Sonntag, 16. Januar 2011

Kampfhunde - Soll man sie aus dem Tierheim holen?

Von Cornelia Kurth

Immer wieder kommt es vor, dass Gianna Matthes (30) nicht einfach friedlich mit ihrem Rüden Mo spazierengehen kann. "Wie oft wurde ich schon wegen Mo böse angeguckt, beschimpft, ja sogar einmal angespuckt", sagt sie. "Ein Jogger rief im Vorbeilaufen: 'Sowas gehört erschossen!'" Besonders schlimm sei es dann, wenn in den Zeitungen von dem Angriff eines Kampfhundes auf ein Kind berichtet wurde. Mo ist ein Staffordshire Bullterrier, ein eher kleinerer, bulliger Hund, dessen Rasse in vielen Bundesländern auf der Rasseliste der gefährlichen Hunde steht. "Aber er ist nicht gefährlich", betont sie. "Er gehorcht mir aufs Wort, wir sind ein Herz und eine Seele, er ist ein Traumhund."

Anders als die meisten anderen Menschen hatte Gianna Matthes schon früh mit sogenannten Kampfhunden zu tun. Schon als Schülerin ging sie regelmäßig ins Tierheim Hameln, um sich dort um Hunde zu kümmern, die auf eine Vermittlung an neue Besitzer warteten. Während Dackel, Pudel, Bordercollies relativ schnell wieder ein neues Zuhause finden, bleiben Hunde wie Mo oft monate-, jahrelang im Tierheim zurück. Mit ihnen haben die Tierheimmitarbeiter also am intensivsten zu tun. "Da bauen sich verallgemeinernde Vorurteile wie von selbst ab", so Gianna Matthes. "Bullterrier können ganz wunderbare Tiere sein, wesensstark, auf den Menschen bezogen, freundlich, gehorsam."

Damals, im Jahr 2000, als Mo im Alter von sechs Monaten ins Tierheim Hameln kam, hatte er so gut wie keine Chance, einen neuen Besitzer zu finden. Gerade war in Hamburg ein schreckliches Unglück passiert. Ein Pitbull und ein Staffordshire Bullterrier hatten ein sechsjähriges Mädchen angefallen und zu Tode gebissen. Im ganzen Land wurde das generelle Verbot von Kampfhunden diskutiert, Listen der gefährlichen Hunde entstanden und wer eines dieser Tiere besaß, musste mit ihnen einen "Wesentest" durchführen lassen. Die Hunde kamen allgemein in Verruf und die entsprechenden Hundehalter sahen sich dem Verdacht ausgesetzt, sie besäßen solche Tiere nur deshalb, um sie als Drohmittel gegen ihre Mitmenschen einsetzen zu können.

"Rotkäppchen-Syndrom", so nennt es Dr. Ulf Güber, Amtstierarzt im Kreisveterinäramt Bückeburg, wenn manche Menschen schon allein beim Anblick einer Bordeaux-Dogge, eines Pitbulls oder Bullterriers Angst bekommen und geneigt sind, den Hund als gefährlich zu melden. "Diese Hunde fallen in der Statistik nicht häufiger auf als andere", sagt er. "Es gibt keine von vornherein 'bösen' Hunde. Da, wo sie Probleme machen, sind es fast immer die Besitzer, die falsch mit dem Tier umgehen." Seit vielen Jahren ist er für die Durchführung von Wesenstests an auffällig gewordenen Hunden zuständig. "Ich bin dabei vollkommen neutral. Das Wort 'Kampfhund' gibt es in meinem Sprachgebrauch gar nicht."

Kampfhunde - das waren ursprünglich Hunde, die tatsächlich für den Kampf gezüchtet wurden, sei es in den griechischen und syrischen Armeen der Frühzeit, wo sie in erster Frontlinie dem Feind entgegenstürmten, sei es vor allem im 18. und 19. Jahrhundert, wo man bestimmte Hunderassen gezielt dahin züchtete, dass sie untereinander oder gegen Bullen und Ratten kämpfen sollten. Der Name des amerikanischen "Pitbulls" entstand im Zusammenhang mit der Arena ("pit"), in der sie und andere Kampfhunde Ratten töteten, sich in die Schnauzen von Bullen verbissen oder gegnerische Hunde besiegten. Jack London hat solche grausamen Kämpfe eindrucksvoll in seinem Buch "Wolfsblut" geschildert.

Bezeichnend war, dass neben Mut, Kampfgeist und Willensstärke auch ein soziales Verhalten dem Menschen gegenüber zu den Zuchtzielen gehörte. Schließlich bewegten sich auch Schiedsrichter und Helfer in der Arena, die die Hunde auch während des Kampfes berühren mussten. Unbedingte Gehorsamsfähigkeit, Zutrauen, Treue und Friedfertigkeit gegenüber dem Menschen - das sind Wesenszüge, die gerade den als Kampfhunde bezeichneten Tieren immer noch in verstärktem Maße zugesprochen werden können. Als Hundekämpfe zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch weltweit verboten wurden, durfte auch das Züchtungsziel der Aggressivität offiziell nicht mehr angestrebt werden.

Nun sind die Zucht oder Einfuhr von Hunderassen wie Staffordshire Bullterrier, American Staffordshire Terrier, American Pitbull Terrier und Bullterrier sowie Kreuzungen dieser Rassen untereinander oder mit anderen Rassen bundesweit verboten. Trotzdem existieren diese Hunde, entweder illegal eingeführt oder oft als Mischlinge, die zum Beispiel Tierärztin Isabelle von Götz aus Obernkirchen häufig in ihrer Praxis sieht. "Die benehmen sich ganz normal, wie andere Hunde auch", meint sie. "Schäferhunde könnten genau so in die Schlagzeilen kommen, wie eben alle größeren, kräftigen Hunde die Gefahr mit sich bringen, im Ernstfall schlimme Wunden zu hinterlassen." Auch sie betont, dass es der Besitzer sei, der einen Hund zu einem Freund des Menschen mache oder zu einer Gefahrenquelle. "Ich habe hier schon ziemlich böse Dackel gehabt." Auch die freundlichen Golden Retriever können zuschnappen, wenn sie falsch erzogen sind, oder Bordercollies, Hütehunde, die herumtollenden Kindern in die Fersen beißen, als seien sie Schafe, die zur Herde zurückkehren sollen. "Problematisch wird es mit 'Kampfhunden' eigentlich nur dann, wenn die Besitzer genau das haben wollen, einen Kampfhund."

Amtstierarzt Ulf Güber wird immer wieder gefragt, ob Kampfhunde, die aus schlechten Verhältnissen stammen, überhaupt resozialisierbar seien. Kann ein bissiger, aggressiver Hund jemals wieder in die Gemeinschaft mit den Menschen zurückkehren? "Ja, durchaus", sagt er. "Kein Hund wird als Kampfhund geboren, es sind unverantwortliche Menschen, die ihn dazu erziehen - und das könnte man mit vielen anderen Hunderassen ebenfalls tun, vor allem mit Hütehunden, die einen starken Beschützerinstinkt entwickeln."

Mit Hilfe eines kompetenten Hundetrainers und eines geschulten Besitzers sei es in den meisten Fällen möglich, auch falsch erzogene Hunde umzuerziehen. Wenn er zu einem problematischen Fall gerufen werde, um einen Wesenstest vorzunehmen, tue er das nicht von vornherein, um den fraglichen Hund aus dem Verkehr zu ziehen und die Besitzer zu sanktionieren. "Ich biete meine Hilfe an!" Manchmal müsse so ein Tier dann einen Maulkorb anlegen und grundsätzlich an der kurzen Leine geführt werden, in anderen Fällen werde ein Training in der Hundeschule verlangt.

Nur wenn sich - sehr selten - herausstelle, dass ein Hund aufgrund grausamer Behandlung unheilbar psychisch krank geworden sei und eine Psychose entwickelt habe, werde er eingeschläfert. "Das ist dann meistens auch im Interesse der Besitzer, die so ein krankes Tier ja selbst nicht beherrschen können."

Heidi Ballermann, eine der Leiterinnen vom Tierheim Hameln, sagt dazu: "Fast alle Hunde, die bei uns anlanden, stammen von 'anständigen' Leuten, die wegen Umzug, Geldmangel oder aus Altergründen keinen Platz mehr für ihr Tier haben. Hier sind auch Bullterrier und andere Kampfhunde, die in Familien mit Kinder aufgewachsen sind, liebevolle, freundliche Tiere, die wir mit bestem Gewissen weitervermitteln können." Das eigentliche Problem mit diesen Tieren läge ganz woanders: So müssten im benachbarten Nordrheinwestfalen oft besonders hohe Hundesteuern für "gefährliche Hunde" gezahlt werden, dazu sei häufig ein teurer Wesenstest gefordert, es sei also mit deutlich mehr Kosten verbunden, einen Kampfhund bei sich aufzunehmen. Hinzu käme, dass Besitzer von Bullterriern und ähnlichen Rassen sich darauf gefasst machen müssen, von anderen Leuten schief angeguckt zu werden. Das alles erschwere die Vermittlung.

"Ja - wir haben natürlich auch Tiere, die aus schwierigen Verhältnissen kommen", so Heidi Ballermann. "Um die kümmern wir uns ganz besonders, egal welche Rasse. Wir trainieren mit ihnen, bringen ihnen den nötigen gehorsam bei, nehmen ihnen ihre Ängste, und selbstverständlich machen sie dann auch einen Wesenstest. Erst dann sind sie zur Vermittlung freigegeben, an neue Besitzer, die wir uns ebenfalls genau ansehen und prüfen, ob sie Erfahrung im Umgang mit Hunden haben."

Dafür arbeitet das Tierheim nicht nur mit dem Kreisveterinäramt zusammen, sondern auch mit dem Herforder Verein "Bullterrier in Not", dessen Vorsitzende Claudia Schürmann zur Zeit etwa 40 'Kampfhunde' betreut und sie auf ihrer Internetseite vorstellt, damit sie bundesweit vermittelt werden können.

Auch sie spricht voller Zuneigung von den Hunden, die einen so schlechten Ruf genießen. "Bei uns in NRW mit den strengen Auslagen ist es besonders schwer, diese Hunde unterzubringen. Ich kann da nur die Niedersachsen beneiden, die neben Thüringen das einzige Bundesland sind, die Kampfhunde nicht von vornherein diskriminieren." Tatsächlich hob der niedersächsische Landtag die im Jahr 2000 in Deutschland eingeführte Rasseliste wieder auf, ebenso wie die Verpflichtung grundsätzlich einen Wesenstest für "gefährliche" Hunde durchführen zu müssen.

Man bezog sich dabei auf Erkenntnisse aus Dissertationen an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, die unter anderem aufzeigen, dass beim Vergleich der "Kampfhunde"-Rassen mit der Kontrollgruppe der Golden Retriever kein Unterschied im Auftreten von inadäquat aggressivem Verhalten festgestellt wurde. Es sei somit ethologisch nicht vertretbar, dass bestimmte Hunderassen vom Gesetzgeber und der Gesellschaft diskriminiert werden.

Was Tierärzte, Tierheime und auch Tierpsychologen wie etwa Gabriela Badziong von der Praxis "Animal Team" in Heeßen fordern, sind insgesamt Maßnahmen, die für kompetente, fachlich gebildete und verantwortungsvolle Hundebesitzer sorgen. "Wenn es nach mir ginge, dann sollte - Niedersachsen hat sowas ja bereits in der Planung - ein Sachkundenachweis für alle Erstlingshundehalter verpflichtend sein", so etwa Amtstierarzt Ulf Güber.

Tierpsychologin Gabriela Badziong, zu deren Klientel immer wieder auch Rottweiler oder Bullterrier gehören, sie bereitet gerade einen American Staffordshire Terrier auf seine Vermittlung vor. "Der arme Hund sitzt schon so lange im Tierheim, und überhaupt haben die Kampfhunde im Heim oft eine traurige Geschichte hinter sich." Das Wichtigste für die Hunde sei das Erlernen des Grundgehorsams, das Wichtigste für die Hundehalter, dass sie ihrem Tier auch in angespannten Situationen vermitteln können: 'Ich habe die Situation im Griff'." Jeder Hundehalter müsse die Körpersprache seines Tieres verstehen können. "Kein Hund greift aus dem Nichts heraus andere Hunde oder gar Menschen an."

Der Staffordshire Bullterrier Mo hatte wirklich Glück mit seiner Besitzerin Gianna Matthes, die sich auch noch zweier riesengroßer Deutschen Doggen angenommen hat. "Wenn man, wie ich, so viel mit Hunden umgeht, dann sind diese eher ungewöhnlichen Rassen besonders interessant", sagt sie. Sie hatte intensiv mit Mo trainiert, sich auch die Hilfe eines Hundetrainers besorgt und sich insgesamt mit Fachwissen und Liebe auf den Hund eingelassen. "Und das sollte man überhaupt immer so machen", sagt sie. "Dann würde es nämlich gar keine gefährlichen Hunde mehr geben."

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