Sonntag, 16. Januar 2011

Henrik Ibsen: "Hedda Gabler"

Die tödliche Langeweile einer ausgehöhlten Seele

Henrik Ibsens "Hedda Gabler" in einer beeindruckten Inszenierung des "Theaters für Niedersachen"

Rinteln. (cok) Sie sind beunruhigend, diese Theaterstücke, bei denen man als Zuschauer am Ende froh ist, wenn die Hauptperson ihr Leben lässt. Kann es wirklich sein, dass ein Mensch zu nichts anderem gut ist, als rundherum Zerstörung anzurichten? Henrik Ibsens "Hedda Gabler", vom "Theater für Niedersachen" im Brückentorsaal auf Einladung des Kulturrings eindrucksvoll inszeniert, ist das Portrait einer ausgehöhlten Seele, die sich vom Unglück in ihrer Umgebung ernährt.

Ibsens Stück entstand bereits im Jahr 1890, ein sprachlich eigenartig modern wirkendes Psychodrama, in dem - nicht viel anders als in manchen Stücken amerikanischer Autoren aus den 1950er Jahren - eine kleine Gruppe voneinander abhängiger Menschen in einem einzigen Raum aufeinander losgelassen wird, um sich gegenseitig fertigzumachen. Bei Ibsen ist die treibende Zerstörungskraft in der starren Enge einer Gesellschaft begründet, die keinen Platz für Außenseiter hat.

Hedda Gabler, die wunderschöne Frau eines angehenden Professors, langweilt sich in ihrem berufslosen Eheleben. So, wie er sie aus dem abseitigen Leben einer Tänzerin ins bürgerliche Leben heraushob, ist sie nun seine Trophäe, mit der einzigen Aufgabe, diese Rolle so gut wie möglich auszufüllen. Sie träumte von Luxus und Anerkennung, doch als die Anstellung ihres Mannes plötzlich nicht mehr sicher ist, weil ihr früherer Liebhaber, ein Schriftsteller-Bohemien, unerwartet Erfolg hat mit seinem neuen Buch, bricht ihre Welt in sich zusammen.

Umgeben von Menschen, die ebenfalls alle nur eine Rolle zu spielen scheinen, zerfrisst sie nun der Neid auf den Exliebhaber und seine hingebungsvolle neue Freundin, ungeachtet der Tatsache, dass diese in Probleme einer ungesicherten Existenz verstrickt sind, denen Hedda Gabler ja durch ihre Ehe entfloh. Als sei sie eine dieser Figuren aus aktuellen Fernseh-Soaps, spinnt sie sinnlos ein Netz von Intrigen, zu nichts anderem da, als ein bisschen Leben in die Langeweile zu bringen. Selbst auf der Suche nach einem Fünkchen echten Gefühls, kann sie nicht ertragen, dass andere Menschen ihre Dinge mit Leidenschaft verfolgen.

Regisseurin Bettina Rehm setzt alles daran, diese tödliche Langeweile auch in der Wahl des Bühnenbildes und der Ausstattung ihrer ausgezeichneten Schauspieler zu inszenieren, ein gewagtes, doch gelungenes Spiel. Wie ein reizender Schmetterling schwirrt die rothaarige Hedda Gabler (hervorragend: Michaela Allendorf) über die Bühne, sie singt und leuchtet und lässt alle anderen als genau die reizlos grauen Gestalten erscheinen, als die sie sie auch wahrnimmt. Die prächtige Villa ist nur ein leerer Raum voller Betonstelen, der Ausblick geht auf einen in unerreichbare Fernen verweisenden Großstadthafen.

Die Zuschauer finden dabei niemanden, mit dem sie sich identifizieren könnten. Weder Heddas nur seinen Studien hingegebener Mann, noch die Anschluss suchende alte Tante, weder der überall seinen Vorteil entdeckenden Amtsrichter, noch die unscheinbare Freundin des jugendlich verantwortungslosen Schriftstellers eigenen sich dazu. Und erst recht nicht Hedda Gabler selbst, die schließlich das unersetzliche Manuskript des Schriftstellers vernichtet. Sie habe es aus Liebe zu ihrem Mann getan, um einen Konkurrenten auszuschalten. In Wirklichkeit tat sie es nur, um zu sehen, was dann passiert.

Was bleibt, ist das irritierende Gefühl, dieser Person den Tod zu wünschen, noch bevor sie sich selbst, da ihre Intrigen an der inneren Leere nichts änderten, erschießt. War sie einfach ein widerliches Ekel? Ist sie das Opfer einer Umgebung, in der sie sich nicht entfalten konnte? Steckt in allen Menschen die Bereitschaft, aus Neid auf ein lebendigeres Leben zerstörerisch zu wirken? Mit Absicht gibt die herausfordernde Inszenierung keine Antwort, Anlass für viele angeregte Gespräche in der Pause und nachdem der Vorhang fiel.

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