Sonntag, 16. Januar 2011

Volkstrauer und Kriegsgräberfürsorge -

Von Cornelia Kurth

"Ziehen Sie erstmal die Uniform aus, dann spende ich auch was für die Kriegsgräber!" Dass Brigadegeneral Reinhard Wolski so harsch angefahren wird, wenn er sich zusammen mit anderen Soldaten der Bückeburger Heeresflieger in den Tagen vor dem Volkstrauertag mit der Spendendose an seine Mitbürger wendet, kommt sehr selten vor. Kein Wunder allerdings, dass es eine junge und keine ältere Frau war, die ihn vor Jahren einmal so ansprach. "Wir befinden uns zwar im Umbruch und können immer mehr auch die junge Generation für den Volkstrauertag interessieren", meint er. "Aber vielen ist nicht wirklich klar, worum es uns eigentlich geht, wenn wir uns für Kriegsgräberfürsorge und das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt engagieren."

Tatsächlich mag es ja widersinnig erscheinen, wenn ausgerechnet Soldaten eine so tragende Rolle in der Zeit rund um den Volkstrauertag spielen. Waren es nicht Soldaten, die als Täter auftraten und auftreten? Die töten und Werkzeuge sind in grausamen Kriegsgeschehen? Die sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges dem Willen des "Führers" unterwarfen und bereit waren, buchstäblich über Leichen zu gehen, auch derer von Zivilisten im "Feindesland" und verfolgten Volksgruppen?

Ja, solche Fragen kommen durchaus auf, wenn der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge seine Schulreferenten in die Schulen des Landkreises schickt, um Jugendliche für ihre Sache zu gewinnen, oder wenn Schüler die Heeresfliegerwaffenschule besuchen, um sich über deren Aufgaben zu informieren. "In manchen Köpfen spukt noch der Gedanke, dass der Volkstrauertag auch mit dem Stichwort 'Heldengedenktag' umschrieben werden könnte. Das ist aber grundfalsch", so der Brigadegeneral. "Es ist im Gegenteil ein Tag, der gegen die Idealisierung von Krieg gerichtet ist. Der dem Bewahren des Friedens gewidmet ist. An dem es auch darum geht, den Militärdienst in Deutschland als Friedensdienst hervorzuheben."

Der Volkstrauertag, zum ersten Mal als nationaler Feiertag im Jahr 1922 begangen, hat eine lange Geschichte wechselhafter Interpretationen hinter sich. Ursprünglich gleich nach dem Ersten Weltkrieg vom Volksbund für Kriegsgräberfürsorge als Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldaten angeregt, sollte er später auch über alle Parteigrenzen hinweg die Bürger der Weimarer Republik einen in der gemeinsamen Trauer um die verlorenen Väter, Brüder und Söhne.

Dabei bestand schon immer die Gefahr, dass der Gedenktag nicht, wie durchaus intendiert, als Friedensappell aufgefasst, sondern der Heldentod fürs Vaterland als vorbildliche Einstellung für die Zukunft herausgestellt wurde. Während auf der einen Seite der Hamburger Pastor Jähnisch 1926 auf einer zentralen Gedenkfeier an das "Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen" erinnerte, erklärte ein Jahr später die "Vereinigung ehemaliger Kriegsgefangener": "Mögen diese Toten (...) die Saatkörner sein, die der Welt den ersehnten ewigen Frieden geben." Als die Nationalsozialisten den Tag dann offiziell zum "Heldengedenktag" umfunktionierten, stand nicht mehr die Totenehrung im Mittelpunkt, sondern eine Heldenverehrung, die man getrost als Einstimmung auf den nächsten Krieg betrachten konnte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlegte man den Volkstrauertag auf die klassische Zeit der Totenbetrauerung in den November, als einen Tag der Versöhnung zwischen den Nationen, der Völkerverständigung und der Friedenssicherung. Der Text, der seitdem gesprochen wird, beginnt nicht mit dem Blick auf die Soldaten, sondern mit dem Satz: "Wir denken heute

an die Opfer von Gewalt und Krieg, Kinder, Frauen und Männer aller Völker" und endet mit den Worten: "Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt". Das sei ein Wandel, den er voll unterschreiben könne, betont Brigadegeneral Wolski. In genau diesem Sinne würde der Volkstrauertag begangen und so habe er sich - aller Kontroversen von links und rechts zum Trotz - auch durchgesetzt.

Wenn nun am Sonntag überall in den Städten und auf den Dörfern die Gedenkstunden stattfinden, mal in Form eines Gottesdienstes, oft als Kranzniederlegung an den örtlichen Ehrenmälern oder wie an der Paschenburg, wo sich Vertreter aus Politik, Vereinen und Verbänden am Kriegerdenkmal treffen, dann sind regelmäßig auch Schüler beteiligt, die den Gedenktext sprechen, Musik machen oder von Friedensprojekten an ihren Schulen berichten. Solche Projekte drehen sich oft um die Kriegsgräbervorsorge, und genau die sei es, welche junge Leute sich ganz bewusst gegen den Krieg und für die Friedensarbeit entscheiden ließe.

Das sagt Anett Schweizer, eine von vier Schulreferentinnen in Niedersachen, die, vom Volksbund für Kriegsgräberfürsorge beauftragt, vor allem mit Lehrern in Bückeburg und Stadthagen zusammenarbeitet. Besonders engagiert ist da die Stadthäger "Schule am Schloss". Nicht nur ziehen von dort aus junge Leute mit den Sammelbüchsen durch die Stadt ("das ist sehr wichtig, wir finanzieren uns zu 85 Prozent aus Spenden"), sie besuchen auch die Friedhöfe in der Umgebung, um ganz konkret Opfer von Kriegsgewalt ausfindig zu machen.

"Am meisten beeindruckt sind die Jugendlichen, wenn sie begreifen, dass viele der gefallenen Soldaten nicht älter waren, als sie es heute sind", erklärt die Schulreferentin. "Dann wird ihnen klar, dass man nicht pauschal alle Soldaten als Mörder bezeichnen darf, sondern dass auch sie Opfer eines Wahnsinns waren, der nie wieder geschehen soll." Auch wenn sie die meist abseitig gelegenen Ecken mit den Gräbern von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern sähen und betreuten, seien sie erschüttert, erst recht, sobald ihnen klar würde, wie viele Babys dort beerdigt liegen, die sterben mussten, weil sie ihre Mütter von der Zwangsarbeit abhielten.

Die Einbeziehung der Jugendlichen in Volkstrauertag und Kriegsgräberfürsorge sei auch vor dem Hintergrund des besonderen Status' von Kriegsgräbern zu sehen. "'Normale Gräber werden meistens nach 20, spätestens 30 Jahren eingeebnet - Kriegsgräber aber genießen ein 'ständiges Ruherecht'. Sie müssen auch in Zukunft erhalten und gepflegt werden. Wer sollte das tun, wenn nicht die nachfolgenden Generationen?"

Mit dieser in die Zukunft gerichteten Frage steht eine weitere Fragestellung in Zusammenhang. Seit dem Jahr 2006 werden bei den zentralen Gedenkfeiern im deutschen Bundestag auch die über 3000 gefallenen Soldaten erwähnt, die nach dem zweiten Weltkrieg bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu Tode kamen. Auch bei der eher traditionell ausgerichteten Gedenkstunde an der Paschenburg will Werner Vehling, Leiter des Kreisverbandes Schaumburg des Volksbundes, auf die in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten zu sprechen kommen.

"Das ist gut so", meint Brigadegeneral Wolski. "Unsere Soldaten arbeiten nicht für ein Unrechtssystem, sie haben ihren Eid auf das Deutsche Volk und unsere Demokratie geleistet. Wenn sie in Afghanistan eingesetzt werden, dann tun sie das gewissermaßen im Auftrag von uns allen." Es sei eben ein Unterschied, ob jemand auf dem Rückweg von der Disko bei einem Autounfall ums Leben komme oder bei einem der Friedenseinsätze, für die jedes Jahr neu ein demokratisch erwirktes Mandat ausgesprochen werden müsse.

Schulbeauftragte Anett Schweizer lässt sich auf eine Grundsatzdiskussion gar nicht erst ein. "Für uns steht das Kriegsgrab und seine symbolische Bedeutung im Mittelpunkt. Da geht es sowieso nicht nur um deutsche Gräber. Überall dort, wo Soldatenfriedhöfe bestehen, sind die Menschen aus den beteiligten Nationen beerdigt. Die Kriegsgräber gemahnen daran, dass wir alle uns für den Frieden engagieren sollen." Für eine stärkere Beteiligung junger Menschen am Volkstrauertag sei es sicherlich von Bedeutung, die traditionellen Gedenkfeiern durch neue Formen der Trauer und des Gedenkens zu modernisieren. "Kriege, Gewaltherrschaft, Friedensbemühungen - die Schüler erkennen in unseren Geschichtsprojekten, wie sehr uns alle das angeht in einer globalisierten Welt. Da geht es dann gar nicht mehr darum, ob man eigene Angehörige verloren hat oder nicht."

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