Sonntag, 16. Januar 2011

Yoga - Mantras und der Weg zum eigenen Selbst im "Yoga Vidya" - irgendwie

Von Cornelia Kurth

"Mantras gesungen? Du? Das ist wohl ein Witz!" Ja, so reagieren meine Freunde, wenn ich es ihnen erzähle. Aber es ist wahr: Ich sang Mantras, zusammen mit vielen anderen Leuten, die mit mir im Kreis saßen, angeleitet von einem kleinen rundlichen Lehrer, der dabei ein altes Schifferharmonium spielte. "Shiva Shiva Shambho": Es bewegte mich sehr - wider Erwarten. Zuvor nämlich hatte ich mich ziemlich verloren gefühlt in "Europas größtem Zentrum für Yoga, Ayurveda und Meditation" in Bad Meinberg, dem "Yoga Vidya", das wir am Tag der offenen Tür besuchten. Mein Begleiter war gleich geflohen, als ihm in der Eingangshalle des siebenstöckigen Gebäudekomplexes der intensive Duft von indischen Räucherstäbchen entgegenschlug, während ich mich durch labyrinthartige Gänge und vorbei an Räumen mit unverständlichen indischen Namen zu einem Einführungskurs ins Hatha-Yoga begab.

Seit einiger Zeit gehe ich ins Fitnessstudio, radle dort brav eine halbe Stunde, ziehe ein paar Gewichte und versuche mich an Dehnungsübungen, bei denen ich mir immer neu unsicher bin, ob ich es überhaupt richtig mache. Könnte da nicht Yoga eine sinnvolle Ergänzung sein? Es war die Redaktion, die mich auf die kleine Reise ins idyllische Städtchen Bad Meinberg sandte, im Grunde hatte ich keine Wahl. Aber ich war neugierig, durchaus. Ich gab mir Mühe, offen zu sein und mich nicht beeinflussen zu lassen von den sarkastischen Bemerkungen meines Begleiters, den ich während der einstündigen Autofahrt durchs schöne Extertal zu überreden versuchte, sich mit mir gemeinsam auf das einigermaßen unbekannte Terrain zu begeben. "Gesundheitswahn vermischt mit spiritueller Spinnerei, damit kannst du mich jagen", grummelte er. "Aber deine Rückenprobleme", wandte ich ein. "Dieses Hatha-Yoga soll gerade für den verspannten Rücken wahre Wunder wirken. Sogar die Krankenkassen sehen das so." Nichts zu machen - er zog es vor, sich die Zeit mit einem Spaziergang zu vertreiben.

Sheila, so heißt die Yogalehrerin, eine riesengroße blonde, schon ältere Frau, die zu spät kommt, weil sie den Kursbeginn in falscher Erinnerung hatte. Fröhlich begrüßt sie uns erwartungsvolle Teilnehmer mit den Worten: "Eigentlich bedeutet Yoga auch Pünktlichkeit, na ja ..." Die zehn Teilnehmer lächeln gnädig und ich entdecke, dass Sheila total abgewetzte weiße Socken trägt. Komisch, sie weiß doch, dass man vor dem Übungssaal seine Schuhe ausziehen muss. Und wie sie umständlich rumtüdelt mit dem Overheadprojektor. Soll Yoga nicht innere Ruhe und Konzentration fördern?

Während Sheila erklärt, dass der göttliche Kern des Yoga das Universum in uns und damit unser eigentliches Selbst berührt, stelle ich fest, wie unglaublich bequem diese Yogakissen doch sind. Gefüllt mit Körnern, passen sie sich den Körperformen so perfekt an, dass ich schon jetzt sicher bin, wenigstens eine klare Erkenntnis aus meinem heutigen Erlebnis davontragen zu können: Ich will so ein Kissen, unbedingt. Meine Pobacken brauchen nämlich Schonung seit der Fahrerei auf dem Fitnessrad. Selten saß ich so entspannt und bequem wie jetzt hier auf dem Fußboden.

Die Yogalehrerin allerdings wirkt gar nicht entspannt. Nach und nach merkt sie, dass ihr Einführungsvortrag nicht so gut ankommt, weil er allzu allgemein vom Yoga handelt: Über die fünf Säulen, bestehend aus Yogastellungen, Atemübungen, Entspannung, richtige Ernährungsweise und Meditation, und über die Chakren, die sieben Hauptenergiezentren des Körpers, welche durch die Yogastellungen "gereinigt" werden. "Ihr kennt ja die Chakren?", fragt sie, und jeder nickt.

Einige der Teilnehmer sind offenbar bereits erfahrene Yogis, die gerne etwas Genaueres über das Hatha-Yoga erfahren würden. Mir dagegen schwirren Begriffe wie "Asanas" (körperliche Übungen), "Pranayama" (Atemübungen) und "Hatha" (Anstrengung, Kraft) um die Ohren. Sheila stellt gerade fest, dass sie die Reihenfolge der zwölf Yogastellungen durcheinandergebracht hat. Ein Mann und eine Frau verlassen still den Raum. Aber da verpassen sie was, denn nun führt Sheila uns einen Kopfstand vor, zur Reinigung des Kronen-Chakras. Auf die Unterarme gestützt, den Kopf auf den Boden, hebt sie die Beine erst bis zur Körpermitte und dann ganz nach oben. "Das kann man locker zehn Minuten durchhalten", meint sie etwas außer Atem und mit rot angelaufenem Gesicht. Nicht sehr überzeugend.

Ach - ich weiß, es ist ungerecht, sich lustig zu machen über jemanden, der wohl keinen so guten Tag hat. Das "Yoga Vidya"-Zentrum zieht jährlich Tausende von Gästen an, die sich auf dem großen Gelände oft auch einmieten, um an Yogaseminaren teilzunehmen, sich zum Yogalehrer ausbilden zu lassen oder den Vorträgen berühmter Lehrer zu lauschen. Das Haus besitzt einen ausgezeichneten Ruf, wird als gemeinnütziger Verein geführt und trägt mit seinen deutschlandweit insgesamt 60 Yogazentren dazu bei, die uralte indische Lehre über Entspannung und Meditation auch in Europa lebendig zu erhalten.

Trotzdem würde ich das Zentrum jetzt am liebsten verlassen. Yoga ist eben nichts für mich, ich bin zu rational eingestellt und meinetwegen auch nicht wirklich geöffnet für etwas so sehr einer anderen, ungewöhnlich spirituellen Kultur Verhaftetes. Mag sein, dass Übungen wie der "Fisch", der "Flug" oder die "Krähe" mein Herz- und Kehlchakra kräftigen - ich will jetzt irgendwo einen Kaffee trinken. Den gibt es aber nicht im "Yoga Vidya". Dafür aber Brennnessel- und Salbeitee und - warmes Ingwerwasser. Das schmeckt frisch, leicht scharf und insgesamt so köstlich, dass neue Energie in mir aufsteigt. "Ich gehe in die 7. Ebene!", sagt eine Frau neben mir. Und ihre Freundin: "Ja, ich auch, die 7. Ebene ist die tollste von allen!"

In dieser 7. Ebene, ganz oben im pyramidenförmigen Bau des Hauses findet das Mantra-Singen statt, das Kirtan. Ein junger Mann, eher klein, eher unsportlich, eher etwas finster wirkend, fährt im Fahrstuhl mit nach oben. Dass gerade er der Kirtan-Lehrer sein würde, hätte ich niemals gedacht. Der Raum ist voller Menschen jeden Alters, einige haben sich in weiße Decken eingewickelt. Ein Büchlein mit Liedtexten liegt aus und ich lese geheimnisvolle, zum Teil 4000 Jahre alte Texte, Gebete, die sich an indische Gottheiten richten, allen voran den drei höchsten, Brahma, den Schöpfer, Wishnu, den Bewahrer, Shiwa, den Zerstörer.

Om - das berühmte Om, der Urlaut, Klang der Klänge, mit ihm eröffnet Lehrer Marcel den Workshop. Vor ihm steht ein rechteckiger Kasten, ein kleines Harmonium, das mit einer Luftklappe per Hand angetrieben wird. "In der Bibel heißt es: 'Am Anfang steht das Wort'", sagt Marcel. "Im Yoga aber: 'Am Anfang steht der Klang'!" Er beginnt, und seine angenehme, warme Stimme löscht sofort alle Zweifel aus. Wir alle summen den Ton mit, die Schwingungen erfüllen Kehle und Kopf, und als der Lehrer anschließend noch ein kleines Mantra singt, da klingt es eigenartig vertraut, wie ein mittelalterlicher Mönchsgesang.

Mantras werden immer und immer wiederholt, so lange, bis alle Gedanken aus dem Kopf vertrieben sind, man nur noch den Klang im Körper verspürt und eine Ahnung davon entsteht, was es bedeuteten würde, den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt zu verlassen und vereint zu sein mit dem großen Klang des Universums, dem Brahman, von dem wir alle ein Teil sind.

"Devi, Devi, Jagan Mohini", das singen wir, begleitet von der vollen Lehrerstimme und den melancholischen Tönen des Harmoniums. Es ist wie eine Liturgie, die ruhig immer weitergehen kann, so sanft ist der Gesang, so weich die Worte. Man müsse nicht wissen, was sie bedeuten, erklärt Marcel, die Schwingungen seien es, denen man sich hingeben solle. Sie entsprächen den Grundschwingungen des Universums, deshalb sei es so einfach, mitzuschwingen und den Kopf von störenden Alltagsgedanken zu befreien. "Oh Göttin, Göttin, die Du die ganze Welt bezauberst", das ist die Übersetzung des Textes. Auch schön.

Schwingt ein Mantra langsam doch aus, dann es ist so, als wenn eine angenehme Massage zu Ende geht. Man erwacht wie aus einem kleinen Traum. Zwischen den einzelnen Liedern spricht Marcel über das Yoga, den Hinduismus und darüber, wie sich die zahllosen Götter Indiens letztlich doch in einem einzigen Göttlichen, dem Brahman, zusammenfinden. Auf dem Weg zum Gruppenraum war ich an Zimmern vorbeigekommen, aus denen Mantra-Klänge herausdrangen, und ich hatte still gelacht. Jetzt sehe ich ein, dass dort einfach meditiert wurde. "Unzählige Wege führen zur Selbsterkenntnis", meint Marcel. Ich bin froh, dass mich ein Zufallsweg in seinen Workshop geführt hat.

Mein Begleiter erwartete mich schon vor dem "Yoga Vidya"-Haus, erstaunt, dass ich ihm so gut gelaunt entgegenkam. Auch er war guter Laune, hatte er doch stundenlang die winterliche Hügellandschaft rund um das kleine Bad Meinberg durchwandert. "Und - woran hast du gedacht?", frage ich. "An nichts", sagt er. "Irgendwie macht das Wandern den Kopf so frei." Marcel hat schon recht: Es führen wirklich viele Wege zur inneren Harmonie. Man muss sie nur finden.

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