Sonntag, 16. Januar 2011

Hagen Stehr - Thunfische und eine Revolution in der Zucht

Von Cornelia Kurth

Zwei Bücher liegen immer am Bett des australischen Thunfischzüchters und Multimillionärs Hagen Stehr. Das eine ist die Bibel. "Die lese ich in den guten Tagen", sagt er. "Aus Dankbarkeit!" Das andere ist eines, von dem er meint, er sei der einzige Mensch in ganz Australien, der es überhaupt besitzt, nämlich die Memoiren des Generals George S. Patton, dem schillernden Helden des Zweiten Weltkriegs, der durch Mut und eiserne Disziplin entscheidend zum Sieg der Alliierten beitrug. "Der Mann hat etwas geschafft, genau wie ich. Wenn es mir schlecht geht, dann macht er mir Mut."

In den letzten Monaten hatte er durchaus Anlass, im Buch des Generals zu blättern. "Heute ein guter Plan ist besser als morgen ein perfekter Plan", oder "Tapfer ist, wer von seiner Furcht keine Notiz nimmt" - solche Zitate passen gut, wenn man wie Hagen Stehr inzwischen 50 Millionen Dollar investiert hat in ein Projekt, das, davon ist er überzeugt, die Zukunft des Fischereigewerbes absichern wird, ohne dabei die Meere weiterhin auszuplündern. Er züchtet den Southern Bluefin Thuna. Das ist der vor allem bei den Japanern geradezu fanatisch begehrte und vom Überfischen in seiner Existenz bedrohte Blauflossen-Thunfisch. Ihn in der Gefangenschaft zum Laichen zu bringen und die Jungfische dann auch noch erfolgreich zu ihrem gewaltigen Körpergewicht von etwa 200 Kilo aufzupäppeln galt lange als vollkommen unmöglich, ist der Bluefin Thuna doch ein praktisch unzähmbarer Wanderfisch, der auf seinen Reisen durch den südlichen Atlantik, den indischen Ozean und den Pazifik in rasender Geschwindigkeit Zehntausende Kilometer zurücklegt, bevor er die Geschlechtsreife erlangt.

"Uns blieb aber gar nichts anderes übrig, als unser Zuchtprojekt in Angriff zu nehmen", so Stehr. "Die Fangquoten wurden so drastisch reduziert, dass wir sonst vor dem Ruin stehen würden." Davon abgesehen geht Stehr davon aus, dass spätestens ab dem Jahr 2050 sowieso kein traditioneller Fischfang mehr möglich sein wird. "Die Nachfrage steigt stetig an, die Bestände aber gehen bei allen Fischarten radikal zurück. Wo soll der ganze Fisch für die Menschen herkommen?"

Als er vor 50 Jahren als junger Mann in Australien anlandete, im Fischerstädtchen Port Lincoln, musste er sich um solche Fragen nicht die geringste Sorge machen. Da war es eher Hagen Stehrs Familie in Deutschland, die äußerst besorgt war und nicht darauf zu hoffen wagte, dass aus ihrem Sprössling jemals etwas werden würde. Oft wussten seine Angehörigen nicht einmal, ob er überhaupt noch zu den Lebenden zählte.

Der Junge war nämlich mit 17 Jahren aus seinem Zuhause in Salzgitter abgehauen, um in Brake bei Bremen auf die Kadettenschule zu gehen und dann in die Welt zu ziehen, auf einem Walfangschiff mit Reiseziel Antarktis. Zusammen mit Freunden machte er sich auf den Weg nach Amsterdam, wo die große Walfangflotte lag. "Doch wir kamen zu spät und hatten dann den dummen Gedanken, bei der Fremdenlegion anzuheuern", erzählt er. Über Marseille wurden sie nach Nordafrika verschifft, um nach einer 16-monatigen Grundausbildung für die Franzosen in Algerien zu kämpfen.

Das war alles ganz undurchdacht, eigentlich ein einziger Wahnsinn. Als sich 1960 unter den jungen Leuten herumsprach, dass die Franzosen sich in Geheimverhandlungen mit der algerischen Regierung befanden, setzten sie sich von der Fremdenlegion ab, zwar versehen mit einer kennzeichnenden Tätowierung, aber ohne Papiere, die sie zurücklassen mussten. Hagen Stehr war nun ein Staatenloser, der durch die Länder zog und immer wieder auf Schiffen anheuerte, die er nach kurzer Zeit verließ. Länger als 30 Tage durfte er sich ohne Reisepass nirgends aufhalten und schließlich fasste ihn die australische Polizei in Port Lincoln und setzte ihn ins Gefängnis. Das war sein Glück.

Die Australier suchten tatkräftige junge Leute. Unter der Bedingung, in den nächsten sechs Monaten nicht durch Alkoholgenuss aufzufallen, bekam er endlich wieder einen Ausweis. Eigentlich wollte der Weltumsegler gar nicht in dem gerade mal 14.000 Einwohner zählenden, verschlafenen Städtchen bleiben. Doch nahm man den Seemann gerne in die damals aufstrebende Thunfischfängerei auf. Und dann war da noch Anna, eine Gerichtsangestellte, die seine Frau wurde. "O - das alles ist schon ein halbes Jahrhundert her und ich bin immer noch hier, am besten Ort der Welt mit dem besten aller Berufe und der besten aller Frauen."

Durch den Handel mit Fanglizenzen kam er zu Geld und kaufte sich sein erstes eigenes Schiff, dem das zweite und dritte folgte, bis er eine eigene Flotte zusammengestellt hatte, mit der er sich kampfeslustig in die Konkurrenz zu den anderen drei Fischereiunternehmen am Ort stützte. Zu Beginn der 1990er Jahre, als die Fischausbeute deutlich zurückging und die ersten Fangquoten für den Thunfisch festgesetzt wurden, schlossen sich die Unternehmer zusammen, sprachen die Fangrouten untereinander ab und suchten nach neuen Wegen, um der Nachfrage aus Japan gerecht werden zu können. Millionenschwere Investitionen würden sich lohnen, das war klar. Je knapper der Blauflossen-Thuna wurde, in desto schwindelerregendere Höhen stiegen die Preise für das feste, würzige Fleisch, aus dem in japanischen Restaurants Sushi- und Sashimi-Delikatessen bereitet werden.

Hagen Stehrs neue Methode, nämlich Jungfische zu fangen, in riesigen Netzen vor die Küste zu schleppen und dort bis zum Schlachtgewicht zu füttern, erwies sich zwar als sehr nützlich, um weiterhin wertvolles Fleisch anbieten zu können - es wurde immer schwerer, prächtige Exemplare durch reinen Fischfang zu gewinnen - doch führte diese Art des Farmens natürlich nicht zu einer Verbesserung der Populationsdichte. Wofür er aber vom Time Magazin zum Entwickler der zweitwichtigsten Erfindung des Jahres 2009 ernannt wurde, war sein Anlage, in der er hochgezüchtete Blauflossen-Thunfische zum Laichen bringt.

Dazu verfrachtet er die mit ihren fünf Lebensjahren nun geschlechtsreif gewordenen 200-Kilo-Kolosse per Hubschrauber an Land in ein 40 Meter langes und fünf Meter tiefes Bassin, das für die Tiere die ganze Welt bedeutet. Im Riesenbecken durchleben sie ihre Reise durch die Ozeane, sie schwimmen durch Wasser mit unterschiedlichen Temperaturen und Salzgehalten unter einem den Tageszeiten und wechselnden Sternbildern angepassten Himmel und ahnen nicht, dass es ein Computer ist, der ihnen vorgaukelt, sie bewegten sich mitten im Meer. Tatsächlich laichten die Fische Millionen und Abermillionen Eier. "Wir sind jetzt im dritten Jahr dabei", so Stehr. "Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass der Kreis geschlossen wird und unserer Nachwuchs seinerseits wieder Eier legt."

Er ist dabei so optimistisch wie es ein geborener Selfmademan nur sein kann. "Ich halte es da mit meinem General Patton", sagt er. "Das Wort "cannot" ist aus meinem Vokabular ausradiert."

Viele Preise hat er im Laufe seines Lebens erhalten, darunter einen, die den einst Staatenlosen besonders erfreut, die "Order of Australia"-Medaille, die ihn als "Australien Offizier" auszeichnet. Im April nun nahm er die Ehrendoktorwürde der Australischen University of the Sunshine Coast entgegen. "Ich habe ja nicht viel an Ausbildung absolviert", meint er. "Aber man sieht wohl, dass solche Dinge sind nicht wichtig sind, wenn man an sich selbst glauben kann."

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