Sonntag, 16. Januar 2011

Nevfel Cumart "Tarzandeutsch"

Tarzandeutsch: "Du mich verstehen?"

Ein Dichter erzählt vom Leben zwischen den zwei Welten Deutschland und Türkei

Rinteln. (cok) Nevfel Cumart ist Dichter und Islamwissenschaftler. Als er am Dienstagabend in der Bibliothek des Ernestinums eine Runde aus älteren Schülern, Lehrern und einigen Eltern um sich versammelte, da trat er allerdings eher wie ein Entertainer auf. Sein Thema: Das Leben zwischen zwei Welten. 1964 als Kind türkischer Gastarbeiter in Deutschland geboren, verwandelte er plaudernd seine Autobiographie in ein kleines Lehrstück über Integration.

Wie jedes Mal, wenn er im Ernestinum zu Gast ist, erstaunt der Dichter - 15 Gedichtbände sind im Laufe der Jahre von ihm erschienen - die Schüler durch seinen lockeren Auftritt. Die wenigsten stellen sich einen Poeten und Wissenschaftler so vor, dass er sich hemdsärmelig auf das Pult setzt, jeden angrinst, Scherze macht und allerlei Anekdoten erzählt, bevor er tatsächlich mal eines seiner Gedichte vorliest. Die meisten davon waren Liebesgedichte, mal in sehr nüchternen Worten, mal schwelgerisch und pathetisch. Sie handelten von seiner ersten unglücklichen Liebe, die nicht untypisch war für einen Gastarbeiterjungen, der sich in ein deutsches Mädchen verliebt.

Seine Familie war geschockt, hatten die Eltern doch nur mit großen Bedenken die Türkei verlassen, bildungsferne, fleißige Leute, die alles dafür tun wollten, dass ihr Sohn ein 150prozentiger Türke wird, der im fremden Land nicht die eigentliche Heimat vergisst. Was für ein Wagnis für den jungen Nevfel Cumart, in einer Gedichtzeile an seine deutsche Liebste zu schreiben: "Vom Minarett erklingt dein Name!"

Die Eltern der Freundin zeigten sich ebenfalls entsetzt: "Kein Türkenlump in meinem Haus!" hieß es dort. So konnten sich die beiden jahrelang nur heimlich treffen, mit ein Grund dafür, dass Cumart mit 17 Jahren zum sehnsüchtigen Dichter wurde, der außerdem verstehen wollte, was beide Kulturen anscheinend so sehr voneinander trennt. Kein Zufall, dass er später Turkologie, Arabistik und Islamwissenschaften studierte und auch jetzt noch auf seinen Lesereisen durch die Schulen Deutschlands fast immer das Verhältnis von Deutschen und Türken thematisiert.

Die erste Liebe zerbrach, und so unterhaltsam er von dieser Geschichte erzählt, sie hat durchaus ihre deutsch-türkische Tragik, die sich auch durch andere Teile seiner Erzählungen hindurchzieht. Wie herablassend reden viele über die Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren nach Deutschland kamen, um hier die Wirtschaft anzukurbeln. Sie stammten aus Gegenden in der Türkei, wo das Leben so hart war, dass sich Hunderttausende dem Bewerbungsverfahren aussetzten, keine angenehme Prozedur, bei der unendlich viele abgewiesen wurden.

Deutschkenntnisse brauchte niemand vorzuweisen - auch Nevfels Eltern verstanden kein einziges Wort - dafür aber musste man kerngesund sein für die bevorstehende harte Arbeit. "Mich hätten sie niemals genommen", so der Dichter. "Ich habe manchmal Gelenkschmerzen und außerdem ein paar Zahnplomben." Eines seiner Gesichte beschreibt mit fast biblisch klingenden Worten der Auszug der Türken ins gelobte, fremde Land, in verschlossenen Zügen, "mit Koffern voller Heimweh" im Gepäck.

Erst in den 1990er Jahren begriffen Deutsche und Türken langsam, dass es keine Rückkehr geben würde. Bis dahin war in den Familien Türkei und draußen auf der Straße Deutschland. Das Integrationsprogramm, wie es einigermaßen flächendeckend erst seit etwa fünf Jahren umgesetzt wird, es kam, so Cumart, 45 Jahre zu spät. Noch heute würde er manches Mal aufgrund seines Aussehens im lautstarken "Tarzandeutsch" angesprochen, von Handwerkern etwa: "Du mich verstehen? Ich müssen an Schalter".

Natürlich musste man bei solchen Äußerungen herzlich lachen. Manchmal wurde es aber doch ernst. Zum Beispiel, als er über die Begriffe von "Toleranz" und Akzeptanz" sprach. "Nur geduldet zu werden, das ist eine tiefe Beleidigung, meint ihr nicht auch?"

Keine Kommentare: