung mit Computerspielen hat und sich mit dem, was er da treibt, auseinandersetzt, wird allerdings wissen, dass es ganz so einfach nicht ist. Natürlich kann man Pixel nicht töten, und wenn man seinen Helden gerade mit einem Zweihänder mitten unter die Banditen schickt, damit er ihnen den Garaus mache, ja selbst, wenn es einem gefiel, die unschuldige Einwohnerschaft eines Dorfes einfach so umzulegen, so hat man in Wirklichkeit nichts Böses getan, genauso wenig, wie ein Kind, das einem anderem zuruft: "Peng, du bist tot!"

Und doch gibt es ganz unterschiedliche Spiele, in denen das ewige Kämpfen und Töten sich emotional gesehen kaum miteinander vergleichen lässt. Ein Spieler, der den Ego-Shooter "Counter-Strike" oder das Kriegspiel "Call of Duty" spielt, er bewegt sich zwar durch (bürger-)kriegsähnliche Szenerien von manchmal überwältigender graphischer Realitäts-Dichte, doch sind beim Erledigen der Gegner, das belegen unzählige Selbstaussagen, kaum mehr Emotionen im Spiel, als würde er tatsächlich nur Moorhühner aus dem Weg räumen. Ein Jugendlicher dagegen, der im Alltagsleben-Simulationsspiel "Die Sims" eines seiner Geschöpfe ins Schwimmbecken schickt und dann die Leiter zum Aussteigen entfernt, er kann mit geradezu sadistischer Freude zusehen, wie etwa die Sims-Mutter schwächer und schwächer wird, bis sie ertrinkend untergeht.
Auch Strategiespiele wie das beliebte "Warcraft", in dem man als Kriegsherr seine Armeen ins Feld führt, um gegnerische Armeen zu vernichten, sie verzeichnen zwar in jeder Runde Hunderte von Toten, doch rührt die Spieler dabei nur, ob sie gewinnen oder verlieren, nicht anders, als wenn ein Schachspieler seine Bauern opfert. In einem mittelalterlichen Rollenspiel wie "The Witcher" aber, wo man vor die Entscheidung gestellt wird, ob ein Gefangener gegen sein Flehen getötet wird, damit man andere retten kann, liegt einem die Last dieses Todes durchaus als Schuld auf der Seele.

"Es ist doch so, dass es kaum noch erfolgreiche Spiele gibt, in denen es nicht ums Töten geht", so Maik Leipold. "Ich denke schon, dass die Spiele dazu dienen, alltägliche Aggressionen abzubauen und sich einfach mal abzureagieren, ohne dabei anderen zu schaden oder Geschirr an die Wand zu werfen." Im klassischen deutschen Rollenspiel "Gothic" sagt der Held dann, wenn er mal wieder eines der Monster aus dem Wald besiegte, triumphierend: "Ein Mistvieh weniger!" und kreierte damit einen in der Szene höchst beliebten Insider-Spruch. "Auch "dir hau ich volles Pfund aufs Maul" ist so ein Spruch geworden, und keiner der Spieler vergisst, wie gut es tat, einem zunächst übermächtigen Pixel-Miesling dann tatsächlich eins aufs Maul zu geben, ohne dass er vorhatte, das demnächst auch im wirklichen Leben so zu handhaben.
Es gibt allerdings auch Computerspiele, in denen das Blutvergießen nicht Mittel zum Zweck ist, wie in den Kriegs-, Strategie- und Rollenspielen, sondern ein Zweck an sich: Nur noch Morden von Figuren, die überhaupt nur dafür existieren, dass sie im wahnsinnigen Blutrausch auf möglichst realistisch-schaurige Weise abgeschlachtet werden. Die meisten davon stehen auf dem Index und dürfen nicht innerhalb des normalen Spiele-Angebots verkauft werden. "Aber auch so fragen viele Kunden nach wirklich harten Spielen", sagt Christian Then, Fachberater für PCs und Konsolen im "Media Markt" Hameln. "Je schlimmer und brutaler, desto besser". Maik Leipold bestätigt diese Tendenz. "Das liegt daran, dass die wenigsten Leute sich wirklich mit einer Geschichte identifizieren. Sie wollen einfach drauflos ballern. Die meisten Spiele werden ja online mit anderen Spielern gespielt, und dann amüsiert man sich, je mehr abgetrennte Glieder durch die Luft fliegen oder Blutfontänen spitzen."
Die Grausamkeiten in "Tomb Raider" haben mit solchem Stumpfsinn allerdings wenig zu tun.

"Lara Croft erlebt eine Geschichte und wir erleben sie mit ihr", erklärt Leipold. "Man versteht nach diesem Spiel, wie sie zu der berühmten Figur werden konnte, die wir aus den Vorgängerspielen kennen. Es gibt nur ganz wenige Spiele, in denen auch die Spielfigur so viel mitmachen muss wie Lara. Das Leiden, die Hilflosigkeit des Mädchens, und wie sie sich daraus erhebt und wie das Töten für sie auf eine irgendwie tragische Weise etwas ganz Normales wird - mich hat das ungeheuer beeindruckt."
Und nicht nur ihn, sondern unzählige Spieler auf der ganzen Welt. Als wenn dabei etwas archaisch Menschliches seinen Ausdruck findet, nämlich der Wunsch, aus anfänglicher und tief empfundener Unterlegenheit zum unbesiegbaren Helden zu werden, dabei gerechtfertigt durch Schweiß, Blut und Tränen. Bücher bestehen aus Buchstaben und Computerspiele aus Pixeln. Ob und wie intensiv man daraus eine Geschichte erwachsen lässt, aus der man seltsam gestärkt hervorgehen kann, liegt am Einzelnen. (Ich selbst übrigens habe mir nur Videos zum Spiel angesehen, mir geht hier die Identifikation mit Martyrium und Berserkertum zu weit, zu nah.)

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