Sonntag, 16. Januar 2011

Hartz IV - irgendwie überleben

"Man kommt rum mit Hartz IV - irgendwie"

Von Cornelia Kurth

Die Regelsätze für Hartz IV sind neu berechnet. Bis auf den Cent genau liegt fest, was ein Mensch zum würdigen Überleben braucht. 128,46 Euro pro Monat sind es für Essen und Trinken, 30,40 Euro für Bekleidung und Schuhe, 15,55 Euro für die "Gesundheitspflege" inklusive Praxisgebühr. Alle insgesamt elf Posten summieren sich auf die Summe von 364 Euro, fünf Euro mehr als bisher. Wie geben Hartz IV-Empfänger das Geld im wahren Alltag aus?

Interessiert beugen sich Wolfgang B. (58) und Zlatko S. (42) über die Liste mit der Durchschnitts-Ausgabenaufstellung. Sie lachen. "Mit diesen Zahlen kann ich nichts anfangen", meint Zlatko. "Ich kann einfach nur sagen: Meine Familie spart, wo es nur geht."

Zlatko ist gelernter Koch, ein Serbe, der schon seit seiner Jugend in Deutschland lebt, sich oft mit verschiedensten Jobs über Wasser hielt und nun seit 2007 zusammen mit seinen zwei Kindern und seiner Frau, die eine Halbtagsstelle hat, das Arbeitslosengeld II erhält. Eine Zeitlang arbeitete er im Rahmen eines Ein-Euro-Jobs auf dem Rintelner Friedhof. Er gehört zum Stadtelterrat und engagiert sich außerdem in der Ortsgruppe der "Linken". Wolfgang B. ist sein Freund und Parteigenosse. Der IT-Techniker verlor seine Arbeit, als seine Firma Insolvenz anmelden musste und lebt seit anderthalben Jahren ebenfalls von Hartz IV. Beide suchen Arbeit. Beide rechnen sich wenig Chancen aus.

"Ich weiß gar nicht genau, wofür ich mein Geld im Einzelnen ausgebe", meint Wolfgang. "Fürs Essen brauche ich auf jeden Fall mehr als 128 Euro. Dafür kaufe ich mir nur selten neue Klamotten. Ich war ja gut ausgestattet aus der Zeit, als ich noch richtig Geld verdiente. Das trage ich eben auf." Da er auch kein Internet besitzt, ein Posten, für den der neue Regelsatz monatlich 31,96 unter dem Stichwort "Nachrichtenübermittlung" vorsieht, fällt es für ihn nicht ins Gewicht, dass im Budget kein Etat mehr für Rauchen und mal ein kleines Bier vorgesehen ist. "Für mich wird immer das Wichtigste sein, dass ich mal unter Menschen komme, einen Kaffee trinken gehe oder auch mal ins Kino."

Zlatko sieht das nicht anders: "Ich muss meine sozialen Kontakte pflegen, sonst geht man ja ein. Aber es ist nicht einfach. Wenn sich zum Beispiel der Stadtelternrat im Bistro trifft, dann bestellen alle zwei, drei Getränke - und ich nur ein Wasser. Zu Anfang war mir das sehr unangenehm. Aber jetzt sage ich einfach, was Sache ist: Ich kann mir eben nicht mehr leisten." Er will und muss so diszipliniert sein, um seiner Kinder Willen. "Die brauchen viel mehr, als im Regelsatz vorgesehen ist", meint er. "Ich will, dass sie so wenig wie möglich unter meiner Arbeitslosigkeit leiden."

Die beiden, acht und zehn Jahre alt, seien schon insgesamt bescheiden und wüssten, dass Urlaubsreisen und Freizeitpark nicht drin sind. "Aber was sie nicht ertragen könnten, wären zum Beispiel Kleidungsstücke vom Flohmarkt. Sie wollen absolut nichts Gebrauchtes tragen. Hätten wir genug Geld, würde es ihnen wahrscheinlich gar nichts ausmachen - aber so..." Dafür kaufen sich die Eltern nur sehr selten neue Sachen, haben auch schon längst kein Auto mehr, studieren alle Sonderangebote in Supermärkten und Modediscountern, auch wenn da nur Cent-Unterschiede bestehen, und freuen sich, wenn die Gr0ßmutter der Familie ab und zu ein Geschenk macht.

Weder Wolfgang noch Zlatko nutzen die Angebote der "Tafel" oder der Kleiderkammern. "Da verzichte ich lieber auf anderes", so Wolfgang. "Ich bin nicht so selbstbewusst, dass ich bei der 'Tafel' anstehen könnte und dadurch quasi öffentlich bekenne, dass ich arbeitslos bin und es anders nicht mehr schaffe." Dabei wären kleine Entlastungen der Haushaltskasse eine echte Erleichterung. Noch nämlich finanziert er sein altes Auto, in der Hoffnung, dass es ihm bei einem Stellenangebot nützlich sein könnte. Mit Steuer und Versicherung kostet das aber mehr als doppelt soviel wie die für den Posten "Verkehr" vorgesehenen 22,78 Euro.

Die beiden Männer unterstützten im letzten Jahr zur Weihnachtszeit zusammen mit anderen Genossen von den "Linken" das kostenlose "Ultimo"-Frühstück in der Rintelner evangelisch-reformierten Jacobi-Kirche und brachten selbstgebastelte Geschenktütchen mit Süßigkeiten vorbei. Auch in diesem Jahr sind sie wieder dabei. "Die Kinder dort freuen sich so darauf, man könnte glatt heulen", meint Zlatko. Etwa 150 Gäste hat das Weihnachts-"Ultimo"-Frühstück, ansonsten kommen dort einmal im Monat regelmäßig 35 bis 50 Männer, Frauen und kleine Kinder zusammen.

Martina Atalay gehört dazu, Familienmutter, die nach der Trennung von ihrem Mann Hartz IV bezieht. Sie sitzt an einem Tisch mit Volker Branahl, arbeitsloser Krankenpfleger, mit Marie M. (Name von der Redaktion geändert), die ihre kleine Tochter Michelle dabei hat und mit Dana Contzen, ebenfalls Mutter kleiner Kinder, deren Mann gerade so viel Geld verdient, dass das Familieneinkommen etwas über dem Hartz IV-Satz liegt. Sie machen Witze darüber, was man sich alles mit fünf Euro mehr pro Monat leisten kann, sie empören sich über Politiker, denen sie nicht zutrauen, zu wissen, wie viel ein Liter Milch oder eine Tiefkühlpizza kostet, und sie sprechen darüber, ob die Bildungsgutscheine für ihre Kinder wohl tatsächlich deren Teilnahme am kulturellen Leben verändern wird.

"Alle Kinder sollten solche Bildungsgutscheine bekommen", meint Dana Contzen, die kein Gartz IV bezieht. "Wir müssen auch jeden Cent umdrehen, aber wieder sind es nur die Hartz IV-Kinder, die unterstützt werden!" Sie lächelt in die Runde und sagt: "Euch meine ich ja nicht, aber..." - aber es störe sie schon sehr, wenn die Arbeitslosen sich beklagten und diejenigen, die arbeiten irgendwie untergingen. "Die bekommen 100 Euro für den Schulbedarf ihrer Kinder, während ich alles bezahlen muss!"

Die anderen Frauen nehmen ihr die Kritik nicht übel. "Die Bildungsgutscheine werden nicht viel ändern", sagt Marie M. "Auch jetzt schon kann man beantragen, dass die Kinder umsonst in Vereine reinkommen. Mein Sohn hat sogar eine Freikarte für das Schwimmbad. Man wird nur nicht darüber informiert, dass und wo es solche Hilfen gibt." Falls die etwa 20 Euro, die diese Bildungsgutscheine pro Monat wert sind, dafür ausreichen, möchte ihre Tochter so gerne Geigenunterricht haben.

"Und ich mache mir Sorgen über die Streichung des Heizkostenzuschusses", meint Martina Atalay. "Mit Kindern sind überhaupt so viele Dinge unkalkulierbar, Schulveranstaltungen, hier noch mal ein neues Buch und die ganzen Klamotten, aus denen sie so schnell rauswachsen. Ich verstehe ja die Leute, die arbeiten gehen. Doch ist es ja wohl keine Frage, dass unsere Kinder sich die Situation nicht ausgesucht haben. Darf man denn nicht mehr darüber klagen, dass wir so knapp bei Kasse sind?"

Was alle am Gespräch Beteiligten deprimiert: Sie sehen keine Veränderung ihrer Situation. ""Ich werde wohl bis an mein Lebensende vom Arbeitslosengeld leben", meint Volker Branahl. "Ich bin ja schon über 50 Jahre alt. Und aus keinem der wenigen Jobangebote wurde bisher mehr als eine Probezeit." Die Mütter in der Runde haben entweder wegen ihrer Kinder eine Berufsausbildung abgebrochen oder waren überhaupt noch nie berufstätig. Man spürt, dass ihnen jemand fehlt, der sie an die Hand nehmen und ins Berufsleben einführen könnte. Einzig Dana Contzen, die deutlich selbstbewusster wirkt als ihre Hartz IV-Bekannten, verdient sich durch Putzarbeit etwas dazu.

Wolfgang B., der IT-Techniker, der über eine Zusatzausbildung zum Microsoft Certified Systems Engineer verfügt und sich um Weiterbildungen bemüht, er sagt: "Ich habe so lange gearbeitet, fast 40 Jahre, und bin nun in dieser Abhängigkeit vom Staat, auf unabsehbare Zeit." Es wäre leichter für ihn, wenn er wüsste, dass Hartz IV nur eine Übergangslösung wäre. "Ja, so geht es mir auch", meint Zlatko S. dazu. "Ich bewerbe und bewerbe mich, ich kann so viele Dinge im handwerklichen Bereich - aber was dabei herauskommt, sind 1-Euro-Jobs oder Praktika, bei denen man nicht übernommen wird."

Die beiden Freunde haben sich im Sommer oft in der Stadt verabredet und die Bänke auf dem Marktplatz als Ersatz für das Straßencafé genutzt. Jetzt, wo die kalte Jahreszeit beginnt, wird es für sie schwieriger, auch mal außerhalb der eigenen vier Wände auf Freunde und Bekannte zu treffen. Zlatko nimmt es mit Humor: "Wir gehen einfach unter die schützende Brücke und schwingen die Flasche Rotwein mit der Aufschrift 'Pennerglück'", sagt er lachend. In Wirklichkeit mussten grad neue Winterjacken für die beiden Kinder gekauft werden. Zusammen 60 Euro. "Na ja - wie gesagt: Wir sparen an allem, wo es sich ergibt. Es geht schon. Man kommt rum, irgendwie."

Keine Kommentare: