Sonntag, 16. Januar 2011

Heimattreffen - deutschsprachige Schulen in Polen

"Wir tragen keinen Groll in uns!"

Wie ein Wunder: Nach dem Krieg gab es deutschsprachige Schulen in Polen

Todenmann. (cok) Die 70 Männer und Frauen aus ganz Deutschland, die sich regelmäßig im Todenmanner "Gasthaus zur Linde" zum "Heimattreffen" einfinden, sie lebten als Kinder alle in derselben Gegend auf den kleinen Dörfern rund um Rintelns polnischer Partnerstadt Slawno in Westpommern. Was so ungewöhnlich ist: Sie blieben zunächst auch dann noch in ihrer Heimat, als Millionen Deutsche am Ende des Zweiten Weltkrieges in den Westen flohen oder vertrieben wurden. Einer von den damals Zurückgebliebenen ist der Rintelner Bäckermeister Horst Lohse (69).

Er kam erst im Jahr 1956 als 15jähriger im Zuge der Familienzusammenführung nach Rinteln, so wie auch die anderen Teilnehmer des Heimattreffens ab Mitte der 1950er Jahre nach und nach entweder in die DDR oder die BRD aussiedelten. Zu ihrer gemeinsamen Geschichte als Außenseiter unter den Polen gehört auch ihre Schülervergangenheit an einer deutschsprachigen Schule in Wusterwitz (Ostrowiec), die von einem jungen Deutschen, dem späteren Doktor und Professor Werner Zarrach geleitet wurde. Der war diesmal zum Treffen eingeladen, ein höchst wacher alter Herr aus Berlin, der keinen Namen seiner ehemaligen Schüler vergessen hatte.

Was sich im ersten Moment so normal anhört, ist genauer betrachtet eine große Besonderheit: Bis auf wenige Ausnahmen durfte in den ehemals deutschen, nun polnischen Gebieten offiziell kein Deutsch gesprochen werden. Die Russen und dann die Polen taten alles dafür, damit sich die neuen Verhältnisse so schnell wie möglich etablieren sollten. Tatsächlich gingen Horst Lohse und seine Kameraden in den ersten fünf Jahren nach dem Krieg überhaupt nicht zur Schule. Dass sie dann doch eine eigene Schule bekamen, wo zwar russisch und polnisch unterrichtet wurde, die Unterrichtssprache aber deutsch war, es klingt fast nach einem Wunder.

"Wir bildeten nach dem Krieg eine deutsche Enklave" erzählt Lohse. "Natürlich hatten wir alle uns auf die Flucht gemacht, als die Russen sich näherten, die Leute aus meinem Dorf Kusserow und aus den anderen Dörfern - Quatzow, Söllnitz, Wiesenthal. Doch kamen wir nicht sehr weit, weil wir von der russischen Armee eingeschlossen wurden. Unsere Trecks kehrten wieder um, die ganze Bevölkerung war wieder da und konnte oft auch in ihre Häuser zurück. In unseren Dörfern sprachen 95 Prozent der Bewohner deutsch."

Als zunächst die Russen und dann Anfang 1950 die Polen die Verwaltung übernahmen, hatten sie hier durchaus ein Interesse daran, die Deutschen vor Ort zu behalten, waren unter ihnen doch Facharbeiter und fähige Handwerker, die zur Arbeit verpflichtet wurden, weil deren Aufgaben nicht ohne weiteres von den neu angesiedelten Polen übernommen werden konnten. Da aber schließlich abzusehen war, dass die Deutschen irgendwann doch in den Westen ziehen dürften, gestand man ihnen deutschsprachige Schulen zu. Werner Zarrach wurde als Bezirksschuldirektor mit der Gründung und Verwaltung dieser Schulen beauftragt, zu denen dann auch eine technische Oberschule gehörte, die Horst Lohse besuchte.

Ähnliche Schule gab es auch im Bezirk Danzig, im Bezirk Stettin und vor allem in den schlesischen Industriegebieten. Sie alle löste man spätestens Ende der 1950er Jahre auf. Horst Lohses alter Lehrer Dr. Zarrach wurde Lehrer in Ost-Berlin und dann Professor für Philologie. Die Herzlichkeit, mit der man ihn beim Heimattreffen aufnahm, zeigte, wie sehr er für ein Zusammengehörigkeitsgefühl seine Schüler hatte sorgen können.

Nicht überall verlief das Leben der Deutschen, die, wenn sie nicht die polnische Staatsbürgerschaft erhielten, einfach staatenlos waren, so relativ harmonisch wie auf den Dörfern bei Slawno. "Im Grunde verstanden wir uns mit den meisten Polen recht gut", so Horst Lohse. "Noch heute haben viele von uns polnische Freunde und ich zum Beispiel war inzwischen schon 20 Mal wieder in Kusserow zu Besuch."

Trotzdem konnte es damals keine Frage sein, dass es auf die Dauer nicht auszuhalten war, als Fremde in der eigenen Heimat zu leben. Horst Lohses Familie und fast alle anderen Deutschen auch stellten Ausreiseanträge und verteilten sich dabei auf ganz Deutschland. Im Jahr 1994 - "O - eigentlich viel zu spät" - organisierte Lohse, der auch im Verein für die Städtepartnerschaft mit Slawno engagiert ist, das erste Heimattreffen mit seinen Jugendfreunden und Mitschülern. Alle zwei Jahre kommen sie für drei Tage in Rinteln zusammen und erzählen, erzählen, erzählen. "Wir tragen keinen Groll in uns", sagt Lohse. "Wir sind einfach nur froh, dass wir das Gefühl für unsere Heimat nicht verloren haben."

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