Mittwoch, 6. März 2013

Kinder sehen Pornos

Cornelia Kurth

Dass die meisten Jugendlichen spätestens mit 13 oder 14 Jahren ihren ersten Porno gesehen haben, ist keine Frage. Jeder, der Zugang zum Internet hat und sich zum Beispiel auf Seiten mit den beliebten kleinen Flashgames umsieht, stößt dabei auf ziemlich drastische Bilder und auf Links, die zu weiteren einschlägigen Seiten führen. Außerdem braucht man nur neugierig das Stichwort "Porno" in eine Suchmaschine einzugeben und landet dann sofort bei kostenlos verfügbaren Videoclips mit Sex in allen nur denkbaren Spielarten. Doch obwohl von den Medien bereits der reißerische Begriff "Generation Porno" geprägt wurde, gibt es - anders als beim Thema "Mobbing" etwa - kaum Angebote in Schule, Jugendzentren oder Beratungsstellen, bei denen es explizit um den Umgang mit Pornos geht.

"Was ist denn an Pornos nun so schlimm?", das habe, ziemlich aufgeregt, ein Hauptschüler aus einer 9. Klasse gefragt während einer Veranstaltung, bei der es darum ging, wie man sich auf verantwortliche Weise im Internet bewegen sollte, erzählt Sozialpädagoge Moritz Becker (35), der regelmäßig die Schulen in den Landkreisen Schaumburg und Hameln/Pyrmont besucht, um mit den Schülern über das Internet zu sprechen und Fragen aller Art zu beantworten. Der Junge habe energisch auf einer Antwort bestanden, während die Klassenkameraden sich mit Wortmeldungen zurückhielten. Beckers Rückmeldung an den Schüler: "Das Problem besteht wohl darin, viele Pornos zu kennen und dabei noch gar keine eigenen Erfahrungen zu haben. Dann denkt man, was die Pornos zeigen, sei der normale Sex. Ist es aber nicht."

Wenn er so mit den Jugendlichen rede, breite sich immer spürbar Erleichterung aus, vor allem bei den Mädchen. "Kein Wunder", sagt er. "Die Jungs denken oft, sie müssten sich bei den Mädchen als Meister des Sex profilieren, während die Mädchen manchmal schlicht Angst davor haben, dass die Jungs Sachen von ihnen wollen, wie sie in den Pornos zu sehen sind." Theoretisch wüssten die meisten ja, dass ein Unterschied besteht zwischen Pornofilmen und der Wirklichkeit. "Aber sie sind trotzdem verunsichert. Die große Verfügbarkeit von Pornos geht leider einher mit einer gewissen Verklemmtheit der Erwachsenen, die sich um klärende Gespräche eher drücken."
Tatsache ist - das erwiesen telefonische Anfragen bei Jugendinstitutionen des Landkreises - dass das Thema Porno, so präsent es einerseits im Leben Jugendlicher ist, andererseits kaum zur Sprache kommt. Weder beim Kinderschutzbund noch in den Jugendzentren steht es zur Debatte. "Ich wüsste nicht, dass jemals Eltern oder Kinder von sich aus auf das Thema 'Porno' gekommen wären", sagt etwa Claudia Frevert-Fricke aus der Beratungsstelle des Familienzentrums in Rinteln. Auch im Hamelner Kinder- und Jugendtreff bestand nie ein konkreter Anlass, über Erfahrungen und Fragen rund um den Pornokonsum zu sprechen, und Kreisjugendpfleger Claus Dieter Kauert weiß, dass die Jugendlichen, wenn überhaupt, beiläufig sagen, so schlimm sei es mit den Pornos gar nicht.

Eberhard Bachmann, Fachobmann für Biologie am Gymnasium Ernestinum in Rinteln erklärt, warum das Thema "Umgang mit Pornos" in den Schulen kaum eine Rolle spielt. "Die Korrektur pornographischer Inhalte steht schlicht nicht auf dem Lehrplan", sagt er. In den 6. Klassen gäbe es eine Unterrichtseinheit über den Zugang zum eigenen Körper. "Da einigen wir uns auf zuerst immer auf eine angemessene Sprache, auf eine sachliche Benennung der Körperteile - mit Gesprächen über Pornos hat das natürlich nichts zu tun, und wenn man das wollte, müsste man das zunächst mal mit den Eltern absprechen", so Bachmann.
In der 9. Klasse dann gehe es vor allem um Methoden der Verhütung und durchaus auch um solche Fragen wie die, ob auch Frauen eine Ejakulation haben können. Pornos aber würden von den Schülern so gut wie nie von selbst angesprochen. "Ich muss sagen, dass wir an unserer Schule nichts von 'Generation Porno' merken, es gibt eigentliche keine Situation, in der man denken würde, dass hier mal etwas grundlegend richtiggestellt werden müsse."

Trotzdem besteht kein Zweifel daran - das zeigen auch Studien wie die Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2010 - dass kaum ein Jugendlicher nicht schon den drei Klicks hin zu einer Pornoseite im Internet gefolgt ist, und dass mindestens ein Drittel aller 15jährigen Jungen regelmäßig einmal bis mehrmals die Woche Pornos konsumieren. Die jüngeren oder gleichaltrigen Mädchen kennen ebenfalls Pornos, auch wenn man in den meisten Studien davon ausgeht, dass sie insgesamt wesentlich weniger interessiert seien als die Jungs.
"Also, ich sehe mir auf jeden Fall manchmal Pornos an, und meine Freundinnen auch", sagt Maren (14), Realschülerin aus Bückeburg. "Es ist lustig, wir lachen uns dann schlapp und machen uns lustig über die Männer. Meine beste Freundin allerdings meint, dass sie gar nicht aufhören kann, Pornos zu gucken, dass sie irgendwas immer wieder dahin zieht. Das kann ich nicht verstehen."

Und Matthias (18) aus Rinteln erzählt: "Ich hab mit 12 meinen ersten Pornos nachts im Fernsehen angeguckt, und dann auch über Werbe-Clicks im Internet. Das waren eher Softpornos, ich fand das sehr interessant, ich war einfach total neugierig. Es ging dabei gar nicht so sehr um sexuelle Gefühle, das kam erst später, als ich schon älter war. Abgestoßen oder geschockt haben mich die Pornos eigentlich nie, auch nicht die harten Pornos, vielleicht deshalb, weil ich schon früh aufgeklärt war. Es gab ein paar Wochen, da sah ich mir sehr oft Pornofilme an, aber das war nur so eine Phase. Jetzt interessieren sie mich nicht mehr sonderlich."
Auch Moritz Becker - er betreibt unter anderem die Internetseite "smiley.eV" des Vereins zur Förderung der Medienkompetenz" - er bekommt bei seinen Veranstaltungen mit, dass viele Jugendliche Pornos oft einfach absurd und komisch finden, wie eine Art Slapstick. Doch andererseits ergäben sich häufig gerade in den Pausengespräche ganz andere Unterhaltungen mit einzelnen Schülern.

Da muss er dann erklären, dass Analverkehr keineswegs ein sexueller Standard ist, den jeder Junge beherrschen müsse, sondern eine hohe Kunst für Menschen mit viel Erfahrung; dass auch er niemals im Leben zwei Stunden Dauersex und unzählige Orgasmen hintereinander durchstehen würde, die Filme würden zusammengeschnitten, die Darsteller Viagra nehmen, um sowas durchzuhalten; und dass seine Frau ihn garantiert schon längst in die Wüste geschickt hätte, wenn er mit ihr hätte Pornos nachstellen wollen. "Immer geht es darum, noch mal klar zu bestätigen, dass Pornos ein verzerrtes Bild der Realität darstellen, eine Fiktion, sexuelle Fantasien, und nicht ein Vorbild sind für das, was in der realen Sexualität Sache sein soll."
Wo diese Unsicherheit vorherrsche und man nie einen Erwachsenen, den man als Vorbild anerkennt, richtig fragen könne, würde die natürliche Neugier auf alles Sexuelle ziemlich belastet, vor allem bei den Mädchen, wenn sie auf Pornos stoßen, in denen die Frauen willige, passive Objekte für rücksichtslose Geschlechtsakte darstellen, an denen in ihren Augen wenig Reizvolles ist. "Wer weiß, ob nicht die Zahlen, die belegen, dass der erste Geschlechtsverkehr gerade bei Mädchen immer später stattfindet, und auch das sich verstärkende Ideal, bis zur Ehe Jungfrau zu bleiben, ob das nicht aus einer Angst vor möglicherweise eher brutalem Sex heraus entsteht." Auch Jungs hätten durchaus Angst, weil sie nicht wissen, was die Mädchen wirklich wollen und ob sie gleich aufs Ganze gehen müssten, von dem sie doch noch keine echte Ahnung haben.

"Ich sehe schon eine Gefahr in dieser teilweise undurchschaubaren Mischung aus Fiktion und Realität", sagt er. "Pornos wirken im ersten Moment so echt wie die sogenannten Doku-Soaps oder Dieter Bohlens 'Deutschland sucht den Superstar'. Doch wenn man bewusst macht, dass Dieter Bohlen keineswegs aus dem Stehgreif seine gemeinen Witze produziert, sondern dass er Sprücheschreiber hat und Regisseure, die das Spektakel bis ins Letzte inszenieren, dann werden solche Dinge entthront. Man kann dann besser verstehen, wo einfach nur eine Rolle gespielt wird, die man doch in Wirklichkeit niemals übernehmen wollen würde."


1 Kommentar:

Hannes hat gesagt…

Sehr gut und vor allem wichtiger Artikel. Es ist wahr, dass die Jugendlichen immer früher einen Porno zu Gesicht bekommen. Leider klärt niemand über diese auf. Einige wissen zwar, dass Pornos nicht der Realität entprechen, aber das trifft sicherlich nicht auf alle zu. In der beschriebenen Gesprächsrunde hat man das schließlich gemerkt. Mädchen als auch Jungen wird eindeutig ein falsches Bild der Sexualität gezeigt. Die Mädchen dürfen von den Jungen nicht einfach als Sexobjekte angesehen werden. Ihnen muss klargemacht werden, dass die Sexualität mehr birgt bzw. anders aussieht, als sie in den Pornos gezeigt wird.
Prof. Dr. Harri Wettstein nimmt übrigens auch Stellung zu diesem Thema und bietet mit seiner Pornoforschung eine umfassende Sexualaufklärung zu diesem Thema.