Mittwoch, 6. März 2013

Die Hexenverfolgung in Rinteln

Cornelia Kurth

Der 30jährige Krieg und die große Pest, sie hatten im 17. Jahrhundert dazu geführt, dass es in Rinteln kaum mehr als 1100 Einwohner gab, die Kinder mitgezählt. Was für ein bedrückender Gedanke, dass von diesen wenigen Bürgern nach und nach insgesamt 36 Frauen und drei Männer zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden, weil es als erwiesen galt, dass sie auf hexerische Weise mit dem Teufel im Bunde standen. "Das war immer ein Riesenspektakel", sagt Angelika Bödecker, die selbst eine Art Hexe ist, allerdings nur im Spiel, wenn sie Rinteln-Besucher auf eine historische Stadtführung mitnimmt. "Mitleid für die Verurteilten gab es kaum, auch nicht angesichts der grausamen Hinrichtungsart. Die Hexen waren böse, taten Böses, und das Böse musste vernichtet werden."

Bevor die "Hexen" an einen Pfahl auf dem Scheiterhaufen gebunden den öffentlichen Feuertod erleiden mussten, oft von Schmährufen der Zuschauer begleitet, hatten sie einen langen Leidensweg zu durchschreiten. Das letzte Stück davon führte sie durch die Gassen der Stadt, wenn sie aus dem Hexengefängnis unter der hinteren Treppe des Rathauses hervorgeholt und auf einen Karren verladen wurden, der nach oben hin geschlossen war, damit sie nicht in letzter Sekunde entflohen - Hexen können ja, das wussten alle, fliegen. Aus der Stadt heraus über die hölzerne Weserbrücke ratterte der von Henker und Bevölkerung begleitete Karren, um entweder am heutigen Weseranger Halt zu machen, oder am ehemaligen "Galgenfeld", wo jetzt das Betonwerk Scheidt angesiedelt ist.

Geistlicher Trost war für die Frauen kaum zu haben. Zwar gab des damals den protestantischen Magister Wilhelmi, Prediger in der Nikolaikirche, der die Angeklagten in ihrem Gefängnis aufsuchte. Wer aber auf Beistand gehofft hatte, sah sich einem Mann gegenüber, den die gestrengen Juristen von der Universität "Ernestina" beauftragt hatten, Geständnisse anzubringen, speziell von Angeklagten, die bisher der Folter widerstanden hatten. Ohne ein Geständnis durfte niemand hingerichtet werden, soweit war die Rechtsprechung immerhin. Magister Wilhelmi konnte sich rühmen, schließlich immer ein Geständnis zu erlangen.

Und wer weiß, vielleicht war das noch besser für die Angeklagten, als wieder und wieder dem "Peinlichen Halsgericht" übergeben zu werden, der Folter, die oben im Rathaussaal vom Henker und seinen Knechten durchgeführt wurde, und die von Mal zu Mal heftiger ausfiel, stellte sie doch in den Augen der Gerichtsbarkeit ein "Mittel zur Wahrheitsfindung" dar, ganz so, wie es in Schriften wie dem "Hexenhammer" dargelegt wurde und wie es auch der damals berühmte Jura-Professor und Hexentheoretiker Hermann Goehausen von der "Ernestina" lehrte und in seinen Schriften vertrat. Sterben sollten die Gefolterten nicht, auch wenn das manchmal aus Versehen geschah. Sie sollten endlich gestehen, damit die Angelegenheit mit dem Feuer zuendegebracht werden konnte.

Dass man sich so sicher war, die Frauen, um die es ging, seien wirklich Hexen, so sehr sie es auch leugneten, es hing auch damit zusammen, dass es in Rinteln damals noch die "Wasserprobe" gab (auch wenn die von der katholischen Kirche bereits im 13. Jahrhundert verboten worden war). Der maßgebliche Professor Goehausen nämlich war der Überzeugung, dass die "kalte Wasserprobe" legitim und zuverlässig sei, dergestalt, dass eine der Hexerei verdächtige Person, überkreuz an Händen und Füßen zusammengebunden und dann ins Wasser geworfen, nicht untergehen werde, wenn sie wirklich eine Hexe war. Wasser ist rein und werde nichts Unreines aufnehmen, so die zugrundeliegende Auffassung.

Zwar galt das Ergebnis der Wasserprobe nicht als endgültiger Beweis, wohl aber als hartes Indiz im Prozess. Lange hieß es, die beiden Teiche nahe der Arensburg seien "Hexenteiche" gewesen, doch konnte Angelika Bödecker, die sich intensiv mit der Quellenlage beschäftigte, keinen Beleg dafür finden und meint, die Wasserproben seien wohl einfach an der Weser durchgeführt worden. Tatsache ist: Die wenigsten Frauen gingen tatsächlich unter. Das lag zum einen daran, dass sie mehrere dicke Röcke übereinander trugen, deren Luftschichten sie über Wasser hielten, zum anderen auch an dem Umstand, dass die Henker nur dann für seine Arbeit bezahlt wurden, wenn sich die Frau als Hexe erwies.

So nutzen sie meistens nur ein kurzes Seil, an dem die Frauen wieder herausgezogen wurden, und sie beeilten sich damit, falls jemand unterzugehen drohte. Ebenso wenig wie bei der Folter, sollte die Angeklagten bereits bei der Wasserprobe sterben. Doch nicht immer gelang es, die Untergegangenen rechtzeitig vor dem Ertrinken an Land zu ziehen. Oben an der Schaumburg steht ein alter Baum, die sogenannte "Hexenlinde". Man kann sie als eine Art Denkmal ansehen, zur Erinnerung an eine junge Frau, die dort, bevor sie auf die Probe gestellt werden sollte, einen Lindenzweig in die Erde steckte mit den Worten: "So wahr diese Linde grünen wird, so wahr bin ich keine Hexe". Die Frau ertrank, was für ihre Unschuld sprach, und tatsächlich ergrünte im nächsten Jahr auch ein neues Lindenbäumlein. Wenigstens hatte sie ein "ehrliches" Begräbnis bekommen, etwas, das Kriminellen verweigert wurde.

Aus heutiger Sicht kann man nur staunen, wie irrational die Beweisführungen in den Hexenprozessen abliefen, staunen auch deshalb, weil praktisch jede Frau in die Situation kommen konnte, der Hexerei beschuldigt zu werden. 125 dokumentierte Beschuldigungen gibt es aus der Rintelner Zeit des 17. Jahrhunderts, wackeren Bürgermeistern war es zu verdanken, dass es nur bei einem Drittel von ihnen dann wirklich zu einer Anklage kam. Neun erhaltene Protokolle geben einen Einblick, welchen Anwürfen sich angebliche Hexen zu stellen hatten: Eine Lucie Kunschopper zum Beispiel, der man vorwarf, ihr eigenes Kind mit einem Apfel vergiftet zu haben, soll außerdem auch Kühe und Schweine in der Nachbarschaft vergiftet und sich schließlich mit Absicht die Zunge abgebissen haben, damit sie den Teufel nicht verrate. Je mehr Bürger befragt werden, desto mehr Vergehen sammeln sich an, die, wenn sie sich nicht unmittelbar beweisen ließen, eben schon 15 oder 20 Jahre zurücklagen. Lucie Kunschopper hatte keine Chance und starb unter der Folter.

Wer die Folter nun aber bis zu dem so gut wie nie ausbleibenden Geständnis überlebte, mit Wunden, die vom Henker höchstpersönlich verbunden und gepflegt wurden, dem stand nun das "Galgenfeld" bevor. Hinweg mussten die Hexen, da gab es keine Gnade. Bestenfalls erbarmte sich ein Henker oder ließ sich von Angehörigen bestechen, dass er die arme Frau am Pfahl erwürgte, bevor sie ein Opfer der Flammen wurde. Ein anderer Tod als der auf dem Scheiterhaufen wäre nicht in Frage gekommen, um das Böse wirksam zu vernichten. Die Asche der Verbrannten wurde auf dem Feld verstreut, auf dass nichts und niemand an sie erinnern würde. Wenigstens das ist den Richtern und den Henkern nicht gelungen.

Zur Ehrenrettung Rinteln sei noch angemerkt, dass der Buchdrucker Peter Lucius im Jahr 1631 das wohl berühmteste Buch gegen die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung druckte, Friedrich von Spees "Cautio criminalis". Unter der Folter, so heißt es darin, würde jeder, gar der König selbst, zugeben, dass er mit dem Teufel im Bunde sei. Diese aufklärerische Schrift diente auch anderen Gegnern der Hexenprozesse als Argumentationsbasis und veranlasste eine Reihe von deutschen Fürsten, die Hexenjagden einzustellen zu lassen.

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